Vor der Klimakonferenz in Glasgow versuchen Politiker, die Welt wachzurütteln. Der Ton wird zunehmend verzweifelt. Und genauso ist die Lage.

Glasgow - Die Ratten sind schon da. Seit Monaten erschrecken die Glasgower Medien die Öffentlichkeit mit blutrünstigen Geschichten über aggressive Nager, die Müllmänner attackieren und Privathäuser unsicher machen. 1,3 Millionen von ihnen, schätzen Experten, treiben sich in der schottischen Metropole herum – mehr als doppelt so viele, wie Glasgow Einwohner zählt.

 

Die Zustände könnten noch schlimmer werden: Kommende Woche wollen die Bediensteten von Straßenreinigung und Müllabfuhr für höhere Löhne streiken – ausgerechnet während der Weltklimakonferenz COP26, an der mehr als 30 000 Menschen teilnehmen wollen – als Delegierte, Beobachter, Journalisten oder Aktivisten und Demonstranten.

Sogar Boris Johnson wirkt frustriert

Es geht um ein gewaltiges Ziel: Die Vereinten Nationen und COP-Präsident Alok Sharma wollen eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad. Einem neuen Bericht der UN-Umweltagentur Unep zufolge bedürfte es dafür einer globalen Anstrengung: Statt der notwendigen Reduzierung klimaschädlicher Emissionen um 45 Prozent bis 2030 sehen die derzeitigen nationalen Pläne gerade mal einen Rückgang um 7,5 Prozent vor. Das hätte eine katastrophale Erwärmung von geschätzt 2,7 Grad zur Folge. Von einem „donnernden Weckruf“ spricht UN-Generalsekretär António Guterres. Und selbst der normalerweise stets optimistisch auftretende britische Premierminister gab sich kleinlaut: „Es wird sehr, sehr schwierig“, so Boris Johnson.

Die Karbonlobby arbeitet emsig

Täglich bombardiert Downing Street die Hauptstadtpresse mit zunehmend verzweifelter klingenden Mitteilungen über Johnsons Telefonate mit Regierungschefs aus aller Welt. Da wird Vietnam beschworen, sich der Klimaneutralität („Net Zero“) bis 2050 zu verschreiben; da werden Indonesien und Russland gebeten, das auf 2060 festgelegte Ziel um zehn Jahre nach vorn zu verlagern; da wird der Blick auf Inselnationen wie die Fidschis gerichtet, die der Anstieg des Meeresspiegels mit dem Untergang bedroht.

Sonderlich aufmunternd scheinen die Gespräche nicht zu verlaufen. Darauf deuten auch Zehntausende interne Dokumente des Weltklimarats (IPCC) hin, die von Greenpeace der BBC zugespielt wurden. Sie zeigen die intensive Lobbyarbeit von CO2-Sündern aus allen Teilen der Welt – vom Kohleexporteur Australien über die Ölförderländer Saudi-Arabien und Norwegen bis hin zu Russland wehren sich die Betroffenen mit Händen und Füßen gegen die angestrebte rasche Vermeidung fossiler Brennstoffe.

Die Royals sind aktiv im Klimaschutz

In der Schwebe hängt auch das bereits 2009 bei der Konferenz in Kopenhagen abgegebene Versprechen führender Industrienationen, sie würden Entwicklungsländern 100 Milliarden Dollar für Projekte zur Dekarbonisierung zur Verfügung stellen.

Schon zu Wochenbeginn wollen sich mehr als 120 Staats- und Regierungschefs in Glasgow versammeln, um die Konferenz auf den Weg zu bringen. Fehlen werden nicht nur die Präsidenten Chinas und Russlands, Xi Jinping und Wladimir Putin, und damit die Chefs zweier großer Umweltverschmutzer. Auch das gastgebende Staatsoberhaupt hat seine Teilnahme abgesagt: Der 95-jährigen Queen Elizabeth II. haben die Leibärzte eine Kürzung ihres Arbeitspensums verordnet. Ein wenig royalen Glamour bringen wenigstens Sohn Charles und Enkel William, die Nummern eins und zwei der Thronfolge.

Prinz Charles tritt seit Jahrzehnten für Umweltschutz und Nachhaltigkeit ein. Die Welt müsse jetzt im Kampf gegen den Klimawandel vorankommen, sonst drohe eine Katastrophe, ruft der 72-Jährige: „Denn den Stress, der durch die Wetterextreme erzeugt wird, kann die Natur nicht überleben.“

Jetzt wird auch noch der Wohnraum in Glasgow knapp

Für die Glaswegians geht es zunächst einmal darum, die Belastung durch ihre zahlreichen Besucher zu verkraften. Mitte dieser Woche hatten mehrere Tausend COP26-Teilnehmer noch keine Ahnung, wo sie während der Konferenz wohnen sollen. „Allein auf unserer Warteliste stehen 3000 Menschen“, berichtet Katherine Jones vom Klimabündnis SCCScot. Immerhin 1300 finanzschwache Delegierte und Beobachter dürfen kostenlos bei rund 1000 Privathaushalten unterschlüpfen. Mehr sei nicht drin: „Bitte kommen Sie nicht, wenn Sie keine Unterkunft haben.“