Drei Wochen lang bringen Hunderte Helfer jedes Frühjahr in Ludwigsburg Wunderbares fertig. Ein Blick hinter die Kulissen der Vesperkirche, in der Altruismus, Teamgeist und Organisationskunst eine der besten Seiten der Stadt aufleuchten lassen.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Dass der Betrieb hier in einer guten Stunde auf Hochtouren laufen wird, ist um 10.30 Uhr in der fast noch leeren Friedenskirche kaum zu ahnen. Nur im Untergeschoss, in dem schon emsig in der Küche gefuhrwerkt wird und Kuchen aufgeschnitten werden, und hinter der Balustrade im ersten Stock des Gotteshauses deuten Anzeichen darauf hin. Dort sitzen in einem enormen Stuhlkreis an die 50 Leute und pendeln sich auf ihren Einsatz an diesem Vesperkirchentag ein. Schüler wie Joschka Meyle, die ein Praktikum machen. Rentner wie Bernhard Schlecht, die ihre Freizeit herschenken. Berufstätige wie Bettina Öztamur-Gerlach, die Urlaub genommen haben oder Gleitzeit arbeiten. „Mir geht es gut, ich habe alles, was ich brauche“, sagt Öztamur-Gerlach. „Warum soll ich nicht mithelfen?“

 

Ohne all diese Möglichmacher gäbe es die dreiwöchige Speisung nicht, bei der Arme mit weniger Armen, Junge mit Alten, am Rande der Gesellschaft Stehende mit solchen, die ein gesetteltes Leben führen, am gedeckten Tisch sitzen. Für 1,50 Euro bekommen sie ein komplettes Mahl, samt Suppe oder Salat, Kuchenstück, Kaffee oder Tee, manchmal gibt es Obst dazu. Die soziale Durchmischung habe sich allerdings zuletzt verändert, erzählen Projektleiterin Bärbel Albrecht von der Kreisdiakonie und Pfarrerin Gisela Vogt. Es kommen mehr Menschen, denen das Geld vorne und hinten nicht mehr reicht. Es gibt Besucher, für die sind drei Wochen Vesperkirche wie ein All-Inclusive-Urlaub, erzählt Gisela Vogt.

Gegen den Fisch kommt das Sellerieschnitzel nicht an

Albrecht und Vogt stimmen die Helfer mit einem Tages-Impuls ein und informieren über Ablauf und Hygiene. Sie stellen zusammen, wer ins Empfangs-, ins Theken-, Kassen-, Spül- oder ein anderes Team kommt. Sie geben Hinweise: Wo sich die Helfer die Hände waschen. Wann sie Pause machen und in einem Separee selbst zu Mittag essen können. Wen man holt, falls es zu Konflikten mit Gästen kommen sollte. Warum die Kuchen stückweise portioniert sind und an den Tisch gebracht werden – die Gäste können nicht mehr wie früher direkt an der Theke auswählen. Das vermeidet Gedrängel und Diskussionen, wenn es den Wunsch-Kuchen nicht gibt.

Dann schwärmt die Helferschar an ihre Einsatzorte aus. Alle haben Vesperkirchen-Schürzen an, jedem hängt außerdem ein Geschirrtuch am Schürzenbändel. So kann man sich schnell mal die Hände abtrocknen. Links und rechts der Kirchenbänke sind die Esstische vorbereitet. Blumen und Menükarten stehen darauf – die Karlshöhe liefert je ein vegetarisches und ein nicht-vegetarisches Gericht. Heute, an einem Freitag, ist Fisch-Tag. Viele Leute kommen da besonders gerne. Die Alternative Sellerieschnitzel, wiewohl sehr lecker, hat’s schwer dagegen.

„Eine super Truppe, die sagenhaft zusammen schafft“

Im Servierteam werden letzte Details besprochen: Salz und Pfeffer bei Bedarf zum Tisch bringen, aber wieder mitnehmen. Nachschlag geht – aber nur Beilagen. Und: Bevor man Essen wegwerfen muss, lieber vorher fragen, ob eine kleine oder eine normale Portion gewünscht ist. Weil jeden Tag andere Leute helfen, müssen Dinge immer wieder erklärt werden. Trotzdem klappt alles, denn Erfahrene nehmen Neue an die Hand. „Ich finde es beeindruckend, wie so viele Menschen täglich neu so organisiert zusammenarbeiten“, sagt Roland Hofmann, der über einen Einsatz des Sparkassen-Führungsteams zur Vesperkirche kam und sich, mittlerweile im Ruhestand, immer wieder einspannen lässt. „Das ist eine Dienstleistung im übertragenen Sinn. Ich mache es total gerne.“ Helfer Bernhard Schlecht sagt: „Das Vesperkirchen-Team ist eine super Truppe, die sagenhaft zusammen schafft.“

