Verschwörhaus Ulm Die digitale Zukunft macht gerade Pause
Das Ulmer Verschwörhaus galt als Modellprojekt, ein Verein entwickelte dort Ideen für die digitale Stadt. Mittlerweile prozessiert er gegen die Stadtverwaltung. Was ist passiert?
Das Ulmer Verschwörhaus galt als Modellprojekt, ein Verein entwickelte dort Ideen für die digitale Stadt. Mittlerweile prozessiert er gegen die Stadtverwaltung. Was ist passiert?
Die Zukunft hat die Jalousien zugezogen. Eine Deckenleuchte flackert über leeren Schreibtischen, und an der Tür informiert ein Schild, dass eine nicht näher bezeichnete Sprechstunde krankheitsbedingt entfällt.
Es ist erkennbar etwas zu Ende gegangen im Ulmer Verschwörhaus. Was in den knapp sieben Jahren seit der Eröffnung in der ehemaligen Bankfiliale gegenüber dem Schwörhaus passierte, ist ein Lehrstück, wie man statt in der digitalen Zukunft in einer Sackgasse landet. Die Protagonisten sind die Verwaltung um Oberbürgermeister Gunter Czisch sowie der aus einer Hochschulgruppe hervorgegangene Verschwörhaus e. V. um den Medieninformatiker Stefan Kaufmann.
Ihm und seinen Mitstreitern richtete die Verwaltung 2016 einen, so Czisch, „digitalen Bolzplatz“ ein. Dort sollten sie auf 500 Quadratmetern jenseits wirtschaftlicher Zwänge die digitalisierte Stadt lebendig werden lassen. Im Finanzierungsantrag für den Gemeinderat wird der Ort als „Stadtlabor“ und „Innovationshaus“ bezeichnet. Wichtiger als der Name schien aber, den Freidenkern einen Raum zu geben und „für ein anderweitig nicht zu erreichendes Innovationsklima“ zu sorgen. Ulm und der OB bekamen für das Modellprojekt in der frisch ausgezeichneten „Zukunftsstadt“ viel gute Presse.
Der digitale Aufbruch wird gern mit schillernden Begriffen beschworen. Wer sie als bedeutungslos abtut, unterschätzt den Reiz des Europäischen Markenregisters. Ebendort trug die Stadt Ulm das Verschwörhaus als ihre Marke ein. Der gleichnamige Verein empfand das als eine Art Kriegserklärung. Im Juli zogen die Ehrenamtlichen unter Protest aus und legten den Fall dem Stuttgarter Landgericht vor. Die Ulmer Stadtverwaltung tauschte derweil die Schlösser im Verschwörhaus aus.
Man prozessiere gegen „zwei Handvoll Durchgeknallte“, wurde Czisch danach zitiert. Kaufmann nennt den Ort nun „Fakeschwörhaus“. Noch vor einem Jahr war der 37-Jährige das Gesicht des Modellprojekts – in einer Doppelrolle. Kaufmann war Teil der Hochschulgruppe, die später zum Verschwörhaus e. V. wurde und in dem Gebäude eine Heimat fand. Und er war 2016 bis 2021 als Leiter des Hauses bei der Stadt angestellt.
Noch an der Hochschule hatte die Gruppe um Kaufmann eine Fahrplanauskunft und eine Suchfunktion für Kitaplätze entwickelt, „Jugend hackt“ und andere Events organisiert. Als sie einen Raum in der Stadt suchte, sah der damalige OB-Kandidat Czisch eine Chance für die Stadt und eventuell auch sein Wahlprogramm. In einer Raucherpause habe er ihm empfohlen, Fördermittel zu beantragen, erinnert sich Kaufmann. Sieben Jahre später „war die Tür zu und die Jalousie machte ratsch ratsch“.
Was dazwischen passierte, ist mehr als eine Lokalposse. Es wirft größere Fragen auf. Etwa die, wie eine Kommune ihre Bürger bei der Digitalisierung einbindet. Ob das überhaupt gut läuft mit der Digitalisierung.
In Ulm hat es eine Weile lang funktioniert. Die Ehrenamtler haben im Verschwörhaus 3-D gedruckt, vernetzte Sensoren gebaut, mit Jugendlichen programmiert, direkt nach Ausbruch der Pandemie ein E-Learning-System für Schulen entwickelt und vieles mehr. Doch sie haben ihre eigenen Vorstellungen, wie das mit der Digitalisierung laufen soll. „Oft will die Verwaltung eine geile App herzeigen. Wir schauen eher auf die Infrastruktur“, sagt Kaufmann. Etwas anschaulicher: „Damit meine Bürger aufs Klo gehen können, baue ich entweder eine Kanalisation oder stelle ein Dixiklo hin.“ Letzteres gehe zwar schneller, „aber langfristig ist das zu wenig“.
Das mit der Kanalisation hat man in Deutschland gut hingekriegt, die Digitalisierung weniger. Jede Kommune hat eine eigene IT, das ist ineffizient. Fachleute sind bei den im öffentlichen Dienst gezahlten Gehältern schwer zu bekommen. In Baden-Württemberg wird nicht mal ein Drittel der Verwaltungsleistungen volldigital angeboten. Eigentlich sollten es zum Jahreswechsel 100 Prozent sein, und der Südwesten ist noch nicht mal Schlusslicht.
