Mit dem Bahnprojekt Stuttgart 21 sollen Verspätungen abgebaut werden. Doch der Hauptbahnhof hat das eigentlich gar nicht nötig.

Digital Desk: Jörg Breithut (jbr)

Stuttgart - Die Bäume sind gefällt, der Südflügel wird abgerissen, die Bahn baut am neuen Bahnhof in Stuttgart. Das Ziel: die Leistungsfähigkeit soll erhöht werden. Mehr Züge sollen durch Stuttgart geschleust werden, die Infrastruktur des Gebäudes dafür sorgen, dass Verspätungen abgebaut werden. Doch wie steht es eigentlich derzeit um die Pünktlichkeit der Züge am Hauptbahnhof? Und wie schlägt sich der Bahnknotenpunkt im Vergleich mit den großen Bahnhöfen in Berlin, Hamburg und München?

 

Um zu überprüfen, wie pünktlich die Deutsche Bahn ist, hat sich die Süddeutsche Zeitung mit dem Berliner Datenjournalisten Lorenz Matzat zusammengesetzt und das Projekt „Zugmonitor“ ins Leben gerufen. Die Projektmitarbeiter haben in den vergangenen fünf Monaten die Verspätungen von Fernzügen in ganz Deutschland erfasst und sich durch mehr als 1,5 Millionen Ankunftszeiten gewühlt. Daraus hat das Team eine interaktive Grafik erstellt, in der alle Strecken angezeigt werden, kleine Pfeile symbolisieren die Züge. Rot markierte Pfeile sind die Problemzüge im Schienenverkehr.

Die Informationen für das Projekt liefert die Deutsche Bahn selbst. Auf der Website des Konzerns stehen die Daten öffentlich zugänglich für jeden zur Verfügung. In der Datenbank ist hinterlegt, wann ein Zug im Bahnhof einfährt, wie viele Minuten er verspätet ist und was der Grund für die Verspätung ist. Um das datenjournalistische Projekt so transparent wie möglich zu gestalten, hat die SZ auch die Ergebnislisten ins Netz gestellt.

Ausgebremst von Stuttgart nach Ulm

Den Ergebnissen des Projekts „Zugmonitor“ zufolge ist der ICE, eines der meistgenutzten Massenverkehrsmittel in Deutschland, chronisch unpünktlich. Rund 11 Prozent der ICE seien in den fünf Monaten verspätet gewesen und dabei durchschnittlich rund 13 Minuten hinter dem Zeitplan. Die größten Probleme bereiten der Bahn offenbar die Züge, die eine große Distanz zwischen Abfahrtsbahnhof und Zielort zurücklegen. Stuttgart trifft es dabei vor allem auf der Route von Frankfurt nach München.

Das Nadelöhr: die Strecke von Stuttgart nach Ulm. Mehr als 14 Prozent der Züge auf dem Gleisabschnitt verspäten sich, im Schnitt warten die Zugreisenden etwa 14 Minuten am Bahnsteig. Das Ergebnis ist wenig überraschend. Die Verbindung von Stuttgart nach Ulm ist der Bahn schon länger ein Dorn im Auge. Im Rahmen des Projekts Stuttgart 21 plant der Konzern daher eine Schnelltrasse nach Ulm, ein Großteil dieser geplanten Neubaustrecke soll untertunnelt werden. Sie soll Höchstgeschwindigkeiten von bis zu 250 Kilometern zulassen und die alte Verbindung durch die Flusstäler über die Geislinger Steige ersetzen.

Der Stuttgarter Bahnhof punktet

Für den Stuttgarter Hauptbahnhof fällt das Ergebnis allerdings überraschend positiv aus. Im Vergleich mit den größten 72 Bahnknotenpunkten in Deutschland bewegt sich der Hauptbahnhof im unteren Drittel der Liste auf Rang 53. Gerade einmal acht Prozent der Züge rollen in der Landeshauptstadt verspätet ein. Zwar ist der Wert etwa zwei Prozent höher als in anderen großen Städten wie München, Hamburg oder Berlin. Doch Stuttgart setzt sich weit ab von der Spitzengruppe mit den häufigsten Verspätungen. In Osnabrück oder Koblenz etwa verspätet sich den Ergebnissen zufolge beinahe jeder fünfte Zug.

Vor allem im Landesvergleich macht der Stuttgarter Bahnhof eine gute Figur. Die Projektmitarbeiter von „Zugmonitor“ haben insgesamt 177.443 Zugeinfahrten an den Bahnhöfen in Baden-Württemberg gezählt, die meisten Einfahrten bundesweit direkt nach Nordrhein-Westfalen (271.762). Das Ergebnis: gemeinsam mit Vaihingen weist der Stuttgarter Bahnhof die wenigsten Verspätungen auf. Die Zugreisenden in Ulm und Baden-Baden hingegen warten wesentlich häufiger auf ihre Bahn. 13 Prozent der Züge haben sich dort in den vergangenen Monaten verspätet.

Eine Verspätung für sich genommen ist ärgerlich für die wartenden Fahrgäste. Doch jeder stockende Zug hat weitreichende Folge: ähnlich wie bei einem Stau auf der Autobahn bremst ein verspäteter Zug auch die nachfolgenden Bahnen aus. Das ist auch der häufigste Grund für Verspätungen. Nur selten sind es Vandalismus oder Notarzteinsätze, die eine Verspätung auslösen. Die Top Ten der Gründe sind hausgemachte Probleme der Bahn. Egal, ob eine technische Störung oder Bauarbeiten am Gleis: laut „Zugmonitor“ ist die Bahn in den meisten Fällen selbst für die Verspätung verantwortlich.