Von den 1950er bis in die 1980er Jahre wurden hunderttausende Kinder zu Kuren verschickt. Viele wurden dort gequält. Jetzt soll ihr Schicksal bundesweit erforscht werden.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Stuttgart - Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Kinderkuren der Nachkriegszeit soll nach dem Willen der Jugend- und Familienminister der Länder nun auch auf Bundesebene beginnen. Bei der als Videokonferenz abgehaltenen turnusmäßigen Konferenz verabschiedeten die Vertreter der Bundesländer am Mittwoch einen Antrag, in dem sie den Bund auffordern ein Forschungsprojekt zu initiieren. Darin sollen auch die Eigenrecherchen der Betroffenen berücksichtigt werden. In ihrem Beschluss erkennen die Mitglieder der Konferenz zudem „mit Bestürzung und großer Betroffenheit das Leid der Betroffenen ausdrücklich an“.

 

In den Berichten ist immer wieder von Demütigungen durch das Personal der Heime die Rede. In den Kuren, in denen die Gewichtszunahme oberstes Ziel war, mussten viele der Kinder ihr Erbrochenes essen oder durften nachts nicht zur Toilette gehen. Die Berichte gehen von den 1950er bis in die 1980er Jahre. „Für viele Kinder wurde ihre Kur zum Albtraum, der bis heute anhält“, sagt der baden-württembergische Sozialminister Manne Lucha (Grüne). Es gehe nun darum, die Geschehnisse in den Heimen, die Anzahl der Betroffenen und die institutionellen, strukturellen, individuellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen umfassend aufzuklären.

Franziska Giffey: schwerwiegende Vorfälle

Eingebracht haben den Antrag Baden-Württemberg, Niedersachsen und Schleswig Holstein. Da die Kinder über die Grenzen der Bundesländer bundesweit verschickt wurden, sei eine Erforschung nur auf Länderebene wenig zielführend. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) spricht ebenfalls von schwerwiegenden Vorfällen und belastenden Situationen in den Kurheimen, mit deren Folgen manche ein Leben lang zu kämpfen hätten. Sie kündigte an, den Vorschlag der Länder zu prüfen.

Im Vorfeld hatte es in Baden-Württemberg auf Einladung des Sozialministeriums bereits zwei Treffen mit Betroffenen und Vertretern der an der Verschickung beteiligten Institutionen gegeben. Andrea Weyrauch, die Vertreterin der baden-württembergischen Regionalgruppe der Initiative Verschickungskinder, wertet den Beschluss als wichtigen Schritt zur Aufarbeitung. „Ein Forschungsprojekt ist das, was wir immer gefordert haben“, sagt sie. Die Initiative hatte ihre Forderungen im November formuliert.