Wenn sich Vereine und Organisationen politisch positionieren, ist das steuerrechtlich eine Gratwanderung. Im Zweifel droht der Verlust der Gemeinnützigkeit. Ein Stuttgarter Anwalt plädiert für mehr Klarheit durch den Gesetzgeber.
„Muss die Zivilgesellschaft schweigen?“, fragt der Stuttgarter Anwalt Christian Bischoff angesichts der Beschränkungen, denen gemeinnützige Organisationen steuerrechtlich unterliegen. Oder anders gefragt: Muss der Teil der Zivilgesellschaft, der in gemeinnützigen Organisationen aktiv ist, auf politische Stellungnahmen verzichten, um ihre steuerliche Begünstigung durch den Staat nicht zu riskieren? Seit Bekanntwerden einer Kleinen Anfrage der Unionsbundestagsfraktion zur „Politischen Neutralität staatlicher geförderter Organisationen“ wird dieses Thema breit diskutiert. Bei gemeinnützigen Organisationen und Vereinen ist es allerdings schon viel länger virulent.
Das Attac-Urteil des Bundesfinanzhofs strahlt aus
Ausgangspunkt war ein Urteil des Bundesfinanzhofs von 2019, wonach eine gemeinnützige Körperschaft ihre Gemeinnützigkeit und damit den Anspruch auf Steuerbegünstigung verliert, wenn sie sich politisch betätigt. Im konkreten Fall ging es um die Nichtregierungsorganisation Attac, die eine betont kritische Haltung zum Thema Globalisierung einnimmt. Das höchstrichterliche Urteil treibt Organisationen und Vereine seitdem um, denn der Verlust der Gemeinnützigkeit kann für die Körperschaften schwerwiegende Folgen nach sich ziehen. Im Fall von Steuernachzahlungen steht unter Umständen sogar die Existenz auf dem Spiel. Müssen sich Organisationen und Vereine also politisch ruhig verhalten, auch wenn sie sich gerne öffentlich positionieren wollen?
Christian Bischoff von der Stuttgarter Kanzlei Menold Bezler, der auf gemeinnützige Organisationen spezialisiert ist, beschreibt es so: „Im aktuellen politischen Klima wollen sich zahlreiche gemeinnützige Organisationen in Deutschland gerne stärker politisch einbringen, sehen dadurch aber ihren steuerbegünstigten Status gefährdet.“ Für diesen Status müsse laut Abgabenordnung die „unmittelbare, ausschließliche und selbstlose Erfüllung gemeinnütziger Zwecke“ gewährleistet sein. Die Entscheidung darüber liegt bei der Finanzverwaltung. Sie kann Organisationen die Gemeinnützigkeit aberkennen, wie dies nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs im Fall von Attac erfolgte, weil das politische Engagement der Nichtregierungsorganisation nach Auffassung des Gerichts nicht im Einklang mit ihren gemeinnützigen Zwecken stand.
Doch wo beginnen politisches Engagement und Parteinahme? Die Kriterien wirken zum Teil dehnbar. Bischoff weist darauf hin, dass gemeinnützigen Organisationen eine politische Betätigung erlaubt ist, wenn sie „der gemeinnützigen Zweckverwirklichung“ dient. Dasselbe gilt, wenn öffentliche Stellungnahmen zu tagespolitischen Ereignissen nur gelegentlich erfolgen, sie sich grundsätzlich parteipolitisch neutral verhalten oder die Beschäftigung mit politischen Themen im Rahmen dessen liegt, „was das Eintreten für die steuerbegünstigten Ziele und deren Verwirklichung erfordert“.
Die EU-Kommission macht dahinter ein Fragezeichen. Bischof verweist auf deren 2024 vorgelegten Bericht über die Rechtsstaatlichkeit. Die Regelung lasse die notwendige Klarheit vermissen, findet auch der Stuttgarter Anwalt. Als problematisch sieht er es an, dass das Verfassungsrecht auf freie Meinungsäußerung berührt wird. Aus Sorge, den Status der Gemeinnützigkeit zu verlieren, könnten Organisationen und Vereine sich zu einer starken Zurückhaltung veranlasst sehen. Die Verfasser des Ziviz-Surveys (Zentrale repräsentative Datenerhebung zur organisierten Zivilgesellschaft in Deutschland) sehen das bestätigt: „In Teilen der Zivilgesellschaft herrscht Verunsicherung darüber, inwiefern politische Mitgestaltung den Gemeinnützigkeitsstatus gefährden könnte“, stellen sie fest. In einer Ziviz-Umfrage von 2023 erklärten fünf Prozent der knapp 13 000 teilnehmenden Organisationen „sich aus Sorge um ihren Gemeinnützigkeitsstatus nicht intensiver politisch zu engagieren“. Hochgerechnet auf die bundesweit mehr als 503 000 registrierten gemeinnützigen Organisationen sind das eine ganze Menge.
Gemeinnützigkeitsrecht sollte bereits reformiert werden
Die Zurückhaltung war auch vor der Bundestagswahl zu spüren. Angesichts der politischen Polarisierung verhielten sich manche Organisationen bewusst defensiv und unterließen politische Meinungsäußerungen. Der Deutsche Fundraising Verband, dem rund 1700 Mitglieder angehören, hatte mit Blick auf das Thema Gemeinnützigkeit ebenfalls zur Vorsicht geraten.
Das Spannungsverhältnis ist erkannt. Auch die Ampelkoalition sah Handlungsbedarf und wollte das Gemeinnützigkeitsrecht reformieren. Über Diskussionen kam sie jedoch nicht hinaus. Unabhängig davon empfiehlt Christian Bischoff gemeinnützigen Vereinen, ihre Satzungen zu präzisieren „und den Bezug zu den satzungsgemäßen gemeinnützigen Zwecken im Rahmen politischer Betätigung zu dokumentieren“. Auch ein direkter Austausch mit der Finanzverwaltung sei ratsam. An die Adresse der Politik geht seine grundsätzliche Frage: „Wie viel Zivilgesellschaft wünschen wir uns?“ Und damit auch: Wie viel politisches Engagement jenseits der Parteien.