Die Vertrauensfrage – ein mächtiges Mittel, das in Deutschland nur wenige Kanzler wagten einzusetzen. Erfahren Sie, wie oft sie gestellt wurde und welche politischen Wendepunkte damit verbunden sind.
Die Vertrauensfrage ist eines der bedeutendsten politischen Instrumente in der deutschen Demokratie. Sie ermöglicht es einem Bundeskanzler, die Unterstützung des Bundestages zu überprüfen und kann unter bestimmten Umständen sogar zur Auflösung des Parlaments führen.
In der Geschichte der Bundesrepublik wurde dieses Instrument nur selten genutzt – aber jedes Mal mit weitreichenden Folgen für die politische Landschaft. Doch wie oft wurde die Vertrauensfrage in Deutschland tatsächlich gestellt, welche Kanzler griffen darauf zurück, und welche politischen Entwicklungen wurden damit angestoßen? Ein Blick auf die bisherigen Fälle zeigt, wie die Vertrauensfrage als politisches Mittel zur Bewältigung von Krisen eingesetzt wurde und dabei das Schicksal von Regierungen maßgeblich beeinflusste.
Bisher wurde die Vertrauensfrage in Deutschland 5 mal gestellt - bei Olaf Scholz wird es dann das 6. Mal sein. Zusätzlich wurde 1966 ein sogenanntes „Vertrauensfrage-Ersuchen“ eingebracht.
1966: Ludwig Erhard (CDU)
1966 kam die Vertrauensfrage erstmals in einer ungewöhnlichen Form in den Bundestag. Nachdem die Koalition von CDU/CSU und FDP unter Kanzler Ludwig Erhard zerbrach, beantragte die SPD gemeinsam mit der FDP, dass Erhard die Vertrauensfrage stellen solle. Erhard weigerte sich jedoch, da er dazu nicht verpflichtet war. Das „Ersuchen“ verdeutlichte jedoch, dass Erhard die Unterstützung der FDP endgültig verloren hatte und diese keine Minderheitsregierung unter ihm akzeptieren würde. Kurz darauf bildeten CDU/CSU und SPD eine Große Koalition unter Kanzler Kurt Georg Kiesinger. Die Verfassungsmäßigkeit eines solchen „Vertrauensfrage-Ersuchens“ wurde anschließend diskutiert, jedoch nie wieder angewendet.
1972 – Willy Brandt (SPD)
1969 wurde Willy Brandt Kanzler in einer Koalition aus SPD und FDP. Doch wegen Meinungsverschiedenheiten über die sogenannten „Ostverträge“ wechselten einige Abgeordnete von SPD und FDP zur Opposition aus CDU/CSU. 1972 versuchte die Opposition, Brandt durch ein Misstrauensvotum zu stürzen, scheiterte jedoch knapp. Gleichzeitig hatte die Regierung nicht genug Stimmen, um den Haushalt durchzusetzen. Da der Bundestag sich nicht von selbst auflösen kann, stellte Brandt am 20. September die Vertrauensfrage.
Am 22. September erhielt Brandt in der Abstimmung absichtlich nicht das Vertrauen, da die Regierungsmitglieder nicht teilnahmen – das Ziel war, die Auflösung des Bundestages zu ermöglichen. Selbst wenn alle Abgeordneten anwesend gewesen wären, hätte Brandt wahrscheinlich keine Mehrheit bekommen. Am nächsten Tag löste der Bundespräsident den Bundestag auf. Die Neuwahlen im November 1972 bestätigten schließlich Brandts Koalition mit einem deutlichen Sieg.
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1982 – Helmut Schmidt (SPD)
In der Regierung aus SPD und FDP gab es 1982 starke Meinungsverschiedenheiten, vor allem über den Bundeshaushalt und die Sozialpolitik. Kanzler Helmut Schmidt entschied sich daher am 3. Februar 1982, die Vertrauensfrage zu stellen. Besonders die SPD war sich uneinig über den NATO-Doppelbeschluss, der eine wichtige Rolle in der Debatte spielte.
Am 5. Februar erhielt Schmidt noch das Vertrauen vom Parlament. Trotzdem wurden die Streitigkeiten innerhalb der SPD und mit der FDP größer. Schließlich trat die FDP am 17. September 1982 aus der Koalition aus, und die FDP-Minister legten ihre Ämter nieder. Am 1. Oktober wurde Schmidt durch ein Misstrauensvotum von CDU/CSU und FDP gestürzt, und Helmut Kohl wurde der neue Kanzler.
