Ein Friseur im Stuttgarter Hospitalviertel hat seinen ersten Termin nach der Corona-Zwangspause für 1000 Euro versteigert. Das Geld geht an den Verein Stelp. Am Montag startet eine Branche neu, die ums Überleben kämpft.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Vom Jammern in der Pandemie hat Sezar Minasyan genug. „Ja klar, den Berufsstand der Friseure hat’s hart getroffen“, sagt der 44-jährige Stuttgarter mit armenischen Wurzeln, „aber es gibt viele Menschen, denen es noch wesentlich schlechter geht als uns.“

 

Deshalb hat der Friseur aus dem Hospitalviertel beschlossen, seinen ersten Termin am kommenden Montag, 10 Uhr, nach dem zweiten Lockdown meistbietend zu versteigern. Niemals hätte er gedacht, dass dabei so viel Geld herauskommt. Die Gebote haben sich hochgeschaukelt. Am Ende lag ein Kunde, der anonym bleiben will, mit 1000 Euro vorn! Über das Geld kann sich der Verein Stelp (Stuttgart helps) freuen, mit dem die Initiatoren Serkan Eren und Timo Hildebrand weltweit Menschen in Not helfen.

Der Friseur spricht von „unmoralischen Angeboten“

Die Scheren klappern bald wieder. Für Sezar Minasyan, der seit 15 Jahren seinen Beruf in Stuttgart im eigenen Salon ausübt, ist dann endlich die Zeit der „unmoralischen Angebote“ vorbei. „Es wurden hohe Preise geboten, damit wir schwach werden und heimlich schneiden“, sagt er. Während der schwäbisch schwätzende Migrant immer „Noi“ gesagt hat, haben einige Kollegen ihre Arbeit doch nicht ganz niedergelegt. Akkurate Schnitte sah Sezar Minasyan nicht nur bei Fußballprofis, sondern „selbst bei Polizeibeamten“. Einrasierte Scheitel, auf wenige Millimeter getrimmtes Nacken- und Schläfenhaar, saubere Konturen – dies alles ist im Lockdown keineswegs verschwunden.

Wer die schön Frisierten angesprochen hat, hörte dann immer was von einem „Vater“ oder von der „eigenen Frau, die toll schneiden kann“. Dies ist nun fürs erste vorbei. Der 44-Jährige vom Hospitalplatz ist froh, dass er endlich wieder seinen Salon öffnen kann. Würde die Zwangspause weitergehen, wüsste er nicht, ob sein Geschäft noch zu retten sei. Auf vier Wochen sei er bereits ausgebucht. Noch immer wartet der Friseur auf staatliche Hilfen. „Bisher ist nichts bei mir angekommen“, klagt er, „ohne die finanziellen Hilfen meiner Eltern hätte mein Salon kaum überlebt.“ Andere Kollegen kämen der Insolvenz immer näher oder hätten diese bereits anmelden müssen.

„Die Haare sind länger – das ist eine Chance für was Neues“

Im Gespräch mit einem Freund war er auf die Idee gekommen, beim ersten Termin am Montag aufs Verdienen zu verzichten und öffentlich ein Zeichen zu setzen. „Unsere Aktion ist gleichzeitig auch ein Appell, in harten Zeiten solidarisch zu sein, sich um andere zu kümmern“, sagt Sezar Minasyan, „wir sollten unsere lokalen Geschäfte unterstützen und die Waren nicht immer nur bei Amazon bestellen.“

Nächste Woche fallen die Lockdown-Locken. Friseure dürfen unter noch strengeren Hygienebedingungen früher öffnen als Einzelhandel, Museen und Kulturhäuser. „Die Haare sind länger geworden, aber das ist auch eine Chance für was Neues“, findet der 44-Jährige und sieht’s wieder positiv. Haare, sagt er, wachsen im Schnitt monatlich um einen oder anderthalb Zentimeter. Seit Schließungsbeginn im Dezember ist das Haupthaar also um etwa drei Zentimeter gewachsen. Allzu wilde Wucherhecken sind da noch nicht auf den Köpfen entstanden. Die Mähnen können nun aber gezähmt werden, sofern man einen Termin ergattert hat.

Ministerpräsident Kretschmann hat sich angemeldet

Angemeldet hat sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann für nächste Woche bei Giovanni Dell’Aquila, der ihm seit zehn Jahren die Haare schneidet. Lange war der Lieblingsfriseur des Regierungschefs in der City angestellt, bevor er sich 2019 in der Nähe des Marienhospitals selbstständig gemacht hat. Wer glaubt, Kretschmanns Haare seien leicht zu schneiden, der irrt. Der Grüne trägt einen „Flattop“, erklärt Dell’Aquilla. Die Haare bilden eine von hinten nach vorne ansteigende Fläche und werden oben hochgestellt.

Der Innungsverband der Friseure rechnet damit, dass jeder fünfte Salon durch die Folgen der Corona-Pandemie pleite gehen wird. Um dem Kundenandrang gerecht zu werden, wollen viele Friseure abends länger und auch montags öffnen und für ihre Mitarbeiter Schichtbetrieb einführen, sagte Matthias Moser, der Geschäftsführer des Fachverbands Friseur und Kosmetik Baden-Württemberg.