Vor dem Rückrundenauftakt der Bundesliga blickt Matthias Sammer nicht nur auf das Topspiel zwischen Leverkusen und Bayern. Sondern auch auf seinen Ex-Club VfB Stuttgart, wo er die Hoffnungen auch in einen Mann setzt, der schon lange nicht mehr Fußball spielt.

München - Gesprächstermin in München, Matthias Sammer ist hoch motiviert. Bei einem Bundesligaclub ist der 50-Jährige seit seinem krankheitsbedingten Ausstieg beim FC Bayern im Juli 2016 zwar nicht mehr beschäftigt (und denkt auch nicht an eine Rückkehr). Als Experte aber geht der frühere Spieler und Trainer des VfB Stuttgart mit altbekanntem Elan zur Sache. Also spricht Sammer vor dem ersten Rückrundenspiel zwischen Leverkusen und den Bayern an diesem Freitag (20.30 Uhr), bei dem der Sachse für den übertragenden Sender Eurosport im Einsatz ist, über fünf Brennpunkte.

 

Die Dominanz der Bayern

Mit elf Punkten Vorsprung startet der FC Bayern in die Rückrunde. Zur Formsache dürfte für die sechste deutsche Meisterschaft hintereinander werden. Wenig überraschend, dass in einer „Kicker“-Umfrage unter den Bundesligaprofis 97,7 Prozent der Teilnehmer die Meisterfrage mit Bayern beantworteten. Viel überraschender, dass es 2,3 Prozent gab, die daran offenbar zweifeln.

Das sagt Matthias Sammer „Es ist beeindruckend, dass die Bayern trotz ihrer Titelserie noch immer hungrig geblieben sind. Mit ihrem Know-how und den finanziellen Möglichkeiten sind sie dem Rest der Bundesliga mittlerweile total enteilt. Für den Wettbewerb ist das natürlich kontraproduktiv. Wenn sich die Dinge nicht ändern, wird es dramatisch. Denn die Bayern können, wenn sie keine groben Fehler begehen, überhaupt nicht mehr eingeholt werden. Die Liga muss sich Gedanken machen, wie das verhindert werden kann. Kurzfristig ist das sicher nicht möglich, aber vielleicht mittelfristig, wenn Vereine die Möglichkeit erhalten, etwa über Investoren an mehr Geld zu kommen. Aktuell denke ich, dass der Wettbewerb durch gewisse Regeln zu sehr eingeschränkt wird.“

Die Situation des VfB Stuttgart

Mit fünf Niederlagen in Serie hat sich der VfB in die Winterpause verabschiedet und dadurch nicht nur das Pokal-Viertelfinale verpasst, sondern sich auch den Abstiegsrängen genähert. Auf dem Trainingslager unter spanischer Sonne und der Hilfe von Mario Gomez ruhen vor dem Rückrundenstart gegen Hertha BSC die Hoffnungen darauf, dass es am Ende drei andere Clubs sind, die in der Tabelle unter dem Strich stehen.

Das sagt Matthias Sammer „Es wird für den VfB bis zum Ende der Saison schwer, aber ich bin überzeugt, dass die Stuttgarter den Klassenverbleib schaffen werden – nicht nur wegen Mario Gomez. Als Spieler und Trainer habe ich den VfB immer als sehr enthusiastischen Verein erlebt, der aber auch zu schnell die Nerven verloren hat. Jetzt sehe ich ihn stabiler. Auch die Unruhe, die es früher im Umfeld so schnell gab, kann ich nicht mehr erkennen. Der VfB hat einen guten Trainer, einen guten Sportvorstand – und natürlich einen überragenden Teammanager, meinen alten Freund Günther Schäfer. Auch fußballerisch hat der VfB einen Entwicklungsschritt gemacht – man hat nur versäumt, mehr Tore zu schießen. Insgesamt hat der VfB eine interessante Mannschaft mit einer guten Mischung aus Führungsspielern und Talenten.“

Das Fernduell der Ü-30-Stürmer

Mario Gomez zum VfB Stuttgart, Sandro Wagner zum FC Bayern – die Transfers der beiden Torjäger zurück zu ihren Heimatclubs waren die spektakulärsten Wechsel dieser Transferperiode. Während Gomez (32) beim VfB in die Rolle des großen Hoffnungsträgers geschlüpft ist, muss sich Wagner (30) in München hinter Robert Lewandowsi anstellen, er wurde nur als Ersatz für alle Fälle geholt. Gemeinsam haben beide das Ziel, im Sommer zur WM zu fahren. Doch Platz ist wohl nur für einen.

