Verspätungen und Zugausfälle nehmen zu bei der Deutschen Bahn. Im Regionalverkehr kommt der Staatskonzern nicht ungestraft davon. Er bekommt weniger Geld, wenn er seine Verträge nicht erfüllt.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Die Deutsche Bahn AG musste allein 2017 und 2018 zusammen fast 500 Millionen Euro Vertragsstrafen wegen der vielen Verspätungen und Zugausfälle im Regionalverkehr zahlen. Bis 2023 werden insgesamt weitere rund 650 Millionen Euro Pönalen erwartet. Die Strafzahlungen summieren sich damit auf fast 1,2 Milliarden Euro und verschlechtern die Ertragslage des größten Staatskonzerns massiv. Das zeigt die vertrauliche Mittelfristplanung, die unserer Zeitung in Auszügen vorliegt. Eine Bahn-Sprecherin erklärte auf Anfrage, die internen Papiere kommentiere man grundsätzlich nicht.

 

Die Strafen sind in den Verträgen mit den Auftraggebern der Länder und Kommunen geregelt, die den Regionalverkehr ausschreiben, bestellen und bezahlen. Bei schlechter Leistung werden die staatlichen Zuschüsse gekürzt. Die DB AG und Konzernchef Richard Lutz stehen wegen mangelnder Zuverlässigkeit der Züge massiv in der Kritik. Besonders der seit Jahren verantwortliche Verkehrsvorstand Berthold Huber gerät deshalb auch intern immer stärker unter Druck.

Personal- und Fahrzeugmangel plus ein vernachlässigtes Schienennetz

Im November sank die Pünktlichkeit auf neue Tiefpunkte. Im Regionalverkehr sackte die Pünktlichkeit seit Jahresbeginn von 95,1 auf nur noch 92,3 Prozent. Im Fernverkehr erreichten gar nur noch 70,4 (Oktober: 71,8) Prozent der ICE und Intercity-Züge ihr Ziel mit unter sechs Minuten Verspätung. Alle Verspätungen unter sechs Minuten und komplette Zugausfälle werden nicht eingerechnet. Hauptursachen der Qualitätsdefizite sind den internen Unterlagen zufolge Personal- und Fahrzeugmangel sowie Mängel und Engpässe im lange vernachlässigten Schienennetz, das vielerorts durch starken Anstieg der Fahrgastzahlen überlastet ist. Die DB-Spitze, zu der auch Ex-Kanzleramtschef Ronald Pofalla gehört, will mit ihrer 200-seitigen „Agenda für eine bessere Bahn“ nun auch im Regionalverkehr die Lage rasch verbessern.

Die vertrauliche Agenda sieht vor, dass mehr Triebfahrzeugführer als bisher ausgebildet werden, um den akuten Personalmangel zu mindern. Auch die Prozesse bei der Beschaffung neuer Züge sollen verbessert werden, um die häufigen Lieferverspätungen zu verringern. Der Runde Tisch zum Baustellenmanagement mit der verantwortlichen Konzerntochter DB Netz soll für eine raschere Beseitigung der vielen Defizite bei der Infrastruktur sorgen.

Drastische Gewinneinbußen

Die DB-Spitze verspricht dem Aufsichtsrat, in dem Vertreter der Bundesregierung und der Gewerkschaften das Sagen haben, deutliche Verbesserungen im neuen Jahr. 2019 sollen die Strafzahlungen wegen Verspätungen und Zugausfällen um 75 Millionen auf noch 161 Millionen Euro sinken und sich bis 2023 auf noch 123 Millionen Euro dauerhaft mehr als halbieren. 2017 musste die DB AG noch die Rekordsumme von 260 Millionen Euro an Pönalen zahlen; auch in den Jahren zuvor waren es meist dreistellige Millionensummen. Die vielen Qualitätsmängel und hohen Strafen führen führen mit zu drastischen Ertragseinbußen und Gewinnkorrekturen, wie die internen Planungen ebenfalls zeigen. Für 2019 erwartet die DB-Spitze im Regionalverkehr bei 8,9 Milliarden Euro Umsatz nur noch 450 Millionen Euro Gewinn vor Steuern und Zinsen (Ebit). Das ist fast ein Drittel weniger. Zuvor standen noch 659 Millionen Euro in der Mittelfristplanung.

Auch für die nächsten Jahre hat Bahnchef Lutz die Gewinnprognosen auch im Regionalverkehr massiv um jeweils mehr als 100 Millionen Euro reduziert. Bis Ende 2022 rechnet der Konzern nun mit insgesamt 580 Millionen Euro weniger Gewinn. Die ohnehin ertragsschwache DB AG ist bereits mit rund 20 Milliarden Euro netto hoch verschuldet und hat weiteren Finanzbedarf in Milliardenhöhe besonders für das laufende Großprojekt Stuttgart 21.

Der Ruf nach einer zweiten Bahnreform wird lauter

Daher wächst dem Vernehmen nach auch in der Bundesregierung die Unruhe, dass der Staatskonzern mit seinen 310 000 Beschäftigten zum schweren Sanierungsfall werden könnte. 25 Jahre nach der Umwandlung der früheren Bundesbahn in eine Aktiengesellschaft werden daher die Rufe nach einer zweiten Bahnreform lauter.

Die massiven Qualitätsmängel kosten die DB AG auch an anderen Stellen Geld und Vertrauen. Neben den hohen Vertragsstrafen im Regionalverkehr muss die DB AG an Millionen von Fahrgästen Entschädigungen wegen der häufigen Verspätungen und Zugausfälle zahlen. Das betrifft vor allem den Fernverkehr, wo seit Jahren im Schnitt jeder vierte ICE sein Ziel nur noch mit sechs Minuten Verspätung und oft deutlich mehr erreicht. Schon 2016 hatte der Konzern deshalb rund 1,3 Millionen Entschädigungsanträge wegen Verspätungen bearbeitet, ein Jahr zuvor waren es sogar 1,7 Millionen. Auch 2017 verlangten weit über eine Million Fahrgäste Geld zurück. Für 2018 sind noch keine genauen Zahlen bekannt. Auch die Höhe der Entschädigungszahlungen an Fahrgäste ist noch offen, könnte aber nach Informationen unserer Redaktion erneut eine mittlere zweistellige Millionensumme erreichen. Die gesetzlichen Regelungen sind klar: Ab 60 Minuten Verspätung am Zielbahnhof erhalten Reisende eine Entschädigung von 25 Prozent, ab 120 Minuten sogar 50 Prozent des gezahlten Fahrpreises.