Vor dem Duell gegen seinen Ex-Club aus Dortmund werden bei Hannes Wolf viele Emotionen wach. „Ich bin aber auch in diesem Spiel zu hundert Prozent Trainer des VfB“, stellt der 36-Jährige klar.

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

Stuttgart - Wenn Hannes Wolf einfach mal ein kleines Stückchen BVB in den VfB verpflanzen dürfte, dann wüsste er, was zu tun ist. Denn einen wie den 19 Jahre jungen Christian Pulisic, den US-Shootingstar im Dress der Schwarz-Gelben, den würde er natürlich jederzeit mit Kusshand nehmen. Als Pulisic 15 Jahre alt war, da bekamen Wolf und sein Assistent Miguel Moreira den Offensivspieler in der Dortmunder Jugend in ihre Hände. „Wir wussten sofort, was das für eine Verantwortung ist. Denn Christian war schon damals ein fantastischer und ganz außergewöhnlicher Spieler“, erzählt Wolf: „Ich freue mich daher, ihn wiederzusehen.“

 

Alles in allem werden also bei Hannes Wolf eine Menge Emotionen wach geküsst, wenn der Tabellendritte Borussia Dortmund am Freitag (Anpfiff ist um 20.30 Uhr) in der Stuttgarter Fußballarena vorfährt. Schließlich durfte der VfB-Coach 2009 einige Monate nach dem Abend des 22. Januar bei der Borussia anfangen. Damals hatte der BVB- Cheftrainer Jürgen Klopp auf der Dortmunder Sportlerehrung nach seiner Handynummer gefragt. Ein erfolgreicher und talentierte Jungcoach des Westfalenligisten Aplerbecker SC 09 war Wolf damals, ein studierter Sportlerwissenschaftler mit C-Lizenz von gerade mal 28 Jahren, der auf demselben Sportlerball, das Schicksal wollte es so, auch seine heutige Ehefrau Julia lieben lernte. Die war damals bei den BVB-Handballerinnen aktiv.

Für den Neuling gehen viele Türen auf

„Dass man mich damals nahm, war aber sicher keine Goodwill-Aktion“, stellt Wolf klar: „Man hat schon damals erkannt: Da ist einer sehr engagiert und will etwas erreichen.“ Also durfte der Novize („Es wurden mir beim BVB viele Türen aufgemacht. Aber ich habe auch hart gearbeitet“) in seinen sieben schwarz-gelben Jahren in alle Abteilungen reinschauen: Er schwärmt noch heute von den „Top-Profis“, die in Dortmund arbeiten – und zwar vom Management bis hin zum Scouting. Persönlich waren die ersten vier Jahre hart, denn es lief sportlich nicht allzu rund. „Dafür waren die letzten drei Jahre fantastisch“, sagt Wolf, der zweimal mit der U 17 und dann mit der U 19 deutscher Meister wurde.

Wie Jürgen Klopp wurde später auch dessen Nachfolger Thomas Tuchel mitsamt seines Trainerstabs zu seinem Mentor. „Wenn du die Chance hast, von solchen Leuten zu lernen, wäre es Wahnsinn, das nicht zuzulassen“, sagt Wolf, der aber schon immer auch seine eigenen Charakterzüge ins Coaching einbrachte, etwa bei der Ansprache zu den Spielern. Von Klopp, Tuchel und Co. hat er aber vor allem in spieltaktischen Fragen viel verinnerlicht.

Es steckt daher ziemlich viel Dortmund in Hannes Wolf, auch wenn der in Bochum geboren wurde. Also will der 36-Jährige auch gar nicht leugnen, dass das Heimspiel seines VfB am Freitag gegen seinen Lehrverein für ihn eine spezielle Würze besitzt: „Es ist ein besonderes Spiel, denn es ist emotional. Der BVB ist meine Herkunft, aber das ändert nichts an der Herangehensweise an das Match“, sagt der VfB-Trainer – dem eines extrem wichtig ist: „Ich bin auch in diesem Spiel zu hundert Prozent Trainer des VfB Stuttgart“, unterstreicht Wolf: „Ich werde meiner Mannschaft wie immer helfen – und werde alles reinlegen. Denn nach dem Anpfiff spielen für mich Emotionen überhaupt keine Rolle mehr.“

Tatsächlich ist ja auch der rote Brustring längst ein Teil von Wolfs Fußballer-DNA. „Wenn ich etwa mit der Familie mit dem Zug in Stuttgart einfahre, habe ich das Gefühl, nach Hause zu kommen“, sagt der ehemalige Stürmer, der Vater von zwei kleinen Töchtern ist: „Man kann nicht nur eine Heimat haben, sondern mehrere. Meine Familie ist hier voll angekommen, meine Kinder sind glücklich, was an den tollen Menschen liegt, die uns hier begegnen.“

Der BVB ist ein Verein auf Topniveau

Natürlich gebe es gewaltige sportliche Unterschiede zwischen dem BVB und dem VfB, das werde bereits beim Blick auf die Marktwerte der Spielerkader beider Teams klar (Dortmund: 439 Millionen Euro, Stuttgart: 71 Millionen Euro). Nach ihren Krisenjahren hätten die Borussen eben gute Transfers getätigt – und anschließend mit der Klopp’schen Spielphilosophie „die Bundesliga gerockt“. Nun sind sie Dauergast in der Champions League, besitzen ein Topscouting und seit 2006 ein modernes Trainingsgelände. „Das sind Strukturen auf Topniveau“, sagt Hannes Wolf: „Da kann der VfB aktuell nicht mithalten.“

Anders verhalte es sich da bei der Tradition und der Kraft der Fanszene. Die hat Hannes Wolf am meisten überrascht. „Wie viel der VfB den Menschen hier bedeutet, hätte ich vorher nie gedacht“, sagt der 36-Jährige – und findet gerade die Unterstützung in der schweren Vorsaison noch heute unfassbar: „Die Gesichter der Menschen nach dem Aufstieg, als wir am 21. Mai oben auf dem Wagen standen, die werde ich nie vergessen.“ Doch zweite Liga, das war gestern. Am Freitag kommt der BVB – und Wolf sagt: „Wir brauchen schon eine herausragende Leistung, um etwas zu holen.“