Der Vereinsführung des VfB Stuttgart fällt es schwer, die Mitglieder von ihrer Arbeit zu überzeugen. Verschiedene Neuerungen sollen nun dazu beitragen, den Erfolg zurückzubringen.

Stuttgart - Die Blumen bleiben liegen. Vielleicht waren sie als Dankeschön für die alten oder als Begrüßung für die neuen Aufsichts- und Ehrenräte gedacht, vielleicht auch für deren Frauen, wer weiß das schon so genau. Tatsache ist: niemand hat sie feierlich überreicht, und so liegen die bunten Sträuße nun, da sich nach Mitternacht die Porsche-Arena geleert hat, noch immer in der ersten Stuhlreihe.

 

Irgendwie passt dieses Ende zu einem Abend, an dem es wenig Grund gab, mit Freude zurück oder mit überbordender Zuversicht nach vorne zu blicken. Vielmehr bot sich bei der sechsstündigen Hauptversammlung des VfB das Bild eines Vereins, der nicht vom Fleck kommen will. Tief sitzt bei den Mitgliedern das Misstrauen gegenüber der Clubspitze, die es nur eingeschränkt schafft, die VfB-Familie von sich und ihren Ideen zu überzeugen. Dabei ist es höchste Zeit, mit der Zukunft zu beginnen.

Die neue Saison

Es ist schon 22.30 Uhr, als dem Mitglied Bertram Suck etwas auffällt, was zuvor noch keinem richtig aufgefallen ist – dass demnächst die neue Saison in der Bundesliga beginnt. Bis dahin war in der Porsche-Arena über alles Mögliche debattiert worden, nur nicht über die aktuelle sportliche Ausrichtung. Aber nun fragt Suck danach.

Bernd Wahler antwortet, dass es darum gehe, wieder besser Fußball zu spielen als zuletzt und „dass wir nichts mit dem Abstieg zu tun haben wollen“. Ohnehin seien die nächsten zwei oder drei Jahre eine Entwicklungsphase. Konkreter wird der Präsident nicht, sodass offen bleibt, wohin sich der VfB eigentlich entwickeln will – und vor allem wie das funktionieren soll.

Der neue Trainer Armin Veh ist jedenfalls unzufrieden mit der Personalpolitik, was er intern schon deutlich angesprochen hat. Selbst gegenüber der Mannschaft hat er sich so geäußert, dass Verstärkungen unabdingbar sind, um zumindest das vage Ziel von Wahler mit der Vermeidung des Abstiegskampfs zu erreichen. Dazu müssen laut Veh noch Spieler verpflichtet werden. Transfers werden folgen, sagt Wahler – doch viel Zeit zur Integration bleibt nicht mehr. Schließlich ist es Bertram Suck noch aufgefallen, dass die Saison bald beginnt.

Die neue Vereinsstruktur

Gegen Ende der Versammlung sagt Bernd Wahler : „Der Sport ist für uns natürlich das Wichtigste, der Fußball.“ Aber das Zweitwichtigste ist für ihn die Ausgliederung der Lizenzspielerabteilung aus dem Gesamtverein. Über strategische Partnerschaften soll frisches Geld fließen. Die ersten Kandidaten dafür sind die mit einem Sitz im Aufsichtsrat vertretenen Firmen Kärcher, Würth, Gazi und Mercedes-Benz. Der Autobauer will rund 35 Millionen Euro zahlen. Voraussetzung ist aber, dass auf der im Frühjahr 2015 geplanten außerordentlichen Mitgliederversammlung eine Mehrheit von 75 Prozent für die Ausgliederung stimmt – eine Marke, die der VfB am Montag wohl deutlich verfehlt hätte.

Viele Anhänger misstrauen der Vereinsführung, unter deren Regie der VfB im Niemandsland versunken ist. Nicht erfüllt haben sich die Hoffnungen, die 2013 da waren, als die ungeliebten Gerd Mäuser und Dieter Hundt durch Bernd Wahler und Joachim Schmidt ersetzt wurden. Neuer Wein in alten Schläuchen, heißt es dazu häufig. Immerhin gibt es aber auch Sabine Florian, die Wahler und dem Manager Fredi Bobic ein Glas selbst gemachter Träublesmarmelade aus dem Remstal überreichte.

Das ist um 22.40 Uhr – danach geht es mit dem Thema Ausgliederung weiter. Dem VfB ist klar, dass es nicht gelingen wird, den harten Kern der Fans mit rund 1500 Personen von diesem Plan zu überzeugen. Das sei vergebliche Liebesmüh, verlautet aus den Reihen des Clubs. Deshalb sieht die Rechnung so aus, dass man für die außerordentliche Versammlung mindestens 6000 Leute mobilisieren will, um überhaupt eine Chance auf die 75 Prozent zu haben. So viele Leute kamen aber noch nie zu einer Versammlung. „Wir müssen uns anstrengen, die Ängste abzubauen“, sagt Wahler.

Der neue Aufsichtsrat

Wie viel Vertrauen die handelnden Personen verspielt haben, zeigt sich bei den Abstimmungen. Nur 69,8 Prozent der anwesenden Mitglieder wählen das neue Gremium, dem künftig auch Hartmut Jenner, Martin Schäfer und Wilfried Porth angehören. Dem alten Aufsichtsrat um den Vorsitzenden Joachim Schmidt wird dagegen sogar wie bereits 2013 die Entlastung verweigert – nichts hat sich also gebessert.

