Beim VfB Stuttgart hat sich nicht nur gegen die Bayern gezeigt, dass viele Gegentore über die linke Abwehrseite eingeleitet werden. 15 Gegentore haben die Stuttgarter schon nach Angriffen über diese Seite hinnehmen müssen. Nur: wie ist die Misere zu beheben?

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart - Cristian Molinaro hat sich ein wenig Zeit eingeräumt. Einen Tag und wohl eine Nacht werde er benötigen, um die Enttäuschung nach seinem fatalen Fehler gegen den FC Bayern zu verarbeiten. Seinen Therapieansatz nannte der Italiener in Diensten des VfB Stuttgart unmittelbar nach dem 0:2 gegen die Münchner auch gleich: Emilio – spazieren und spielen mit dem halbjährigen Sohn.

 

Trotz der schnell zurückgewonnenen inneren Ruhe nach der von ihm ausgelösten Niederlage, wird Molinaro aber eines zum nächsten Spiel nach Düsseldorf begleiten: die linke Abwehrseite wächst sich zur Problemzone aus. 15 Gegentore haben die Stuttgarter schon nach Angriffen über diese Seite hinnehmen müssen. Das bedeutet nicht nur den absoluten Minuswert in der Liga, sondern macht bei insgesamt 32 Gegentreffern einen erheblichen Teil aus.

„Wir kennen diese Statistik auch“, sagt Bruno Labbadia, und der Trainer sieht dabei aus, als würde er die Zahlen am liebsten gar nicht thematisieren. Denn er weiß nur zu gut, dass die Konkurrenz die instabile Seitenlage der Stuttgarter ebenfalls kennt. Und selbst wenn am Samstag bei der Fortuna kein Thomas Müller auf seinen unberechenbaren Wegen und kein Franck Ribéry im höchsten Tempo mit dem Ball am Fuß auf Molinaro zustürmen wird, muss man beim VfB Schlimmeres befürchten.

Defensive ist Kollektivarbeit

Die Misere auf links jedoch allein an Molinaro oder seinem clubinternen Konkurrenten Arthur Boka (zurzeit mit der Elfenbeinküste beim Afrikacup) festzumachen, greift zu kurz. Auch wenn sich die beiden Außenverteidiger bei ihren Pflichtspieleinsätzen in dieser Saison eine Reihe von individuellen Patzern erlaubt haben. Doch Defensive im Fußball ist schon lange Teamwork – und wer sich darüber ärgert, dass auch das zweite Münchner Tor über die schwache Stuttgarter Seite vorbereitet wurde, der kann sich auch fragen, warum Daniel van Buyten den Ball nicht in eine Schnittstelle der Viererkette passen musste. Unbedrängt öffnete sich dem Innenverteidiger ein ganzer Korridor.

Den Grundgedanken, nicht nur den letzten Fehler in der Kette zu analysieren, sondern deutlich vorher mit der Analyse anzufangen, pflegt zum Beispiel Jürgen Klopp konsequent. Beim Meister des Kollektivfußballs braucht sich deshalb kein Spieler allein gelassen zu fühlen, weder auf dem Platz noch hinterher. Labbadia verfolgt diesen Ansatz ebenfalls. Allerdings mit der Einschränkung, dass sich die VfB-Spieler deutlich störanfälliger zeigen als die Dortmunder. Denn gegen die Bayern hatte Labbadia in der Pause noch einmal angemerkt, keine Rückpässe auf den Torhüter Sven Ulreich zu spielen. Nur fünf Minuten später hielt sich Molinaro nicht mehr daran.

Das ärgert den Trainer natürlich, und hat nicht nur gegen den Tabellenführer die am Taktikbrett entstandenen Pläne über den Haufen geworfen. „Wer sich das 1:6 aus dem Hinspiel noch einmal angeschaut hat, weiß, dass wir die Partie in München im Spiel mit Ball verloren haben, nicht im Spiel gegen den Ball“, sagt Labbadia. Auch diesmal tappte der VfB wieder in die Falle.

Komplexes Anforderungsprofil an Außenverteidiger

Dennoch zweifelt auf dem Wasen niemand an Molinaros Kernkompetenz als Außenverteidiger. Es ist nur so, dass sich der 29-Jährige – ebenso wie sein Kompagnon Boka (29) – immer wieder dem Verdacht der Schludrigkeit auf dem Rasen aussetzt. Und es ist auch so, dass sowohl dem Italiener als auch dem Ivorer die Konstanz abgeht, die sie zu Beginn ihrer Zeit beim VfB auszeichnete. Molinaro verteidigte zuverlässig und zäh, Boka draufgängerisch und effektvoll – und nach der Balleroberung sprinteten beide energisch die Außenbahn entlang, um zu flanken.

Damit ist das komplexe Anforderungsprofil an einen Außenverteidiger von Klasse umrissen. Sie müssen nicht nur geschickte Abwehr-, sondern auch gute Aufbauspieler sein. Sie müssen nicht nur Räume schließen, sondern auch welche aufreißen. Sie müssen also verteidigen – und stürmen. Deshalb sind sie, wie weitere Statistiken belegen, ständig am Zug. Zuletzt wiesen sowohl Cristian Molinaro (54) als auch der bayerische Amtskollege Philipp Lahm (100) jeweils die meisten Ballkontakte in ihren Mannschaften aus.

Solche Werte sind keine Seltenheit bei Außenverteidigern, was die Bedeutung der Position nur noch unterstreicht und zu der Frage führt, wie Labbadia mit dem Problem links hinten umzugehen gedenkt. „Wir arbeiten weiter“, sagt der Trainer – und wird froh sein, wenn Molinaros Selbsthilfekräfte schon in Düsseldorf tatsächlich wirken.