Das S-Bahn-Chaos in Stuttgart am Donnerstagmorgen reiht sich in die Bilanz 2019 ein: Die Bahnen in der Region Stuttgart waren so unpünktlich wie noch nie. Was sind die Gründe dafür – und was kann verbessert werden?

Stuttgart - Am Donnerstagmorgen stehen die Bahnen still am Stuttgarter Hauptbahnhof. Eine Oberleitungsstörung sorgte für massive Ausfälle im Bahnverkehr – auch in den der S-Bahn. Der Vorfall reiht sich in die Bilanz aus dem vergangenen Jahr ein: Die S-Bahn war 2019 so unpünktlich wie noch nie in ihrer gut 40-jährigen Geschichte. Besonders betroffen sind Pendler und die Linien S 1, S 2 und S 3. Betrieben wird die S-Bahn von der Bahn-Tochter DB Regio, politisch verantwortlich ist der Verband Region Stuttgart. Im Verkehrsausschuss der Regionalversammlung war die S-Bahn-Bilanz am Mittwoch Topthema. Ernüchterndes Fazit: Trotz aller Kritik ist eine rasche Verbesserung vor 2025, der Einführung der modernen Signaltechnik ETCS, nicht in Sicht. Zumal von 2021 bis 2023 in den Sommerferien die unterirdische Stammstrecke in Stuttgart wegen Sanierungsarbeiten gesperrt werden soll.

 

Wie sind die Verspätungszahlen im Detail?

Über den gesamten Tag gesehen, haben im vergangenen Jahr 95,3 Prozent der S-Bahnen mit einer maximalen Verspätung von sechs Minuten ihr Ziel erreicht, weniger als drei Minuten waren 84,4 Prozent verspätet. Das ist schlechter als 2018 mit Werten von 96,1 und 86,8 Prozent. Vertraglich mit der Region fixiert sind Pünktlichkeitswerte von 98 und 94,5 Prozent. Noch schlechter ist die Pünktlichkeit in der Hauptverkehrszeit im morgendlichen und abendlichen Berufsverkehr: Hier liegt die Drei-Minuten-Pünktlichkeit nur bei 75,8 Prozent (2018: 78,4 Prozent) und die Sechs-Minuten-Pünktlichkeit bei 92,9 Prozent (2018: 93,8 Prozent). Die Zielwerte von 91,5 und 98 Prozent werden deutlich verfehlt. Im ersten Halbjahr schwankte die Sechs-Minuten-Pünktlichkeit zwischen 96 und 97 Prozent, sie stürzte dann im September ab und erreichte im Oktober und November mit unter 93 Prozent einen Tiefstand. Im Januar 2020 lag sie bei 96,2 Prozent.

Welche Gründe nennt die Bahn?

S-Bahn-Chef Dirk Rothenstein verweist darauf, dass die S-Bahn auf einer seit Jahren nicht weiter ausgebauten Infrastruktur mit 133 Millionen Fahrgästen einen neuen Rekord aufgestellt habe. Zudem verkehrten auf den Mischverkehrsstrecken nach Schorndorf, Backnang und Herrenberg immer mehr Züge. „Wir sind viel anfälliger für von außen hereingetragene Unpünktlichkeiten“, sagt Rothenstein, „es fehlen die Phasen, um Unpünktlichkeiten aufzufangen“. Die Zahl der Baustellen im Netz sei ebenfalls stark gestiegen. Als Erfolg wertet Rothenstein, dass die S-Bahn-Helfer in den Stationen Hauptbahnhof tief und Stuttgart-Vaihingen dafür sorgten, dass die Überschreitungen der 30-sekündigen Haltezeit um mehr als die Hälfte zurückgingen. Um havarierte S-Bahnen schneller wieder flottzubekommen, gibt es seit April 2019 im Störungsfall eine Hotline für die Lokführer. „Für uns ist wichtig, dass die Störungen vor Ort so schnell wie möglich behoben werden“, sagt Rothenstein.

Was fordert die Region?

Sie kritisiert die massiven Zugausfälle aufgrund von Fahrzeugstörungen, vor allem an der Kupplung, die um knapp 70 Prozent gestiegen seien. Unzufrieden ist sie auch damit, dass Baustellen nicht optimal geplant seien. So seien die dadurch bedingten Verspätungsminuten von 7800 auf 31 400 angewachsen. Zu mehr als 60 Prozent an Verspätungen der S-Bahn seien aber unpünktliche Züge im Regional- und Fernverkehr auf den Mischverkehrsstrecken verantwortlich. Die Region fordert deshalb Vereinbarungen mit anderen Betreibern, damit die S-Bahn nicht von ihrer Trasse verdrängt wird.

Wie sehen andere Bewertungen aus?

Die Werte der gemessenen Sauberkeit sind mit 95,2 Prozent deutlich besser als der Zielwert von 92 Prozent. Auch bei der durch Befragungen ermittelten Bewertung der Fahrgäste schneidet die Sauberkeit mit 2,3 auf der Notenskala von 1 bis 6 gut ab. Die Sicherheit wird mit 2,0 noch besser benotet. Die Information im Regelfall erhält die Note 2,5, die bei Verspätungen nur eine 3,2. „Wir sehen die Notwendigkeit, hier besser werden zu müssen“, sagt Rothenstein. Die Pünktlichkeit erhält erwartungsgemäß die schlechteste Bewertung: 3,3. Für alle Kriterien ist die mit der Region vereinbarte Zielnote 2,5.

Was bedeutet das für die DB Regio?

Im Verkehrsvertrag zwischen der DB Regio und dem Verband Region Stuttgart ist geregelt, dass die Bahn eine Strafzahlung leisten muss, wenn die Zielwerte nicht erreicht werden. Diese Pönale liegt 2019 bei 1,17 Millionen Euro (2018: 1,29 Millionen Euro). Sie hat sich vor allem deshalb verringert, weil die Fahrkartenautomaten besser funktionierten und die Strafzahlungen dafür um 210 000 Euro sanken.

Was sagen die Regionalräte?

Rainer Ganske (CDU/ÖDP) sieht die Entwicklung mit einem „lachenden und weinenden Auge“: Die hohe Zahl der Baustellen störe zwar, verbessere aber auch mittelfristig die Situation. Er sehe „Licht am Ende des Tunnels“. Michael Lateier (Grüne) fordert eine bessere Kommunikation im Störungsfall – auch seitens des VVS. Bernhard Maier (Freie Wähler) hält die Qualität der S-Bahn für „nicht zufriedenstellend“. Die Region tue aber sehr viel, um das Angebot zu verbessern. Jasmina Hostert (SPD) findet es zwar erfreulich, dass die Fahrgastzahlen steigen, die Unpünktlichkeit beschädige aber das Image der S-Bahn. Holger Dorn (AfD) spricht von einer „durchwachsenen Bilanz“, die S-Bahn bemühe sich aber um Verbesserungen. Hans Dieter Scheerer (FDP) verwies darauf, dass trotz aller Erklärungen für Verspätungen „der Kunde eine pünktliche S-Bahn will“. Die Baustellen durch S 21 seien Ursache für viele Ausfälle, betonte Michael Knödler (Linke/Pirat).