Für Verwunderung bei den Fans sorgt Schmidt, als er beleidigt auf Kritik reagiert und erklärt, dass er jetzt „enttäuscht“ sei. Viele Mitglieder sind auch enttäuscht, weil solche Aussagen für sie nur der Beweis sind, dass den Leuten in der Vereinsführung nach wie vor die Sensibilität für die Bedürfnisse und die Sorgen an der Basis fehlt. Deshalb verweigert diese Basis die Gefolgschaft – ein Bruch, der kaum mehr zu kitten scheint. Das bekommt auch Hansi Müller zu spüren, der den Kritikern bei der Wahl des alten Präsidenten Gerd Mäuser 2011 Respektlosigkeit vorgeworfen hatte.

Am Montag gibt es wie schon 2013 die Quittung für Schmidt und Müller, die aber offenbar nicht verstanden haben, was die Leute ärgert. Sie verstehen also die VfB-Fans nicht – und die VfB-Fans verstehen Schmidt und Müller nicht. Unverständnis auf allen Seiten. Und einer, der versöhnen könnte, ist nicht in Sicht. Bernd Wahler, noch vor einem Jahr mit 97,4 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt, wird nur mit ganz knapper Mehrheit entlastet.

Der neue Spielerrat

„Mein Name ist Guido Buchwald“, sagt Guido Buchwald, als er sich vor der Wahl der neuen Ehrenräte den Mitgliedern vorstellt. Die Leute schmunzeln – denn wer kennt ihn nicht, den Weltmeister von 1990? Richtig: niemand. Relativ einfach ist auch die Antwort auf die Frage, warum sich Buchwald bisher nicht bei seinem Verein engagiert hat: „Weil mich keiner gefragt hat.“

Als Ehrenrat gehört es künftig zu seinen Aufgaben, den Aufsichtsrat zur Wahl vorzuschlagen – noch wichtiger aber ist Buchwald eine andere Funktion, die er künftig bekleiden soll: als Mitglied des so genannten Spielerrates, der in den nächsten Wochen gebildet wird und dem nach den Plänen des Präsidenten auch andere verdiente Exprofis wie Thomas Hitzlsperger oder Karl Allgöwer angehören sollen.

Die genauen Aufgaben sind noch nicht definiert. Klar ist, dass der Spielerrat nur ein beratendes Gremium sein wird und die alleinige Entscheidungsgewalt beim Vorstand bleibt. Mit der Rolle des zahnlosen Tigers will sich Guido Buchwald freilich nicht begnügen: „Ich will mich aktiv einbringen, sonst hat es keinen Wert. Wir müssen Fehler minimieren – dazu will ich meinen Teil beitragen.“ Einer Saison wie die vergangene dürfe es nicht noch einmal geben, „sonst steigt der VfB ab“. Viele werden also künftig mitreden – ob dadurch alles besser wird, ist die große Frage.

„Das gebündelte Expertenwissen kann uns helfen“, sagt Bernd Wahler – und legt Wert auf die Feststellung, dass die neue Einrichtung „auch auf Initiative von Fredi Bobic“ zustandekomme. Als Zeichen einer schleichende Entmachtung des Managers will der Präsident den Spielerrat also nicht sehen – manche Mitglieder sind anderer Meinung. „Herr Wahler“, sagt Silvia Kaufmann, „entweder Sie vertrauen Bobic, dann brauchen Sie keinen Spiellerrat. Andernfalls müssen Sie ihn rausschmeißen.“

Viel Kritik muss der Manager einstecken, der sich bei seinem Vortrag sehr reumütig gezeigt und viele Fehler eingestanden hat. Von Wahler bekommt er Rückendeckung: „Er hat meine volle Unterstützung, denn ich sehe, dass er besser wird und aus seinen Fehlern lernt.“

Das neue Motto

Zum Glück hat der VfB seine Anhänger nicht erst während der tiefen Krise im Frühling, sondern schon im Winter gefragt, wofür der Club steht und wofür er geliebt wird. Denn im Frühjahr wäre das Ergebnis vermutlich nicht mehr so wohlwollend ausgefallen. Jetzt werden die Aussagen vom Winter in einem neuen Motto zusammengefasst, das sich durch alle Bereiche ziehen soll. Es lautet: „Furchtlos und treu.“

Furchtlos und treu will der VfB sein – und mit diesem Markenetikett könne man in verschiedene Richtungen jonglieren, sagt Bernd Wahler. Er jongliert schnell mal so: „Wasen und Karle, Förster und Förster.“ Mit dem „und“ soll etwas Verbindendes und eine Unternehmensidentität geschaffen werden wie einst mit den „jungen Wilden“. „Furchtlos und treu“ passe zum VfB wie der Brustring, sagt Wahler – zumal es auf das Haus Württemberg zurückgehe und auch für den Heimatbegriff stehe.

Allerdings taucht „furchtlos und treu“ auch in einem weit weniger gefälligen Zusammenhang auf. Denn „Furchtlos und Treu“ heißt die Nachfolgeorganisation der seit 14 Jahren verbotenen Naziorganisation „Blood & Honour“. Chef ist Marcus Frntic, dem Kontakte zur NSU nachgesagt werden. Der VfB weiß das. Er argumentiert so, dass es das Motto im Haus Württemberg lange vor dem Entstehen des Nationalsozialismus gegeben habe – und der Club orientiere sich am Ursprung des Slogans.

Ganz am Ende blickt Bernd Wahler auf seine Armbanduhr. „Jetzt ist es genau 24 Uhr, ich beschließe die Mitgliederversammlung und wünsche einen guten Heimweg.“ Nur die Blumen, die bleiben liegen.