Wenn Menschen mit Demenz ins Krankenhaus kommen, ist die Gefahr groß, dass sich die Demenz bei Entlassung verschlechtert hat. Wie lässt sich das verhindern? Das Klinikum Stuttgart, das Robert-Bosch-Krankenhaus und das Agaplesion Bethesda-Krankenhaus zeigen hierfür Wege auf.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Das Team der neuen Demenzstation des Agaplesion Bethesda-Krankenhauses muss sich keine Sorgen machen, dass ein Patient unbemerkt verschwindet. Verlässt ein Kranker sein Bett, tritt er auf eine Sensormatte, und die Pflegekräfte werden alarmiert. Abgesehen davon würde der Patient den Stationsausgang ohnehin nicht finden. Eine Fototapete klebt über der Tür – darauf abgebildet sind Vergissmeinnicht. Menschen mit Demenz nehmen diesen Ausgang gar nicht wahr.

 

Vergissmeinnicht ist auch der Name der Station mit acht Betten, die kürzlich offiziell eröffnet wurde. Alles ist hier so weit wie möglich auf die Bedürfnisse der Patienten ausgerichtet. An den Zimmertüren hängen Schilder mit Bildern, damit die Menschen sich leicht zurechtfinden, das gleiche Symbol ist im Patientenzimmer angebracht. Es findet „so viel Diagnostik wie möglich auf der Station statt“, wie der Chefarzt für Innere Medizin, Diabetologie und Altersmedizin, Andrej Zeyfang, berichtet. Der Personalschlüssel ist zudem erhöht – ermöglicht durch eine Förderung der Robert-Bosch-Stiftung und der Lechlerstiftung. „Im DRG-System ist kein Geld dafür da“, sagt Zeyfang. Das Entgeltsystem basiert auf Fallpauschalen.

Häufig verschlechtert sich der Zustand von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen während eines Klinikaufenthalts, die Gefahr für akute Verwirrtheitszustände, auch Delir genannt, ist groß. „Unser Ziel mit der Station ist die Delirprävention“, sagt Zeyfang. So achte man darauf, dass Menschen, bei denen eine Demenz bekannt ist, die aber wegen einer anderen Erkrankung (besonders häufig seien Lungenentzündungen) ins Krankenhaus kommen, auf diese Station verlegt werden.

Die neue Umgebung kann zu akuter Verwirrtheit führen, das soll vermieden werden

Das Bethesda-Krankenhaus ist in Stuttgart nicht das einzige Haus, das sich auf den Weg zum demenzsensiblen Krankenhaus gemacht hat. Auch das Klinikum Stuttgart und das Robert-Bosch-Krankenhaus haben sich in einem Förderprogramm der Robert-Bosch-Stiftung durchgesetzt, das genau dieses Vorhaben unterstützt. Mehr als 130 Häuser bundesweit hatten sich beworben, zwölf haben den Zuschlag erhalten. Keine andere Stadt ist so gut vertreten.

Wie wichtig die Projekte sind, macht eine aktuelle Studie deutlich. Insgesamt weisen laut der Erhebung der Hochschule Mannheim und der Technischen Universität München 40 Prozent aller über 65-jährigen Patienten in Allgemeinkrankenhäusern kognitive Beeinträchtigungen auf – Tendenz aufgrund der demografischen Situation steigend. „Es handelt sich um ein brennendes Thema in der Krankenhausversorgung“, sagt Brigitte Staehle von der Robert-Bosch-Stiftung. Leider sei es derzeit oft so, dass nach einem Krankenhausaufenthalt die Verlegung ins Pflegeheim nötig sei, weil sich die Demenz sehr verschlechtert hat. Dass sich das ändert, daran arbeiten die drei Stuttgarter Häuser, jeder mit einem anderen Konzept.

Die Bemühungen sind für die sozialen Träger offenbar bereits spürbar: „Wir bekommen mit, dass die Kliniken sich sehr mühen, an der Versorgungssituation etwas zu verändern“, lobt zum Beispiel Kurt Greschner, der Bereichsleiter Altenhilfe bei der Caritas. „Das sind die absolut richtigen Entwicklungen“, sagt Greschner.

Das Personal auf der chirurgischen Station ist im Umgang mit Demenz geschult

Früher, berichtet Clemens Becker, der Chefarzt der Geriatrie am Robert-Bosch-Krankenhaus, seien die Geriatrie und die übrigen Disziplinen getrennte Welten gewesen. „Doch wir müssen viel stärker interdisziplinär arbeiten“, sagt er. Am Robert-Bosch-Krankenhaus gibt es neben der Station der kognitiven Geriatrie mit ihren zehn Betten, wo Menschen mit kognitiven Einschränkungen hinkommen, die internistisch behandelt werden müssen, das Zentrum für Alterstraumatologie mit 20 Betten. Menschen mit kognitiven Problemen seien besonders gefährdet zu stürzen, berichtet Becker. In der Alterstraumatologie werden sie chirurgisch versorgt, das Personal ist im Umgang mit verwirrten Menschen geschult. Auch im Bosch-Krankenhaus sind die Stationen anders gestaltet. In der kognitiven Geriatrie kümmern sich zwei Betreuungsassistentinnen darum, dass die Patienten eine Tagesstruktur haben. Ebenfalls Teil des Konzeptes: Alle Patienten über 65 Jahre durchlaufen in der Notaufnahme ein Screening mit einfachen Fragen, um festzustellen, ob eine Verwirrtheit vorliegt, wie Marita Schmidt, die pflegerische Zentrumsleitung, erläutert.

Der Bedarf ist groß, Klinikum hat weitere Betten beantragt

Auch beim Klinikum ist die Notaufnahme in das Konzept eingebunden. Sobald ein Anfangsverdacht gesehen werde, dass eine Gedächtnisstörung vorliegen könnte, durchlaufen die Patienten eine dreistufige Diagnostik in der „Memory-Klinik“, berichtet die Ärztliche Direktorin Christine Thomas, die die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie für Ältere des Klinikums leitet und auch für die Demenzstation zuständig ist. Diese hat 19 Regelbetten. Wer hierher kommt, wurde wegen akuter Verwirrtheit eingeliefert, ist zum Beispiel wegen eines Delirs besonders unruhig oder aggressiv. Nebenerkrankungen können sich aber herausstellen. Christine Thomas nennt das Beispiel eines Mannes aus einem Pflegeheim, der monatelang Probleme machte. Auf der Demenzstation sei festgestellt worden, dass der Mann Zahnschmerzen hatte, diese aber nicht äußern konnte. Nach der Zahnbehandlung sei er nicht mehr schwierig gewesen. „Wir müssen mindestens doppelt so viele Patienten ablehnen, wie wir aufnehmen können“, berichtet Christine Thomas. Mehr Betten beim Land seien beantragt.

Das Klinikum schafft zudem eine weitere Pilotstation, die sich um Menschen mit Demenz kümmert, das ist Teil des von der Boschstiftung mitfinanzierten Projekts HuBertDA. Es handelt sich um eine orthopädische Station, deren Mitarbeiter im Umgang mit verwirrten Menschen geschult werden: von der Putzfrau bis zum Chefarzt. Die Zimmer der Pilotstation erhalten wie in der Demenzstation des Klinikums ein Farbschema zur Orientierung der Patienten. Und bei der OP, auch das sieht das Projekt vor, werden die Patienten extra begleitet. Von den Maßnahmen profitierten nicht nur die Patienten, sondern auch die Mitarbeiter, weil ihre Belastung sinke. Das Ziel: das Behandlungsergebnis zu verbessern, so Christine Thomas.