1982 – Helmut Kohl (CDU)
Helmut Kohl von der CDU wurde am 1. Oktober 1982 mit Unterstützung der FDP neuer Bundeskanzler, nachdem er die FDP aus der bisherigen Koalition mit der SPD gelöst hatte. Um eine klare Zustimmung der Wähler für die neue Koalition aus CDU/CSU und FDP zu bekommen, plante er eine Neuwahl am 6. März 1983.
Kohl hätte theoretisch zurücktreten können, sodass der Bundestag möglicherweise keinen Kanzler mit absoluter Mehrheit gewählt hätte. Dann hätte der Bundespräsident den Bundestag auflösen können, aber dies war unsicher und hätte Kohl nur als „geschäftsführenden Kanzler“ zurück ins Amt gebracht. Stattdessen stellte Kohl die Vertrauensfrage am 17. Dezember 1982 und verlor sie bewusst, obwohl kurz zuvor der Haushalt für 1983 beschlossen worden war.
Nach langen Diskussionen über die Rechtmäßigkeit entschied Bundespräsident Karl Carstens am 7. Januar 1983, den Bundestag aufzulösen und Neuwahlen auszurufen. Das Bundesverfassungsgericht prüfte den Vorgang und erklärte ihn schließlich für verfassungsgemäß, da Kohl tatsächlich nicht mehr sicher auf die FDP als Partner zählen konnte. Die Wahl am 6. März 1983 brachte der CDU/CSU einen klaren Sieg, und die FDP blieb trotz Problemen in der Koalition.
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2001 – Gerhard Schröder (SPD)
Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 sicherte Bundeskanzler Gerhard Schröder den USA sofort Deutschlands uneingeschränkte Solidarität zu. Im November 2001 starteten die USA eine militärische Offensive, die zum Sturz der Taliban führte. Da die NATO zudem den sogenannten Bündnisfall ausgerufen hatte, sollte sich die Bundeswehr an der Operation „Enduring Freedom“ beteiligen.
Doch laut einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1994 bedarf ein Einsatz der Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebiets der Zustimmung des Bundestags. Innerhalb der Regierungskoalition aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen gab es jedoch Widerstand, da einige Abgeordnete ihre Zustimmung verweigern wollten. Schröder beschloss daraufhin, die Abstimmung über die deutsche Beteiligung am Afghanistan-Einsatz mit einer Vertrauensfrage zu verknüpfen, um sicherzustellen, dass er für diese Entscheidung eine verlässliche Mehrheit in der Koalition hatte.
CDU/CSU und FDP lehnten es ab, Schröder das Vertrauen auszusprechen, und stimmten gegen den Antrag. Die Abgeordneten der SPD und der Grünen stimmten überwiegend zu, doch einig Grüne teilten ihre Stimmen auf, um ihre widersprüchlichen Positionenzu zeigen. Dank dieser Stimmenaufteilung erhielt Schröder mit einer knappen Mehrheit von 336 Stimmen das Vertrauen, wobei 334 Stimmen erforderlich waren.
2005 – Gerhard Schröder (SPD)
Nachdem bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 2005 die SPD und die Grünen ihre letzte rot-grüne Landesregierung verloren hatten, kündigte Bundeskanzler Gerhard Schröder am Wahlabend an, Neuwahlen auf Bundesebene anzustreben. Um dies zu ermöglichen, entschied er sich, die Vertrauensfrage zu stellen, die letztlich zur Auflösung des Bundestages führen sollte. Am 27. Juni 2005 reichte er offiziell seinen Antrag ein und begründete ihn mit einer mangelnden Handlungsfähigkeit seiner Regierung und den internen Konflikten in der SPD, vor allem im Zusammenhang mit der Reformagenda 2010.
Am 1. Juli 2005 debattierte der Bundestag über Schröders Vertrauensantrag. Schließlich erhielt er nicht die nötige Zustimmung: Nur 151 Abgeordnete stimmten für ihn, während 296 gegen ihn stimmten und 148 sich enthielten. Damit war der Antrag gescheitert, und Schröder schlug Bundespräsident Horst Köhler vor, den Bundestag aufzulösen.
Am 21. Juli 2005 entschied sich Bundespräsident Köhler für die Auflösung des Bundestages und setzte Neuwahlen für den 18. September 2005 an. Im Anschluss an diese Neuwahlen wurde Angela Merkel (CDU) Kanzlerin einer Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD.