Ein 23-jähriger Asylbewerber soll versucht haben, einen Mitbewohner zu erstechen – aus einem nichtigen Grund. Wegen eines Formfehlers muss der Fall derzeit vor dem Landgericht Stuttgart neu verhandelt werden.

Rems-Murr: Phillip Weingand (wei)

Waiblingen - Nur durch das Einschreiten eines Mitbewohners und durch den Willen Gottes, davon ist ein 26-jähriger Pakistaner überzeugt, ist er noch am Leben: Am Morgen des 20. Juli 2016 hatte sich ein Streit in der Asylunterkunft am Waiblinger Bahnhofsplatz hochgeschaukelt. Ein 23-Jähriger griff zum Messer – und ein damals 30-Jähriger ging dazwischen, um dem Geschädigten zu helfen. Dabei zog er sich leichte Schnittverletzungen an der Hand zu. Der jüngste der drei Streithähne steht nun vor dem Landgericht Stuttgart. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm versuchten Totschlag vor.

 

Seit dem Messerangriff sitzt der 23-Jährige in U-Haft. Die Aussage seines Kontrahenten quittiert der junge Mann mit seitlich kurzgeschorenen Haaren mit Kopfschütteln. Aus einem Vernehmungsprotokoll geht hervor, wie er die Sache bislang dargestellt hat: Er habe den 26-Jährigen nur erschrecken und das Messer rechtzeitig abstoppen wollen.

Der Angeklagte soll Schränke mit Blut beschmiert haben

Das Landgericht Stuttgart hatte diese Version vor einem Jahr nicht geglaubt und den Mann zu vier Jahren Haft verurteilt. Der Bundesgerichtshof hatte dieses Urteil jedoch nach einem Revisionsantrag aufgehoben – wegen eines formalen Fehlers: Eine Einlassung, die der Angeklagte gemacht hatte, war nicht im schriftlichen Urteil aufgetaucht. Der Fall muss deswegen jetzt vom Landgericht Stuttgart neu verhandelt werden.

An dem jungen Mann auf der Anklagebank lässt der 26-jährige kein gutes Haar. „Immer, wenn er Alkohol getrunken hatte, hat er komische Sachen gemacht. Er fing ohne ersichtlichen Grund an zu weinen, verletzte sich mit einem Messer selbst“, berichtet er. Mit seinem eigenen Blut habe der Angeklagte – ebenfalls pakistanischer Staatsangehöriger – Schränke in der Unterkunft beschmiert. „Wir wollten, dass er in eine andere Unterkunft gebracht wird“, erzählt der 26-Jährige.

Auch am 20. Juli habe es wieder Streit zwischen dem Angeklagten und seinen vier Mitbewohnern gegeben. „Wir waren alle früh aufgestanden, um arbeiten zu gehen oder Arbeit zu suchen. Er hatte die ganze Nacht Filme geschaut und beschwerte sich, wir hätten beim Aufstehen seinen Schlaf gestört“, sagt der Zeuge aus. Der 23-Jährige habe außerdem die anderen beleidigt und damit geprahlt, dass ihm niemand etwas anhaben könne und dass er in Pakistan seinen Cousin getötet hätte.

Ein 30-jähriger greift ins Messer und verhindert Schlimmeres

Etwa eine Woche vor dem Streit soll der Angeklagte einen seiner Mitbewohner krankenhausreif geschlagen und mit einem Messer bedroht haben. Angesichts der neuen Auseinandersetzung rief der 26-Jährige die Polizei – woraufhin der Jüngere ein langes Küchenmesser aus dem Schrank holte und damit auf seinen Kontrahenten zulief. „Er wollte mir in den Bauch stechen. Ich hatte große Angst – ich dachte, ich bin gleich bei Allah“, sagt der 26-Jährige. Ein damals 30 Jahre alter Mitbewohner habe den Angreifer aber festgehalten und sich dabei Schnitte zugezogen. Danach soll der Angeklagte versucht haben, sich selbst Verletzungen zuzufügen.

Der Angeklagte ist laut eigenen Angaben nur zwei Jahre lang zur Schule gegangen, da er seinen Eltern in der Landwirtschaft geholfen habe. Da ihr Dorf von den Taliban tyrannisiert worden sei, habe die Familie Haus und Hof verkauft, um seine Flucht zu finanzieren. Eine Entscheidung über seinen Antrag auf Asyl gibt es noch nicht.