Der VfB Stuttgart gastiert heute bei Werder Bremen. Die Norddeutschen haben im Sommer einen Umbruch vollzogen – und wollen möglichst bald wieder international spielen.

So richtig gewöhnen kann sich ein Fußballprofi an die Situation nicht. Zumindest wenn er so lange beim SV Werder Bremen beschäftigt ist wie Clemens Fritz, der mittlerweile seine siebte Saison an der Weser bestreitet. Der gebürtige Erfurter geht in Bremen längst als Kapitän und Wortführer voran, und der momentan als Linksverteidiger zweckentfremdete 31-Jährige hat mal gesagt, dass es ein zweischneidiges Schwert sei, unter der Woche auf dem Sofa zu liegen und Fernsehen zu schauen, wenn die Elite der Bundesliga sich in den europäischen Wettbewerben betätige. Klar, die Kicker können Kraft sparen, aber gleichzeitig werden sie bei Betrachten der Champions League und Europa League auch fatal an die Versäumnisse der vergangenen beiden Jahre erinnert.

 

Das zweite Jahr nacheinander bestreitet der einstige Dauergast in der Königsklasse allein den Bundesligaalltag – denn auch der Zusatzschicht im DFB-Pokal haben sich die Hanseaten unfreiwillig früh entledigt. Dass an der Weser trotzdem eine erstaunlich gute Stimmung herrscht und dem Heimspiel am Sonntag gegen den VfB Stuttgart bei Fans wie Mannschaft entgegengefiebert wird, ist dem positiv angelaufenen Umbruch vor dieser 50. Bundesligasaison zuzuschreiben. Der Vorstandschef Klaus Allofs macht gar keinen Hehl daraus, dass er bei der Beratschlagung mit seinem vertrauten Trainer Thomas Schaaf – das Duo ist seit 1999 im Amt – zu dem Schluss kam, „dass wir uns verändern wollen“.

Im Kader, im System, im Umgang: es sind die vielleicht größten Renovierungsarbeiten gewesen, die in dem grün-weißen Gebilde je stattgefunden haben. Torwart Tim Wiese, damals der einzige verbliebene deutsche Nationalspieler, wurde bewusst kein Vertragsangebot unterbreitet, denn „Sebastian Mielitz ist der eindeutig Bessere in der Spieleröffnung“ (Allofs). Der 23-Jährige, der schon als Kind in Werder-Bettwäsche schlief, hat zwar den Bremern noch kein Spiel gewonnen, aber seine Veranlagung ist unbestritten. Und dieser Keeper gibt in jeder Hinsicht den Teamplayer. Oder wie Allofs sagt: „Der Gegenentwurf zu Tim Wiese.“

Bei der unglücklichen 2:3-Niederlage in Hannover standen zudem fünf Neuzugänge in der Startelf: der tschechische Rechtsverteidiger Theodor Gebre Selassie (25 Jahre), der Deutsch-Kongolese Assani Lukimya (26), der Belgier Kevin de Bruyne (21), der Niederländer Eljero Elia (25) und die Bayern-Leihgabe Nils Petersen (23). Mit Ausnahme von Lukimya habe sie alle im neuen 4-3-3-System, das eine grundsätzliche Abkehr von der für Schaaf über ein Jahrzehnt heiligen Mittelfeldraute bedeutet, einen festen Platz erobert. „Uns hat in der vergangenen Saison etwas ganz Entscheidendes gefehlt: Tempo“, erklärt Allofs. „Wir wollen als Werder Bremen Dynamik und Schnelligkeit verkörpern.“

In der Tat spielen die Hanseaten nicht nur flott und frech nach vorn, sondern auch variantenreich. Und doch haftet dem Sturm-und-Drang-Stil, der selbst bei der 1:2-Niederlage zum Auftakt in Dortmund reichlich Respekt verdiente, ein entscheidender Makel an: die Risiken und Nebenwirkungen in der Rückwärtsbewegung. Zu den beiden Flügelstürmern (Marko Arnautovic und Elia) gesellen sich nämlich zwei offensiv orientierte, technisch sehr beschlagene Mittelfeldantreiber (Aaron Hunt und de Bruyne), die sich indes allesamt nur bedingt an der Arbeit gegen den Ball beteiligen. Deshalb steht Schaaf vor einem Zwiespalt. Einerseits konstatiert der 51-Jährige: „Diese Mannschaft bringt Emotion, Leidenschaft und Faszination auf dem Platz.“ Andererseits analysiert er: „Wir müssen eine bessere Balance finden zwischen offensiv und defensiv.“

Doch abgehen möchte der Offensivliebhaber Schaaf von dieser Ausrichtung nicht, gleichwohl fordert er: „Die Mannschaft muss gegen Stuttgart ein Schippe drauflegen. Jetzt zu sagen, wenn wir so weitermachen, dann kommen die Ergebnisse von alleine, wäre ein Fehler.“ Der Erfolgsdruck ist schließlich gegeben: Clubboss Allofs hat oft genug betont, er möchte wieder internationalen Fußball in Bremen sehen. Das sei nicht nur sportlich reizvoll, sondern irgendwie auch wirtschaftlich notwendig.