Ab kurz vor halb 12 geht es dann Schlag auf Schlag: Die ersten Gäste kommen früh, manche haben schon ihre Stammplätze. Für Leute mit Gehwagen gibt es extra Tische mit Abstellflächen. Die Besucher kaufen ihre Bons, werden begrüßt, zu den freien Plätzen geleitet. Kaum sitzen sie, nehmen die Helfer ihre Bestellungen auf, wetzen zur Theke los, holen auf Tabletts die Speisen, balancieren sie geschickt aneinander vorbei. Markus Fischer, Citymanager beim Ludwigsburger Innenstadtverein, hier aber privat als Helfer in Aktion, schubst im Akkord Zitronenscheiben und Remouladenkleckse auf Fisch mit Kartoffelsalat, ein Helferkollege füllt laufend die Salatschälchen auf. Um die 400 Mahlzeiten in mehreren Gängen werden in gut zwei Stunden in der Kirche kredenzt.

Die Vesperkirche ist mehr als nur ein Essen

Viele Ukrainerinnen, teils mit Kindern, sitzen an den Tischen. Fidele Rentnertruppen sind hier. Aber auch kranke Menschen. Einsame Menschen. Gäste, die kaum verbergen können, dass es ihnen nicht gut geht. Gäste, die schnell um Nachschlag bitten. An manchen Tischen entspinnen sich Gespräche, es wird gelacht. An anderen essen die Gäste schnell und stumm auf. Die Helfer bemühen sich darum, Zuspruch zu spenden und Zuversicht auszustrahlen, selbst wenn sie ahnen, in welch schweren Alltag mancher Gast später zurückkehren wird. Doch die Vesperkirche ist mehr als nur ein Essen in Gemeinschaft: In den Kirchenbänken steht eine Sozialberaterin für Gespräche bereit, im Ambulanzraum ein Arzt. Eine Masseurin knetet Gäste, die es nötig haben, durch.

Mancher Gast bleibt bis zu allerletzt – bis um 14.30 Uhr auch das Kaffeetrinken endet. Wenn dann noch etwas übrig ist, darf es mitgenommen werden. Vereinzelt sichern sich Menschen so noch ein kostenloses Essen für tags darauf oder einen Partner daheim. Die Helfer räumen ab, wischen Tische, stuhlen auf, richten schon manches für den nächsten Tag. Schürzen werden gefaltet, Namensschilder abgelegt. „Es war ziemlich cool“, bilanziert der 16-jährige Joschka sein nun beendetes Praktikum. Martin Ott, der eigentlich bei einer Bank arbeitet, sagt: „Hier zu helfen ist wie eine Spende. Nur ohne Geld.“

Günstig essen unter dem Motto „Miteinander für Leib und Seele“

Das Essen
Noch bis 5. März gibt es täglich zwischen 11.30 Uhr und 13.45 Uhr ein Mittagessen und bis 14.30 Uhr Kaffee und Kuchen für 1,50 Euro in der Ludwigsburger Friedenskirche. Wer mehr zahlen kann, dessen Spende ist willkommen.

Die Organisatoren
Die Vesperkirche wird von der Diakonischen Bezirksstelle Ludwigsburg, von der Evangelischen Gesamtkirchengemeinde Ludwigsburg und von vielen Ehrenamtlichen getragen. Im Helferpool sind fast 600 Bereitwillige registriert, rund 300 sind pro Vesperkirchenjahr im Einsatz.

Die Finanzierung
Das Projekt Vesperkirche kostet – mit dem Stellenanteil der Projektleiterin Bärbel Albrecht, Reinigungskräften, Heizung und Material rund 100 000 Euro, die komplett spendenfinanziert sind. Falls die Spenden nicht ausreichen würden, müssten der Kreisdiakonieverband und die Gesamtkirchengemeinde einspringen.

Das Finale
Am Sonntag, 5. März, hält Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl um 9.30 Uhr den Abschluss-Gottesdienst in der Friedenskirche, bei dem auch Bärbel Albrecht und Gisela Vogt verabschiedet werden. Albrecht übernimmt neue Aufgaben im Kreisdiakonieverband, Vogt geht im Sommer in den Ruhestand.