Der Versandriese widerspricht der Darstellung der Gewerkschaft, wonach sich zahlreiche Sendungen verspäten. Es handele sich um Einzelfälle, für die Lieferanten verantwortlich seien. Mit dem Streik habe das nichts zu tun.

Stuttgart - Verdi spricht von mehreren Tausend Sendungen pro Tag, Amazon dagegen lediglich von wenigen bedauerlichen Einzelfällen. Die Frage, wie viele Päckchen tatsächlich verspätet auf die Reise zu ihren Empfängern gehen und deswegen nicht rechtzeitig unter dem Weihnachtsbaum landen, lässt sich nicht klären. Gleiches gilt auch für den Grund der Verzögerung. Während die Gewerkschaft darin auch das Resultat der jüngsten Streikaktionen sieht, verweist der Online-Versandriese auf ganz andere, für Stoßzeiten keineswegs außergewöhnliche Umstände: Artikel könnten aufgrund der hohen Nachfrage ausverkauft sein und Lieferanten könnten nicht so schnell wie erwartet Nachschub beziehen. „Wir haben keinen Einfluss auf diese Verzögerungen, aber streikbedingt sind sie sicher nicht“, so ein Unternehmenssprecher.

 

Mails, die vereinzelt Kunden zugestellt würden, versteht der Versandhändler als Kundenservice: „Bevor die Leute enttäuscht sind und nichts unter dem Weihnachtsbaum liegt, schicken wir ihnen lieber rechtzeitig eine Nachricht, dann können sie ihre Geschenke noch woanders kaufen“, sagt der Sprecher weiter.

Der Ton im Gewerkschaftstreit wird rauer

Unterdessen wird der Ton im Streit zwischen Amazon und der Gewerkschaft Verdi kurz vor Weihnachten noch einmal rauer. „Sollen wir auf die Forderungen einer zwar lauten, aber doch kleinen Gruppe eingehen?“, fragt der Sprecher des Online-Versandhändlers im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung. Gemeint waren einige Hundert festangestellte Beschäftigte, die seit mehreren Monaten immer wieder die Arbeit niederlegen, mit dem Ziel ihren Arbeitgeber in den Tarifvertrag des Einzel- und Versandhandels zu zwingen; Amazon beharrt dagegen standhaft auf eine Bezahlung nach dem niedrigeren Tarif der Logistikbranche.

An zwei wichtigen deutschen Standorten in Bad Hersfeld und Leipzig streikten Amazon-Angestellte gestern am fünften Tag in Folge. Die Gewerkschaft sprach von 600 Streikbeteiligten im hessischen Logistikzentrum und weiteren 500 am sächsischen Standort; laut Amazon waren es viel weniger. Es ist der bislang längste Dauerstreik seit Beginn des Kräftemessens im Sommer. Eine Verdi-Sprecherin in Bad Hersfeld kündigte zudem an, dass der Arbeitskampf auch im kommenden Jahr fortgesetzt werden soll.

Die Amazon-Verantwortlichen werden dagegen nicht müde zu betonen, dass die Zahl des nicht-streikenden Personals die der Streikenden weit übersteigt. In der Tat werden Stimmen aus der Belegschaft lauter, die dem Arbeitgeber den Rücken stärken: „Wir haben heute in Leipzig eine Unterschriftenliste entgegengenommen. Darauf haben 700 Mitarbeiter bekräftigt, dass Amazon ein guter Arbeitgeber ist“, so der Unternehmenssprecher. Innerhalb der Belegschaft gebe es starken Unmut über das Vorgehen der Gewerkschaft, viele Mitarbeiter fühlten sich und ihre Interessen nicht gut vertreten. Besonders in sozialen Netzwerken gehen die Pro-Amazon-Aktivisten zuweilen hart ins Gericht mit Verdi und ihren streikenden Kollegen.

Amazon hat 23.000 Beschäftigte, aber nur 9.000 Festangestellte

Ein Grund für die zunehmende Polarisierung innerhalb der Belegschaft ist wohl der unterschiedliche Status der Mitarbeiter. Der US-Konzern beschäftigt in Deutschland während des Weihnachtsgeschäfts rund 23 000 Männer und Frauen. Zur Stammbelegschaft gehören lediglich 9000 unbefristete Festangestellte, die übrigen 14 000 Mitarbeiter sind vor allem kurzfristig rekrutierte Saisonkräfte und befristet Beschäftigte. Diese beiden Gruppen lassen sich nur schwer für einen Arbeitskampf begeistern.

Trotzdem könnte Amazon nach dem „heißen“ Advent nun auch ein schwieriger Start ins neue Jahr bevorstehen. Die Beschäftigten würden 2014 „nicht locker lassen“, kündigte die Gewerkschaft an. Anfang der Woche hatten sich erstmals auch Arbeiter in einem dritten Versandzentrum im bayrischen Graben dem Ausstand angeschlossen. Amazon betreibt Warenlager in acht deutschen Städten. „Die Mitarbeiter in Graben haben wenig bis keinen gewerkschaftlichen Hintergrund“, sagte ein Verdi-Sprecher. „Sie müssen sich ihrer Kraft erst noch bewusst werden.“