Der Fußball-Bundesligist aus dem Breisgau achtet bei Neuverpflichtungen in besonderem Maße auf die soziale Kompetenz seiner Spieler. Auch dadurch entsteht Jahr für Jahr eine wettbewerbsfähige Mannschaft.

Sport: Marco Seliger (sem)

Freiburg - Die Wochen der Wahrheit würden sie in Freiburg wohl niemals ausrufen, ebenso wenig würden sie ein paar Runden vor Saisonschluss von den Endspielen, die da nun kommen, sprechen. Dazu sind sie in ihrem Biotop an der Dreisam zu geerdet. Endspiele gibt’s in der Champions League, und da kommen wir eh nicht hin – so oder so ähnlich würde sich der Trainer Christian Streich wohl zu diesen komischen Dramatisierungen äußern.

 

Allerdings ist es auch den Strategen des Sportclubs nicht entgangen, dass der Monat April für sie wegweisend sein wird. VfL Wolfsburg, FSV Mainz 05, HSV, 1. FC Köln, so heißen da die Gegner des SC. Allesamt Konkurrenten im Kampf gegen den Abstieg sind das – wenn man so will, ist das Heimspiel an diesem Freitag gegen den VfB Stuttgart (20.30 Uhr) so etwas wie die Ouvertüre für die Mission Klassenverbleib.

Der SC muss häufig von vorne anfangen

Die Chancen darauf stehen nicht schlecht, mit 30 Punkten hat der SC aktuell fünf Punkte Vorsprung auf den Tabellen-16. Mainz. Die Freiburger haben die Dinge also in der eigenen Hand – weil sie wieder einmal das geschafft haben, was ihnen mit wenigen Ausnahmen seit mehr als zwei Jahrzehnten gelingt: Mit bescheidenen finanziellen Mitteln nach dem Abgang der besten Spieler wieder von vorn anzufangen und eine wettbewerbsfähige Mannschaft aufzubauen. Denn wer in Freiburg herausgeragt, der ist meist nicht lange zu halten. So wie vor dieser Saison, als Maximilian Philipp (für 20 Millionen Euro zu Borussia Dortmund) und Vincenzo Grifo (für sechs Millionen nach Mönchengladbach) Freiburg verließen. Und was macht der SC? „Wir strampeln von Jahr zu Jahr“, sagt der Sportvorstand Jochen Saier. Und am Ende, da schaukeln sie ihr Baby in Freiburg schon – meist in Richtung Klassenverbleib.

Ein eingespieltes Trio

Saier (39) weiß um die Gegebenheiten. Der gebürtige Lahrer ist seit 15 Jahren beim SC, erst als Leiter der Fußballschule, dann, seit 2014, als Sportvorstand. Saier ist ein Kind des Schwarzwalds, er spricht über den SC Freiburg wie der Förster über die Kultivierung seiner Bäume. „Wir wollen organisch wachsen“, sagt er – und mit „wir“ meint er nicht nur den ganzen Verein. Sondern speziell auch sich und seine Mitstreiter, mit denen er beim SC schon immer zusammenarbeitet: Christian Streich und Klemens Hartenbach.

Der heutige Bundesliga-Coach und Saiers aktueller Kollege im Sportvorstand arbeiteten 2003 als Trainerteam der A-Junioren – unter Jochen Saier, der damals die Fußballschule leitete. Das Klima war vertrauensvoll, die Hierarchie flach, der Austausch intensiv. Das Trio Hartenbach, Saier und Streich redete sich die Köpfe heiß über die fußballerische Ausbildung der Jugendteams. Das ist bis heute so geblieben – nur in anderen Positionen. Und in der Bundesliga. Davon profitiert der SC. Weil jeder weiß, was der andere will. Vor allem wenn es darum geht, vor jeder Saison die Abgänge der Leistungsträger zu kompensieren und neue Spieler nach Freiburg zu holen.

Check im Wohnzimmer des Trainers

Wie kaum ein anderer Bundesligaclub klopft der SC potenzielle Neuzugänge nach ihrer sozialen Kompetenz ab. „Wir achten sehr darauf, wie sich die Jungs in ein Kollektiv einbringen können, wie intelligent sie sind, um neue Dinge aufnehmen zu können, wie schnell sie neue Einflüsse verarbeiten“, sagt Saier. Manchmal lädt Christian Streich einen möglichen Neuen mit der Ehefrau auch mal ins heimische Wohnzimmer ein. „Es ist“, sagt Saier, „das volle Programm.“ Der SC fährt es, weil er sich aufgrund der beschränkten finanziellen Mittel kaum Fehlgriffe leisten kann.

Glücksgriffe Koch und Ravet

Auch in diesem Jahr bewies Freiburg ein glückliches Händchen – Defensivmann Robin Koch etwa kam für vier Millionen Euro vom 1. FC Kaiserslautern und ist jetzt Stammspieler. Auch Offensivmann Yoric Ravet (für vier Millionen aus Bern) überzeugte bisher. Die beiden halfen, dass die Abgänge von Grifo und Philipp kompensiert werden konnten. Dass der SC zuletzt entgegen seiner Tradition spielerisch kaum Glanzlichter setzte, sieht Trainer Streich pragmatisch. „Mir möchte besser kicke“, sagt er, „aber ich kann nicht die Quadratur des Kreises verlangen.“ Auch Geduld bei der Entwicklung der Spieler ist in Freiburg eine Tugend.