Das sagt Matthias Sammer „Das Duell ist Wahnsinn! Wenn nicht gerade beide in der Rückrunde 20 Tore schießen, kann nur einer mit nach Russland. Ich finde beide Transfers total richtig. Sandro Wagner wird sich in München allein im täglichen Training verbessern – die Frage ist: wie viele Einsätze bekommt er? Und Mario ist für den VfB Gold wert. Er kommt nach Hause, will seinen Verein vor dem Abstieg bewahren und sich für die WM empfehlen – genau diese Herausforderung hat er gebraucht. Ich glaube, dass er mit den Jahren erkannt hat, dass er ein bisschen Druck benötigt. Es war für alle Beteiligten ein super Schritt. Wer auf den WM-Zug springt? Fifty-fifty.“

Die Systemtrainer und der Grandseigneur

Jupp Heynckes hat es noch einmal allen gezeigt. Mit 72 brachte er die Bayern-Mannschaft in Rekordzeit auf Vordermann – und widerstand bislang trotzdem dem hartnäckigen Werben seines Kumpels Uli Hoeneß, noch ein Jährchen dranzuhängen. Als möglicher Nachfolger gilt der Hoffenheimer Julian Nagelsmann – einer der jungen „Systemtrainer“, mit denen der deutsche Fußball nach Meinung von Mehmet Scholl „sein blaues Wunder“ erleben werde.

Das sagt Matthias Sammer „Es gibt in Deutschland wunderbare, hochinteressante Trainertalente. Ich schätze Hannes Wolf sehr, er hat einen klaren Plan und tolle Ideen – man muss ihm nur die Zeit geben, Erfahrung zu sammeln. Ich finde es außergewöhnlich, was Domenico Tedesco auf Schalke leistet, von Julian Nagelsmann gar nicht zu reden, er wirkt ja schon wie ein alter Hase. Ihr Vorteil ist, dass sie viele Jahre im Nachwuchsbereich gearbeitet haben. Auch ehemalige Profis sollten begreifen, dass sie erst diesen Weg gehen müssen. Ob ein junger Trainer auch die Bayern trainieren könnte? ich weiß es nicht. Bei den Bayern brauchst du ein breites Kreuz und möglichst viel Erfahrung. Wenn Jupp weiter Spaß hat und familiär alles geregelt ist, wäre er die Ideallösung.“

Die internationale Konkurrenzfähigkeit

Auf der internationalen Bühne hat sich Bundesliga in der Hinrunde nach Kräften blamiert. In der Champions League erreichten allein die Bayern das Achtelfinale; in der Europa League verabschiedeten sich alle drei deutschen Vertreter schon nach der Vorrunde. Als Premiummarke wird die Bundesliga rund um den Erdball vermarktet und möchte eine der besten Ligen weltweit sein – in dieser Saison ist sie schlechter als Zypern und Österreich. Von ursprünglich sieben Startern sind im neuen Jahr nur noch drei übrig geblieben, neben den Bayern die Königsklassen-Absteiger RB Leipzig und Borussia Dortmund, die in der Europa League weiterspielen.

Das sagt Matthias Sammer „Die Bundesliga hat international großen Nachholbedarf. Das betrifft nicht die Nachwuchsförderung, da sind wir gut aufgestellt, wovon ja auch die Nationalelf profitiert. Aber bei der Art und Weise, Fußball zu spielen, braucht es neue Denkansätze. Es reicht nicht, nur auf eine gute Verteidigung und ein schnelles Umschaltspiel zu setzen. Es ist immer noch ein Spiel mit dem Ball und nicht gegen ihn. Wenn man ins Ausland schaut, dann staunt man, wenn beispielsweise Celta Vigo auch gegen Real Madrid versucht, mitzuspielen. Dafür bedarf es Mut, den ich in Deutschland häufig vermisse. Mut ist auch innerhalb der Liga nötig, um die Missstände klar zu benennen. Aber wo ist derjenige, der den Finger in die Wunde legt? Ich sehe ihn nicht.“