Plötzlich geht es los – ausgerechnet in der Cannstatter Kurve, wo die treuesten Fans stehen, die trotz der sportlichen Misere zuletzt zumindest vordergründig immer für gute Stimmung in der Arena gesorgt haben. Damit ist es jetzt aber vorbei. 0:4 gegen Augsburg. Nichts ist mehr so wie es war.

80 Minuten sind absolviert, als eine La-Ola-Welle die Runde macht – und dann noch eine und noch eine. Der Spott, der auf die Mannschaft einprasselt, will gar nicht mehr enden. Und als die Welle dann doch abebbt, singen viele Anhänger noch: „Oh, wie ist das schön.“ Es ist ein Aufstand der besonderen Art, der den VfB vermutlich mehr schmerzt als jede Sitzblockade oder jede andere übliche Protestaktion.

Nach dem Schlusspfiff verschwinden die allermeisten Spieler sofort in der Kabine. Die Zuschauer pfeifen. Deshalb kehren die Profis noch einmal auf den Platz zurück. Näher als 15 Meter trauen sie sich aber nicht an die Fans in der Kurve heran. Sie werden beschimpft und verschwinden endgültig in den Katakomben. „Wir haben viel Kredit verspielt“, sagt Dutt, „die Unzufriedenheit der Leute ist absolut nachvollziehbar.“ Anders ausgedrückt: der Bruch mit dem Publikum ist hiermit perfekt.

Dabei war der VfB in den vergangenen Wochen so stolz auf die Rückendeckung an der Basis, doch da brodelt es schon länger – angesichts dessen, was der Club seit Jahren abliefert und was er der zahlenden Kundschaft zumutet. Deshalb befürchten nicht wenige Mitarbeiter beim VfB, dass dieses Zerwürfnis nicht mehr so schnell zu kitten ist – wenn überhaupt.

Zurück ließ Zorniger eine verstörte Mannschaft. Sie bildete auch ohne ihren Vorgesetzten diesen viel beschworenen Kreis, den Zorniger eingeführt hat – und der Zusammenhalt demonstrieren soll. In diesem Augenblick offenbarte das Ritual nach Spielende aber nur, dass sich etwas im Verhältnis zwischen Team und Trainer verschoben hat. Einen Riss sehen diejenigen, die zu Dramatik neigen und Zornigers Fußball sowie seiner Brachialpsychologie nichts abgewinnen können. So weit wollte Christian Gentner aber nicht gehen. Bei weitem nicht. Der erfahrene Mittelfeldmann zeigte Verständnis für die Enttäuschung des Trainers. Der wirkte bemerkenswert gefasst und sagte: „Ich hätte sicher die falschen Worte gewählt. “ Zorniger war auch bereit, die Schuld für diese apathische Vorstellung auf sich zu nehmen („Ich muss im Vorfeld total auf die Seite geguckt haben“). Er sagte aber ebenso: „Ich mache den Kreis genau dann, wenn ich das Gefühl habe, dass wir auf dem Platz geschlossen auftreten.“

Das Gegenteil war der Fall, weshalb dieses Spiel wie ein Hilferuf wirkte. Gentner war es schließlich, der die Reihen trotz des fußballerischen Fiaskos geschlossen halten wollte. „Ich wollte nicht, dass wir Spieler verstreut auf dem Rasen liegen und jeder sein eigenes Ding macht“, erklärte der Kapitän. Also richtete er statt Zorniger die ersten Worte an die Mannschaft. Gentners Botschaft in Kurzform: „Wir haben viel zu viele Fehler gemacht. Das reicht nicht für die Bundesliga. Zum Glück bietet uns der Fußball aber schnell wieder die Chance, das alles zu korrigieren.“ Am nächsten Sonntag bei Borussia Dortmund.

Das Vertrauen in den Trainer

Es war vermutlich kein besonders gutes Zeichen, dass Robin Dutt auf die Frage, ob der Weg mit Alexander Zorniger jetzt weitergegangen wird, nur mit einem einzigen Wort antwortete und dann schnell wieder das Thema wechselte. Dieses eine Wort lautete zwar „ja“, doch ob das dann auch tatsächlich noch der Überzeugung des Sportvorstands entspricht, ist ungewiss. Denn zu tief sitzt bei den Verantwortlichen der Schock, den dieser kaum zu erklärende Auftritt beim 0:4 gegen Augsburg verursacht hat. Der ganze VfB ist erschüttert – und deshalb geht die Vereinsführung nun auch nicht zur Tagesordnung über.

Vielmehr haben bereits am Samstagabend und am Sonntag verschiedene Gespräche auf allen Ebenen stattgefunden, die an diesem Montag noch fortgesetzt werden sollen. So wird die Lage beispielsweise mit den Spielern erörtert. Wie ist ihr Verhältnis zu Zorniger? Wie ist die Stimmung insgesamt? Wo liegen die Probleme? Auch davon hängen weitere Schritte der Clubspitze ab. Sicher scheint momentan höchstens, dass Zorniger nicht zurücktreten wird. Dazu ist er nicht der Typ.

Der VfB scheint dagegen gespalten. Einerseits ist mit diesem Trainer eine Spielidee verbunden, die den Verein in eine bessere Zukunft führen sollte. Zorniger wurde im Sommer sogar als Heilsbringer präsentiert. Daneben war die desaströse Darbietung gegen Augsburg in dieser Form auch nicht absehbar – ein Ausrutscher also nur? Zum anderen stehen nach 13 Partien jedoch erst zehn Punkte auf dem Konto – eine schlechtere Bilanz hatte der VfB in seiner langen Bundesligageschichte noch nie vorzuweisen – also doch mehr als ein Ausrutscher?

