Versorgung im Kreis Böblingen Lösung für Kinderarztkrise?
Die kinderärztliche Versorgung im Kreis Böblingen ist angespannt – weitere Ärzte schließen absehbar. Eine Klinik-Ambulanz könnte Eltern helfen. Aber kommt diese auch?
Die kinderärztliche Versorgung im Kreis Böblingen ist angespannt – weitere Ärzte schließen absehbar. Eine Klinik-Ambulanz könnte Eltern helfen. Aber kommt diese auch?
Kranke Kinder, verzweifelte Eltern, überlastete Ärzte – seit Jahren ist die Versorgung durch Kinderärzte im Kreis Böblingen angespannt. Nun soll eine neue Idee Besserung bringen. Wenn es nach dem Landkreis geht, könnte am Klinikum Böblingen mit einer Institutsambulanz ein zusätzliches, kinderärztliches Angebot eingerichtet werden. Damit sollen niedergelassene Ärzte, der Ärztliche Bereitschaftsdienst und die Notaufnahme entlasten werden.
In einem Positionspapier macht der Landkreis die Notwendigkeit einer Ambulanz deutlich: „Eine Institutsambulanz würde nicht nur die ambulante Versorgung entlasten, sondern auch eine bessere Nachsorge, Diagnostik und Versorgung komplexer Fälle ermöglichen.“ Zur Versorgungslage heißt es weiter: „Derzeit sind zweieinhalb Kinderarztsitze vakant. Da in den nächsten Jahren elf Kinderärzte voraussichtlich ihre Praxis schließen werden, ist die Lage besorgniserregend.“ Bereits jetzt heiße das, dass Familien lange warten und auf Bereitschaftsdienst und Notaufnahmen ausweichen müssten.
Deshalb sagt auch Landrat Roland Bernhard: „Die Not ist groß, auch weil es eine Unwucht im Kreis gibt. Eine Institutsambulanz könnte Abhilfe schaffen.“ Auch der Böblinger Landtagsabgeordnete Florian Wahl (SPD) mahnt: „Sofortiges Handeln ist notwendig. Leider wird die Situation vom Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen nicht realitätsbezogen eingeschätzt.“
Die Bedarfsplanung der Kassenärztlichen Vereinigung (KVBW) jedenfalls spricht nicht von einer Unterversorgung. Auf den ganzen Kreis gerechnet gibt es mit einem Wert von 101,4 Prozent formal sogar eine kinderärztliche Überversorgung. Es drohe auch keine Unterversorgung, so der KVBW. Dennoch räumt die KVBW auf Anfrage ein: „Die Bedarfsplanung hat nur einen begrenzten Aussagewert über die reale oder real empfundene Versorgungssituation vor Ort.“ Sie diene für den Gesetzgeber dazu, die Zahl der ambulant arbeitenden Ärztinnen und Ärzte aus Kostengründen zu begrenzen, so die KVBW weiter.
Die Ungleichverteilung, von der Bernhard spricht, macht sich vor allem im Nordkreis bemerkbar. Dort hat es seit der Schließung einer Renninger Praxis im Jahr 2022 große Engpässe gegeben. Die Ankündigung einer Weil der Städter Kinderarztpraxis, bald auch in Renningen eine Zweigstelle zu errichten, könne nur kurzzeitig die Situation entschärfen. In Leonberg nämlich haben zwei von drei Kinderärzten für das Jahresende ihren Renteneintritt angekündigt.
Eine Ambulanz mit Anbindung an die Böblinger Klinik könnte positiv wirken – das glaubt auch Florian Wahl: „Die Idee ist richtig. Voraussetzung ist, dass das Klinikum das zusätzliche Angebot bewältigen kann.“ Eine solche Lösung könne neben der Entlastung auch „die hohe medizinische Kompetenz der Kinderklinik Böblingen für die Familien im Landkreis zugänglich machen“, so Wahl.
Der Klinikverbund Südwest (KVSW) wäre als Betreiber der Institutsambulanz vorgesehen. Auf Anfrage erklärt der KVSW: „Eine Institutsambulanz würde in enger Anbindung an die Kinderklinik entstehen.“ Die Zahl des einzuplanenden Fachpersonals kann der Klinikverbund noch nicht mitteilen, wie eine Sprecherin schreibt: „Wie viel Personal benötigt wird, hängt vom endgültigen Umfang des Angebots ab.“ Wenn die Zustimmung käme und man sich einig werde, wäre eine baldige Umsetzung aber durchaus möglich: „Für uns wäre ein zeitnaher Start in kleinerem Rahmen denkbar – mit der Möglichkeit, das Angebot auszubauen.“
Ob der Klinikverbund diese sogenannte Institutsambulanzermächtigung erhält, hängt von mehreren Entscheidungsträgern ab – nicht nur von der Kassenärztlichen Vereinigung. Grundsätzlich bestehe die Möglichkeit einer Ermächtigung. Auf Anfrage sagt die KVBW im Hinblick auf den konkreten Vorschlag: „Da es sich um einen sehr eingeschränkten Personenkreis handelt, der einer spezialisierten Behandlung bedarf, halten wir die Regelung einer Institutsambulanz für zielführend.“ Eine entsprechende Anfrage hat die KVBW aber noch nicht erhalten: „Aktuell liegt kein Antrag der Klinik auf Genehmigung beziehungsweise Ermächtigung einer Institutsambulanz vor.“
Ähnlich dem Vorstoß des Landkreises hat auch die Stadt Sindelfingen zuletzt ihre Bemühungen verstärkt, die Ansiedlung von Kinderärzten zu fördern. In Kooperation mit dem Klinikverbund soll am Krankenhaus Sindelfingen ein medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) mit pädiatrischer Ausrichtung entstehen. Pädiater, die sich in Sindelfingen niederlassen, können mit einem Zuschuss von 100 000 Euro rechnen. Vor zwei Jahren hatte gegenüber unserer Zeitung der Sindelfinger Kinderarzt Michael Sigl von dem Missstand berichtet.
Gesundheitspolitiker Florian Wahl erhöht den Druck: „Die KV hat einen Sicherstellungsauftrag und ist in der Pflicht, die reale Situation zu betrachten. Sie darf sich nicht hinter Kennzahlen verstecken.“ Aktuell scheint es nun so: Der Ball liegt weiterhin irgendwo zwischen Landkreis Böblingen, Klinikverbund Südwest und Kassenärztlicher Vereinigung. Wann er im Ziel versenkt werden kann, ist noch nicht unmittelbar in Sicht.
Anzahl
Laut Kassenärztlicher Vereinigung arbeiten 33 zugelassene und angestellte Ärztinnen und Ärzte als Pädiater im Kreis Böblingen. Ein Drittel von ihnen ist 60 Jahre oder älter. Junge Kinderärzte zwischen 28 und 39 Jahren führt die KV für den Kreis Böblingen keinen einzigen.
Maßnahmen
Beim Kinderarztgipfel am 16. Juli kamen unterschiedliche Akteure aus dem Kreis zusammen, um Lösungen für die Versorgungskrise zu diskutieren. Dabei wurden unter anderem Attraktivierungsmaßnahmen für Mediziner, die in den Kreis kommen, eine bessere Gesundheitsbildung von Eltern oder ein Speed-Dating zwischen Medizinstudenten und niedergelassenen Ärzten ausgemacht.