Vor zwei Jahren ist die damals 13-jährige Maria aus Freiburg mit einem 53 Jahre alten Mann verschwunden. Ob freiwillig oder unfreiwillig, das weiß niemand. Marias Fall offenbart, was heutzutage im mobilen und digitalen Zeitalter alles möglich ist.

Baden-Württemberg: Heinz Siebold (sie)

Freiburg - Weg, sie ist einfach weg. Vor zwei Jahren, am 4. Mai 2013 hat Maria Henselmann Freiburg mit unbekanntem Ziel verlassen. Nicht allein. Das kurz zuvor 13 Jahre alt gewordene Mädchen ging mit dem 53 Jahre alten Bernhard Haase auf eine Reise, von der sie noch nicht zurückgekehrt ist. Ob freiwillig oder unfreiwillig, weiß niemand. Auch die Polizei nicht, die nach 24 Monaten stets die gleiche Antworten geben muss: keine heiße Spur, wir ermitteln weiter.

 

Dass pubertierende Teenager beiderlei Geschlechts von zuhause ausbüxen ist nicht ungewöhnlich. Auch dass sich Mädchen, die vaterlos aufwachsen, von älteren Männern angezogen fühlen, ist nicht neu. Den „Lolita“-Komplex hat der Schriftsteller Wladimir Nabokov in seinem berühmten Roman schon 1955 thematisiert. Doch der „Fall Maria“ offenbart, was heutzutage im mobilen und digitalen Zeitalter alles möglich ist. Kennengelernt hat das Kind aus Freiburg den verheirateten Mann aus Blomberg in Nordrhein-Westfalen in einem Internetforum. Unklar ist, ob Haase sein Alter anfänglich verschwiegen hat und stattdessen als 14-jähriges „Karlchen“ auftrat. Doch schon bald muss Maria klar gewesen sein, dass sie mit einem 40 Jahre älteren Mann chattet. Doch was wusste sie wirklich von ihm? Dass er zeitweise Mitglied und Landesschatzmeister der rechtsradikalen „Republikaner“ war?

Mit dem weißen Schäferhund

Und spielt das eine Rolle? Was hat der Elektriker aus dem Rheinland über sich erzählt? Über die Trennung von seiner Frau, über seine 24-jährige Stieftochter? Was auch immer, im Mai 2013 packte Haase seinen weißen Schäferhund in seinen ebenfalls weißen Skoda-Kombi und fuhr mit vermutlich reichlich Bargeld in der Tasche nach Freiburg. Es war nicht sein erster Kontakt mit Maria im realen Leben. Haase übernachtete mit ihr in einem Hotel, am nächsten Tag fuhr sie mit ihm fort. Ob sie mit körperlichem Zwang entführt wurde, ist nicht ersichtlich, die Polizei ging von Anfang an von einer einvernehmlichen gemeinsamen Flucht aus; von der Flucht eines ungewöhnlichen Liebespaares.

Nach zwei Monaten, am 13. Juli, wurde in der polnischen Grenzstadt Gorlice Haases Auto gefunden, in einer Gartenhütte auch der Schäferhund. Zeugen meldeten sich, die das ungleiche Paar gesehen hatten. „Das war die letzte zweifelsfrei bestätigte Sichtung“, seufzt Dirk Klose, Sprecher der Freiburger Polizeidirektion. „Wir haben seither keine tragfähigen Erkenntnisse mehr“. Für die Polizei kaum vorstellbar, aber offensichtlich ist es möglich, unterzutauchen ohne aufzufallen.

Eine angebliche Spur in die Slowakei hat sich als falsch erwiesen. Ein Hotelbesucher hatte in einem Privatsender behauptet, das Pärchen erkannt zu haben. Falscher Alarm oder Wichtigtuerei? „Die Polizei hat das überprüft und falsifiziert“, sagt Klose. „Es war nichts dran“. Gegen Bernhard Haase läuft ein internationaler Haftbefehl wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch einer Minderjährigen, das Mädchen wird als vermisst gesucht.

Die Mutter ändert ihre Strategie

Doch 740 Hinweise aus dem Inland und 92 aus dem Ausland haben die Fahnder nicht weiter gebracht, sie stehen ratlos mit leeren Händen da. Auch die ZDF-Sendung „XY-Ungelöst“ hat nichts erbracht. Immer noch brodeln die Gerüchte im Internet. Bereits von Anfang an hat Marias Mutter (51) die digitale Welt für eine eigene europaweite Fahndung genutzt. Über das Forum „Bitte findet Maria“ tut sie das bis heute. Die Polizei war darüber nicht erfreut, denn der daraufhin einsetzende Medienrummel hat nach ihrer Ansicht die Umkehr aus einer Sackgasse erschwert. Normalerweise laufe das nämlich so, sagt ein Psychologe, dass sich die „Lolita“ wie im Nabokow-Roman schon bald von ihrem alten Herrn trennt – wenn sie denn kann und nicht durch Gewalt, Isolation oder eine hoffnungslose Lage daran gehindert wird.

Tatsache ist, dass Maria verschwunden bleibt. Weder die Internet-Aufrufe, noch tausende von Flyern in mehreren Sprachen, noch ein Privatdetektiv, den die Mutter engagierte, brachte Licht in das Dunkel. Stattdessen gibt es öffentlich ausgetragenen Zoff. Die Internetgemeinde hat sich gespalten, nachdem eine Halbschwester der Ausgebüxten öffentlich behauptet hat, dass Maria vor ihrer Mutter geflohen sei. Die Mutter prozessierte erfolgreich gegen einen selbst ernannten manischen „Beschützer“ von Maria. Dass ihre Tochter freiwillig bei Haase ist, glaubt sie nicht.

Die leidgeplagte Frau hat sich nun entschlossen, öffentlich vorläufig nichts mehr zu sagen. „Auch nach Rücksprache mit der Polizei“ werde sie mindestens bis Herbst schweigen, teilte sie auf Anfrage mit. Und sie denkt über einen „Strategiewechsel“ nach. „Ich denke, vielleicht mache ich es Maria so leichter sich zu melden, sollte sich für sie eine Möglichkeit ergeben.“