Wie es zu bewerten ist, liegt an Dutt. Er hat das letzte Wort beim Trainer. Zieht er die Notbremse? Wenn nicht, steht auf jeden Fall fest, dass sich so ein Spiel nicht wiederholen darf. „So etwas werden wir nicht mehr dulden“, sagt Dutt. Sonst gibt es keine Argumente mehr für Zorniger. Er müsste gehen – spätestens dann. In Markus Gisdol wäre eine Alternative auf dem Markt. Er würde vom Ansatz her für die VfB-Konzeption stehen.

Das Verhältnis zu den Fans

Plötzlich geht es los – ausgerechnet in der Cannstatter Kurve, wo die treuesten Fans stehen, die trotz der sportlichen Misere zuletzt zumindest vordergründig immer für gute Stimmung in der Arena gesorgt haben. Damit ist es jetzt aber vorbei. 0:4 gegen Augsburg. Nichts ist mehr so wie es war.

80 Minuten sind absolviert, als eine La-Ola-Welle die Runde macht – und dann noch eine und noch eine. Der Spott, der auf die Mannschaft einprasselt, will gar nicht mehr enden. Und als die Welle dann doch abebbt, singen viele Anhänger noch: „Oh, wie ist das schön.“ Es ist ein Aufstand der besonderen Art, der den VfB vermutlich mehr schmerzt als jede Sitzblockade oder jede andere übliche Protestaktion.

Nach dem Schlusspfiff verschwinden die allermeisten Spieler sofort in der Kabine. Die Zuschauer pfeifen. Deshalb kehren die Profis noch einmal auf den Platz zurück. Näher als 15 Meter trauen sie sich aber nicht an die Fans in der Kurve heran. Sie werden beschimpft und verschwinden endgültig in den Katakomben. „Wir haben viel Kredit verspielt“, sagt Dutt, „die Unzufriedenheit der Leute ist absolut nachvollziehbar.“ Anders ausgedrückt: der Bruch mit dem Publikum ist hiermit perfekt.

Dabei war der VfB in den vergangenen Wochen so stolz auf die Rückendeckung an der Basis, doch da brodelt es schon länger – angesichts dessen, was der Club seit Jahren abliefert und was er der zahlenden Kundschaft zumutet. Deshalb befürchten nicht wenige Mitarbeiter beim VfB, dass dieses Zerwürfnis nicht mehr so schnell zu kitten ist – wenn überhaupt.

Auch diesen Punkt bedenkt die Vereinsführung in der laufenden Debatte um Zorniger. Zumal es nicht nur die Fans in der Kurve waren, die sich am Samstag in Sarkasmus flüchteten. La Ola machte auch vor den Vip-Bereichen auf der Haupttribüne nicht Halt, wo Sponsoren sitzen. Wenn sie aus Frust den Geldhahn zudrehen oder zumindest nicht weiter öffnen, wird die Situation für den VfB noch trostloser.

Die Sicht des Sportvorstands

Am vergangenen Dienstag hat Dutt noch gesagt, dass seiner Meinung nach auch mit diesem Kader ein gesicherter Mittelfeldplatz möglich sei und dass es deshalb nicht unbedingt notwendig ist, in der Winterpause personell nachzubessern. Nach dem Debakel gegen Augsburg hört sich das aber ganz anders an. „Es ist mein großer Wunsch, dass wir uns im Januar verstärken“, sagt der Sportvorstand jetzt.

Das ist dann auch das Eingeständnis, bei den Transfers im Sommer keine glückliche Hand gehabt zu haben. Wer hat die Mannschaft weitergebracht? Von den acht Neuzugängen (Tyton, Langerak, Heise, Insua, Sunjic, Rupp, Kruse, Kliment) wohl höchstens Insua – wahrlich keine gute Bilanz.

In Folge dessen hat Dutt umgedacht. Spieler sollen geholt werden. Aber er schlägt nun auch andere Töne an gegenüber jenen, die schon unter Vertrag sind. Nachdem er sich bis zur Pleite gegen Augsburg stets schützend vor sie gestellt hatte, sagt er unmittelbar danach, „dass zum ersten Mal in dieser Saison die fußballerischen Grundtugenden nicht vorhanden waren“. Deshalb müsse man hellhörig werden.

Unter diesen Grundtugenden versteht Dutt etwa das Zweikampfverhalten oder die Mentalität oder die Kompaktheit – oder ganz allgemein formuliert: die Einstellung. Sie hat am Samstag total gefehlt. Dutt spricht von einem Kollektivversagen. Wer letztlich dafür verantwortlich ist, dass zumindest diese elementaren Voraussetzungen gegeben sind, um überhaupt erfolgreich sein zu können, ist jedoch auch klar: der Trainer. Das ist seine Aufgabe.

Unabhängig davon packt Dutt nun die Spieler härter an, denen er zuvor gute Charaktereigenschaften bescheinigt hatte. Selbstkritik fordert er von ihnen und „dass sie sich mit der Lage auseinandersetzen“. Jeden Einzelnen werde er zur Rede stellen, „damit sich keiner wegschleichen oder auf eine Alibiposition zurückziehen kann“. Der Ton wird eindeutig rauer auf dem Wasen.

So hat dieser Samstag sehr vieles verändert beim VfB. Nur der Mann in der Stadionregie macht seinen Job unbeirrt wie immer. So ist kurz vor Schluss auf der Videotafel zu lesen: „Jetzt Rückrunden-Dauerkarte sichern!“ Aber diese Botschaft geht unter im La Ola der Fans.