Weil es immer mehr hochbetagte und allein lebende Patienten in Krankenhäusern gibt, wächst der Bedarf an Pflegeheimplätze nach dem Klinikaufenthalt. Doch die Zahl der Heimplätze nimmt ab. Kliniken wie Heimträger fordern ein Umsteuern der Politik in Land und Stadt.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Egal, welche Klinik man in Stuttgart fragt, die Klage ist überall gleich: Man finde nur noch sehr schwer Pflegeplätze für Patienten. „Mitunter müssen wir bis zu 50 Heime anrufen“, sagt Hans Nau, der Leiter Soziale Arbeit im städtischen Klinikum. „Im schlechtesten Fall finden wir keinen Platz. Der Patient muss dann erst einmal im Krankenhaus bleiben“, so Pressesprecherin Marlies Kepp vom Robert-Bosch-Krankenhaus (RBK). „Wir wissen manchmal nicht wohin mit den Menschen“, sagt auch Silke Ferenci, stellvertretende Sozialdienstleiterin im Marienhospital. „Das ist eine Not und menschlich eine Katastrophe.“

 

Für die Kliniken bedeutet das auch Mehrkosten. Denn für die Behandlung von Patienten erhalten die Häuser feste Fallpauschalen. Die Häuser neigen daher zu einer möglichst frühen Entlassung. Wer also als medizinisch therapiert gilt, aber noch Pflege benötigt und keinen Heimplatz bekommt, für den legen die Kliniken drauf.

Nur noch wenige freie Plätze zur Vergabe

„Verlierer sind die Menschen ohne Angehörige mit einer schweren Erkrankung“, sagt Silke Ferenci vom Marienhospital. Deren Zahl wächst. Zum einen wegen der Alterung der Gesellschaft. Laut Berechnungen liegt das Plus an Patienten pro Jahr bei etwa zwei Prozent. Hans Nau vom Klinikum nennt Zahlen: Von jährlich 1230 Patienten im städtischen Klinikum mit „nachstationärem Pflegebedarf“ brauche man für etwa 800 einen Platz in einer stationären Einrichtung. Meist Kurzzeitpflegeplätze für eine Übergangszeit. Die Verlegungen seien 2017 „um etwa zehn Prozent gestiegen“, so Nau.

Umgekehrt ist die Zahl der Pflegeplätze gesunken. Stefan Spatz, der Leiter des städtischen Sozialamts: „Die Zahl der bei uns gemeldeten Plätze ist seit 2016 rückläufig. Zeitweilig gehen nur noch sehr wenige oder keine Meldungen bei uns ein.“

Finanzierung ist häufig nicht geklärt

Deutlich mehr als die Hälfte aller als frei gemeldeten Plätze waren in Doppelzimmern. Die Platzzahl wird aber weiter sinken. Denn nach der neuen Landesheimbauverordnung soll es 2019 in den Heimen möglichst nur noch Einzelzimmer geben. Vereinzelt sind Heime wegen der Vorgaben bereits geschlossen worden. Wegen des wachsenden Bedarfs werden laut Kreispflegeplan 2025 in Stuttgart fast 2400 Pflegeheimplätze fehlen.

Die Heimträger bestätigen die Entwicklung. „Willkommen in der Wirklichkeit“, sagt Sabine Bergmann-Dietz zur Klage der Kliniken. Diese entließen die Patienten schließlich „immer früher“, die Menschen seien immer älter und häufiger allein, sagt die Geschäftsführerin des städtischen Eigenbetriebs Leben und Wohnen (ELW). Ein Problem dabei: Die Finanzierung des Heimaufenthalts. Offen ist oft, wer wie viel Geld für den Heimplatz bezahlt. Das könne mitunter „Monate und Jahre“ dauern, sagt Sabine Bergmann-Dietz. Mit diesem Problem mussten lange die Heime zurechtkommen. Nun, durch die Verknappung der Plätze, können sich diese aussuchen, wenn sie aufnehmen. Auch der ELW mit 800 Plätzen habe aufgrund der Vorgaben „30 bis 40 Plätze abgebaut“, sagt die Geschäftsführerin. Und: „Wir haben eine super Belegung.“ Für die Krankenhäuser ist das wenig erfreulich. „Viele Pflegeheime nehmen Patienten erst ab Pflegegrad drei“, schildert RBK-Sprecherin Marlies Kepp die Erfahrungen.

Für das RBK ist das besonders ärgerlich. Dort gab es lange eine Kurzzeitpflegeeinrichtung, betrieben von der Diakonie. 2013 wurde diese wegen fehlender Wirtschaftlichkeit geschlossen. Und das RBK sei die „letzte verbliebene Klinik im Raum Stuttgart“ mit einer Abteilung für geriatrische Rehabilitation, sagt Marlies Kepp. Jahresverlust: 600 000 Euro. „Die ganze Weiterversorgung nach dem Krankenhaus ist völlig unterfinanziert“, sagt auch Bernd Rühle, der Geschäftsführer des Diakonie-Klinikums.

Heftige Kritik an der Landespolitik

Bernhard Schneider macht für die Lage Land und Stadt verantwortlich. „Vor zehn Jahren hat das Land die Förderung von Pflegeplätzen abgeschafft, das war ein Fehler“, sagt der Geschäftsführer der evangelischen Heimstiftung, die mit 6800 Plätzen einer der großen Träger im Land ist. „Jetzt rasseln wird in die Unterversorgung, und die Politik wundert sich. In Stuttgart handelt es sich um einen Notstand.“ Die aktuelle Lage führt er auch auf Versäumnisse der Stadt zurück. Nirgendwo im Land seien die Verfahren so langwierig. „Andernorts geht das viel schneller“, kritisiert Schneider. So warteten derzeit mehrere Träger auf die Genehmigung von Projekten. Über zwei Bauprojekte der Heimstiftung in Stuttgart, das Christoph-Stift und das Olga-Stift, sagt er: „Die könnten seit einem Jahr fertig sein.“

Zu lange Genehmigungsverfahren in Stuttgart

Sozialamtsleiter Spatz sagt, man habe potenzielle Standorte für Pflegeeinrichtungen mit 300 Plätzen identifiziert. „Ein weiterer Suchlauf ist für das erste Quartal 2018 geplant.“ Schneider von der Heimstiftung sagt mit Blick auf Stuttgart: „Es ist ungerecht, mit welchen Millionensummen Kliniken gefördert werden. Die Pflegeheime aber müssen alles selbst stemmen.“