Gipskeuper hat seine Tücken. Mehrere Tunnel, die im Zuge von Stuttgart 21 entstehen, führen durch Gipskeuper. Die Risiken sind nur schwer abzuschätzen. Im Freudensteiner Versuchsstollen werden sie seit Jahrzehnten erforscht. Ein Besuch.

Freudenstein - Zuerst kommt ein Luftstoß. Dann braust ein ICE mit 250 Stundenkilometern durch die Röhre. Selbst im Seitenarm des 6,8 Kilometer langen Freudensteintunnels ist der Druck noch so groß, dass die Ohren dröhnen. Der Versuchstollen liegt gleich neben den Gleisen. Nur wenn die Schnellbahnstrecke Mannheim-Stuttgart für den Verkehr gesperrt ist, kann der Kilometer vom Tunneleingang bis zur Eingangstür sicher zurückgelegt werden. Der 120 Meter lange, stillgelegte Teststollen ist von kleinen Wasserrohren und mehreren Gerüsten durchzogen. Er befindet sich mitten im Gipskeuper - durch den auch einige Tunnel des Milliardenprojekts Stuttgart 21 müssen.

 

Das Gestein, das etwas von fossilem Blätterteig hat, stellt Ingenieure beim Tunnelbau vor Herausforderungen. „Der eingeschlossene Anhydrit reagiert mit Wasser und verwandelt sich in Gips“, erklärt Felsenbau-Experte Professor Walter Wittke. In der Folge dehnt sich der Boden aus wie Hefe bei Wärme. Um 60 Prozent vergrößert der Anhydrit bei Umwandlung in Gips sein Volumen - mit unschönen Folgen für Tunnelröhren oder Häuser in seiner Nähe. Die Gebäudeschäden im Schwarzwaldort Staufen zeigen, wohin das führen kann.

Konzepte gegen den Quell-Felsen

Die Bahn muss dagegenhalten, will sie Stuttgart 21 umsetzen. In drei Abschnitten sind nach Auskunft eines Sprechers Tunnel durch den Gipskeuper geplant. Dazu gehören der Fildertunnel, der Feuerbacher und der Obertürkheimer Tunnel. Im Versuchsstollen am Freudenstein sind bis 2007 Konzepte gegen die Quell-Felsen erprobt worden - rund zwei Jahrzehnte lang. Dem Gipskeuper in der Umgebung wurde über die schmalen Rohre Wasser zugeführt, dann maßen die Wissenschaftler Bodenausdehnung und Druck. Zwei Varianten mit Ankern erwiesen sich schnell als untauglich, zwei andere jedoch überzeugten.

Für den Fildertunnel etwa sind laut Wittke besonders stabile Stahlbetonröhren vorgesehen, die Druck und Wasser standhalten sollen. Zusätzlich sind an kritischen Stellen sogenannte Dammringe aus Beton geplant - als Barrieren zwischen den wasserführenden Schichten und dem trockenen Gipskeuper. Beim Feuerbacher Tunnel, der dichter am Anhydrit verläuft, soll unterhalb der Sohle der Stahlbetonauskleidung eine „Knautschzone“ eingerichtet werden. „Sie gibt bei Ausdehnung des Gesteins nach und verringert so den Druck auf die Röhren“, heißt es bei der Bahn. Sie verweist bei der Gelegenheit auf unproblematische S-Bahn-Tunnel wie die Wendeschleife an der Stuttgarter Schwabstraße.

„Wenn der Anhydrit mal quillt, quillt er 70 bis 100 Jahre“

Die Gegner des Milliardenprojekts Stuttgart 21 bleiben skeptisch. „Es gibt bisher kein Standard-Konzept, das sich bewährt hat“, sagt etwa Diplom-Geologe Jakob Sierig. In 150 Jahren Tunnelbau seien nur rund 15 Kilometer Strecke im Gipskeuper entstanden. Und einige dieser Tunnel hätten schon nach wenigen Jahren Probleme. Der Engelbergtunnel in Leonberg sei so ein Sanierungsfall. „Wenn der Anhydrit mal quillt, quillt er 70 bis 100 Jahre“, sagt Sierig.

Für Stuttgart 21 sollten jetzt noch einmal ähnlich viele Tunnelkilometer durch das Gestein gebaut werden wie bislang insgesamt, führt er aus. Dabei müssten gerade bei Bahnstrecken die Tunnel besonders präzise bleiben. „Schon wenige Zentimeter Versatz sind eine Katastrophe.“ Da bei S 21 alle Wege nach Stuttgart durch Gipskeuper führten, sei das Risiko groß - auch für die Bebauung in der Nähe, mahnen er und Gerhard Pfeifer vom BUND in Stuttgart.

692 Tunnel mit insgesamt 492,3 Kilometern Länge unterhält die Bahn derzeit. Das Freudensteiner Felslabor ist eine Rarität. „Man braucht so etwas nur im Südwesten“, sagt Wittke. Gipskeuper sei in Deutschland fast ausschließlich dort verbreitet. Doch in Österreich, der Schweiz und Spanien kenne man die Probleme auch. Wie groß die Sprengkraft des Anhydrit sein kann, zeigt sich auch im Teststollen. Am Eingang, wo der Tunnel noch nicht besonders gesichert ist, hat der Boden einige Risse - mit Höhenunterschieden von mehreren Zentimetern. Wittke erklärt: „Hier ist auch etwas Wasser hingelaufen.“