Teilerfolg für die Kläger auf Akteneinsicht zum Cross-Border-Leasing: Die Stadt muss ihren abgelehnten Antrag neu prüfen, urteilt das Verwaltungsgericht. Wohl zu Unrecht habe das Rathaus behauptet, es gehe nicht um Umweltinformationen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Im Rechtsstreit um Einsicht in die Verträge zur Vermietung des Stuttgarter Kanalnetzes an einen US-Investor haben die Kläger einen Teilerfolg erzielt. Das Verwaltungsgericht Stuttgart verpflichtete die Stadt, neu über einen Antrag eines Bürgers nach dem Umweltinformationsrecht zu entscheiden. Entgegen der Argumentation des Rathauses enthielten die Verträge vermutlich doch Umweltinformationen, befand die 4. Kammer nach Angaben des Gerichts. Über deren Herausgabe habe man noch nicht entscheiden können, weil die Vertragspartner zuvor dazu gehört werden müssten, welche Geschäftsgeheimnisse einer Einsicht entgegenstünden; dies hatte die Stadt versäumt. Das Ansinnen des Klägers von den „Ingenieuren 22“, ihm schon jetzt Zugang zu den Verträgen zu gewähren, wurde daher abgelehnt.

 

Schon in der mündlichen Verhandlung am vergangenen Donnerstag hatte sich abgezeichnet, dass die Stadt es sich mit dem ablehnenden Bescheid zu einfach gemacht hat. Ihre Argumentation: die Verträge enthielten überhaupt keine Umweltinformationen – und selbst wenn, dürften diese wegen des Schutzes von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen nicht herausgegeben werden. Zudem fehle es an einem überwiegenden öffentlichen Interesse. In dem Verfahren ließ sich die Stadt von der gleichen Kanzlei vertreten, die sie 2002 beim Abschluss der Verträge beraten hatte.

Keine Umweltinformationen? Von wegen!

Die Kläger verwiesen darauf, dass der Begriff der Umweltinformation nach der Rechtsprechung sehr weit auszulegen sei. Das Einsichtsrecht könne nicht ohne Weiteres durch Klauseln zur Geheimhaltung ausgehebelt werden. Als Beistand hatte der Kläger übrigens keinen Juristen, sondern einen Kernphysiker mitgebracht, der landesweit als Experte für das Umweltinformationsrecht gilt.

In der Verhandlung vor einer ungewöhnlich großen Zuhörerkulisse hatte die Vorsitzende Richterin Hildegard Dieckmann-Wittel bereits erkennen lassen, dass sie die Rechtsposition der Stadt für fragwürdig hält. Durch Nachfragen brachte sie in Erfahrung, dass das Vertragswerk vermutlich sehr wohl Umweltinformationen enthalte – Vorgaben für Nutzung, Unterhalt, Wartung und Reparatur des Kanalnetzes.

Die Stadt hat Angst vor Schadenersatzforderungen

Es handele sich aber nur um ein gutes Dutzend Seiten in dem zehn Ordner umfassenden Vertragswerk, die man herausgeben könne, signalisierten die Vertreter der Stadt – sofern die Vertragspartner zustimmten. Der Hauptvertragspartner, die US-Versicherung John Hancock, habe seine Zustimmung vorab verweigert. Deutlich wurde in der Verhandlung auch, dass die Stadt die dafür angeführten Geschäftsgeheimnisse nicht weiter hinterfragt hatte. „Das können wir natürlich nachholen“, sagte einer ihrer Vertreter. Die vom Gesetz geforderte Abwägung zwischen öffentlichen und privaten Belangen konnte deshalb nach Ansicht des Gerichts noch gar nicht vorgenommen werden, monierte die Vorsitzende Richterin. Der Beistand des Klägers rügte, die Stadt habe ihre Pflichten nach dem Umweltinformationsrecht nicht ernst genommen; bei einer Neuentscheidung müsse man nochmals länger auf die Informationen warten. Den von der Stadt angebotenen Vergleich, zumindest die Angaben zum Umgang mit dem Kanalnetz herauszugeben, lehnten die Kläger ab: Man wisse ja nicht, was sonst noch in den Verträgen stehe.

Die Vertreter des Rathauses begründeten ihre restriktive Haltung mit der Angst vor Schadenersatzansprüchen. „Bei aller Liebe zur Transparenz“ wolle man nicht riskieren, dafür zahlen zu müssen. Anders verhalte es sich nach einer damals eigens in den Vertrag aufgenommenen Klausel, wenn man durch ein Gerichtsurteil zur Herausgabe verpflichtet werde. Von der Stadt war zunächst keine Reaktion zu dem Richterspruch zu erhalten.

Für 99 Jahre an US-Versicherung übertragen

Die Stadt hatte große Teile des Kanalnetzes 2002 für 99 Jahre an den US-Investor übertragen und es zugleich für 29 Jahre zurückgeleast; danach solle es wieder an sie fallen. Die US-Versicherung konnte durch dieses Konstrukt, das seit 2004 nicht mehr vom US-Fiskus akzeptiert wird, Steuervorteile in den USA erzielen. Die Stadt bekam im Gegenzug den sogenannten Barwertvorteil, etwa 23 Millionen Euro.