Digitalaktivisten haben also einiges zu kritisieren. Sie tun das mit ihren Mitteln, etwa mit Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz. Sie sind das Recht aller Bürger, doch Verwaltungsleute verstehen sie eher als Angriff. Es treffen also zwei Kulturen aufeinander, nicht nur in Ulm.
Das bestätigt die Geschäftsführerin der Open Knowledge Foundation, die von Berlin aus drei Dutzend lokale Digitalinitiativen unterstützt. „Eigentlich haben wir unseren Standorten gesagt: Macht es wie Ulm, so funktioniert digitales Ehrenamt“, erinnert sich Henriette Litta. Mittlerweile halten sich ähnliche Initiativen von der Verwaltung und öffentlichen Geldern eher fern, zum Beispiel der Shackspace in Stuttgart. Der hat seine Räume dafür im Vorort Wangen und spielt politisch keine Rolle.
Zwar sind feste Strukturen und ein ständiger Dialog mit der Verwaltung für Litta weiterhin „der Schlüssel, um gesellschaftliche Probleme zu lösen“. Tatsächlich laufe es aber oft so, „dass die Verwaltung ein Innovationslabor einrichtet und das dann komplett kontrollieren will“. Digitale Vordenker wollten an der langen Leine gehalten werden: „Das ist dann kreatives Chaos: anstrengend, aber konstruktiv.“
Karl-Michael Dittrich stimmt dem mit der langen Leine grundsätzlich zu. Der Sprecher der Verwaltung bezeichnet das Projekt aber auch als „Experiment, das nicht funktioniert hat“. Die Ehrenamtler hätten viel digitale Kompetenz. Entscheiden und umsetzen müsse aber die Verwaltung, und die habe einen anderen Blick auf die Dinge. „Irgendwann hat der Verein das gemeinsame Ziel aus den Augen verloren, und die Stadt hat eine Weile das eine oder andere Auge zugedrückt“, sagt Dittrich. Dann kam es zum Knall.
Ehrenamtler wie der Verschwörhaus e. V. sind kein Sportverein, der sich mit Trainingsmöglichkeiten zufrieden gibt. Sie tragen ihre Vorstellungen selbstbewusst und ohne Rücksicht auf Hierarchien vor. Das ist je nach Lesart erfrischend oder besserwisserisch. Zwar sind der Chaos Computer Club oder die Open Knowledge Foundation längst Teil der bundespolitischen Lobbymaschinerie. Trotzdem kracht es regelmäßig, wenn die Hackerin Lilith Wittmann oder Stefan Kaufmann ihre Kritik vortragen. Letzterer sei für die Verwaltung Ulms „längst ein rotes Tuch“, sagt eine mit der Sache betraute Person.
War es ein Fehler, sich von der Stadt anstellen zu lassen? „Ich fand das charmant, ein Scharnier zwischen Ehrenamt und Verwaltung zu sein“, erinnert sich Kaufmann. Doch auch er sagt, dass die gegenseitigen Erwartungen auf Dauer nicht zusammengepasst hätten. 2021 unterstellte der OB ihn einer neuen Chefin, die dessen Leistungen in einer Evaluation als „eher unzureichend“ einstufte. Noch im selben Jahr wurde der Vertrag aufgehoben. Kaufmann übte außerdem immer wieder Kritik an der Verwaltung, auch öffentlich. Es lief schon vor der Sache mit den Namensrechten nicht mehr gut zwischen Stadt und Verschwörhaus-Verein.
Seitdem die Ehrenamtlichen raus sind, macht die Zukunft im Verschwörhaus Pause. Stefan Kaufmanns Nachfolger, ein ehemaliger Eventmanager bei Radio 7, erholt sich gerade von einem Unfall. Entsprechend wenig ist im Verschwörhaus los. Neben Verwaltungsmitarbeitern treffen sich dort eine softwareinteressierte Seniorengruppe sowie die Danube Networkers, und es gibt bis Oktober eine sechsteilige Vortragsreihe. Ansonsten sieht man durchs Schaufenster leere Schränke und Schreibtische. Mit den Ehrenamtlern sind ein Lötlabor, ein Audiostudio, ein 3-D-Drucker, weite Teile der Netzwerk-Infrastruktur, Veranstaltungstechnik sowie CNC-Fräsen ausgezogen. Und die guten Ideen, sagt der Verschwörhaus-Verein. Das Haus neu aufzustellen dauere eben, widerspricht der Sprecher Dittrich.
Das Landgericht wollte vergangene Woche entscheiden, wer den Namen Verschwörhaus nutzen darf. Dann änderte sich die Sachlage, weil Ulm auch beim Deutschen Marken- und Patentamt Rechte angemeldet hat. Nun soll das Urteil am 18. April fallen. Wann die Zukunft wieder hinter den Jalousien hervorschaut, ist eine andere Frage.