Warum wählen 97,4 Prozent der VfB-Mitglieder Bernd Wahler bei der Mitgliederversammlung zum neuen VfB-Präsidenten? Weil er die Hoffnungen auf den Neuanfang verkörpert. Eine Wahlanalyse.

Stuttgart - Ob er die Wahl annehme, so lautet die Frage. Die Satzung will es so. „Wow, wow, wow! So leicht ist mir das Ja das letzte Mal bei meiner Hochzeit über die Lippen gegangen“, antwortet Bernd Wahler bei der VfB-Mitgliederversammlung in der Porsche-Arena – und kann gar nicht mehr aufhören zu lachen und zu jubeln. 97,4 Prozent der Mitglieder haben den Adidas-Manager zum neuen Präsidenten gewählt. Ein Traumergebnis, für das es Gründe gibt.

 

1. Das Ende der Ära Dieter Hundt Wenn Bernd Wahler von Dieter Hundt nominiert worden wäre, hätte er nicht 97,4 Prozent der Stimmen bekommen, sondern vielleicht 9,74 Prozent. So wäre es auch jedem anderen Kandidaten gegangen. Hundt ist das Feindbild gewesen – für die Fans, aber auch für die handelnden Personen in den VfB-Gremien. Hätte er die Zeichen der Zeit erkannt, wäre er nicht erst am 17. Juni als Aufsichtsratschef zurückgetreten. Aber zumindest ist er seit diesem Tag nicht mehr im Amt. Dieser Schritt wurde in der Mitgliederversammlung fast so bejubelt wie ein entscheidender Treffer in einem Bundesligaspiel. Der Weg war frei für Wahler.

2. Die Suche nach einem Kandidaten Nach dem Abgang von Hundt hat Joachim Schmidt das Ruder übernommen – und damit waren die von der zuvor eingeschalteten Personalberatung gesichteten Bewerber aus dem Rennen. Dabei hatte es sich vorwiegend um Kommunalpolitiker gehandelt. Schmidt legte andere Maßstäbe an. Er erstellte ein Anforderungsprofil und einen Zeitplan, bis zu dem die Suche beendet sein sollte. Dadurch nahm die Sache endgültig Fahrt auf – das Zeichen für das VfB-Umfeld, dass auf dieser Ebene jetzt mehr Professionalität herrscht. Schmidt beriet sich auch mit Experten, die ein Netzwerk besitzen. Über diese Schiene landete er bei Bernd Wahler, der praktisch alle Kriterien der Stellenausschreibung erfüllte. Den Worten folgten also Taten.

3. Der Charme von Bernd Wahler Wahler hat jahrzehntelange Erfahrung im Fußballgeschäft, er hat weltweit Kontakte, kommt aus der Region, ist VfB-Fan und hat für den Verein in der Jugend gespielt. All das sind beste Voraussetzungen – es kam aber noch was hinzu: seine Persönlichkeit. Er ist „ein Mann aus der Mitte“, wie der Sportvorstand Fredi Bobic sagt, man nimmt es Wahler ab, wenn er sagt, dass Teamwork „keine Worthülse, sondern eine Lebenseinstellung“ sei. Nicht als Makel, eher als Trumpf wurde es gewertet, dass er kein Regierungsprogramm präsentierte, sondern erst mal genau zuhören will. Wahler ist der Gegenentwurf zu Gerd Mäuser: Er besitzt Charme und natürliche Autorität.

4. Die Kampagne des Kandidaten Eine Woche hat Wahler gereicht, um fast alle im Verein und im Umfeld von sich zu überzeugen. Es war die Woche vor der Mitgliederversammlung. Eine Woche, in der er sich dem Ehrenrat, dem Fanausschuss, den Fanclubs, den Sponsoren, dem Freundeskreis und der Traditionsmannschaft vorgestellt hat. Eine Woche, in der er sich so präsentierte, wie er ist – als VfBler, hemdsärmelig, natürlich. Eine Woche, in der er Sympathiepunkt um Sympathiepunkt gesammelt hat. Eine Woche, nach der er ein Traumergebnis von 97,4 Prozent eingefahren hat – was selbst das Rekordminus von 9,74 Millionen Euro aus dem Geschäftsjahr 2012 in den Hintergrund gedrängt hat.

Die Sehnsucht nach Ruhe

5. Der Einfluss des Managers Fredi Bobic hat in den vergangenen Monaten nicht nur Transfers realisiert – er hat im Verein vor allem an vielen Strippen gezogen. Maßgeblich ist der Manager daran beteiligt gewesen, Hundt und Mäuser loszuwerden und den Neuanfang vorzubereiten. Das entstandene Machtvakuum hat er gleich selbst ausgefüllt – er ist in den Vorstand aufgerückt und hat sich zum starken Mann beim VfB entwickelt, dem die meisten Fans vertrauen. „Ganz ausdrücklich“ begrüße er die Nominierung Wahlers, sagte Bobic vor der Abstimmung – und war hinterher selbst erstaunt: Das Ergebnis sei ja „fast schon kommunistisch“.

6. Das Schweigen der Opposition Helmut Roleder hat sich schon länger nicht mehr zu Wort gemeldet. Vor zwei Jahren hatte der frühere VfB-Torwart, genau wie andere Oppositionsbewegungen, Ansprüche angemeldet, die Führung im Verein zu übernehmen. Das führte zu hitzigen, teils aggressiven Auseinandersetzungen. Auch in den vergangenen Monaten gab es diskrete Bestrebungen einzelner Gruppen, an die Macht zu kommen. Solange Hundt noch im Amt war, wagte sich niemand aus der Deckung. Und als Wahler nominiert war, verstummte die Opposition fast vollends. Als Alternative positionierte sich nur der Vermögensverwalter Thomas Haas. Bei der Mitgliederversammlung trat er ans Mikrofon – wagte es aber nicht mehr, die neue Harmonie zu stören.

7. Die Sehnsucht nach Ruhe Ausgiebig, emotional und streitlustig haben sich die Mitglieder in den vergangenen beiden Jahren an ihrem Verein abgearbeitet. Nun sind sie der Auseinandersetzungen müde – jetzt sehnen sie sich nach Ruhe und Harmonie, nachdem sie Dieter Hundt in einem letzten Akt des Ungehorsams die Entlastung verweigert haben. Wahler und Schmidt verkörpern die Hoffnung auf einen wirklichen Neuanfang. Sie haben die richtige Tonlage getroffen. Dazu trugen Wahler-Sätze bei wie: „Es geht nicht um mich, sondern ganz alleine um den VfB.“

Bald wieder an Champions-League-Plätzen schnuppern

8. Der neue Stil der Vereinsführung Selbst alte VfBler konnten sich nicht daran erinnern, dass ein Aufsichtsratschef je öffentlich eingeräumt hätte, Fehler gemacht zu haben. Und dann erklärte Joachim Schmidt in seiner Rede vor der Wahl von Wahler genau das. Er ging zwar nicht ins Detail, aber dennoch sahen viele Mitglieder darin einen neuen Stil in der Vereinsführung: mehr Transparenz, mehr zuhören, mehr kommunizieren. Das zeigte sich auch, als die Zusammenarbeit mit der umstrittenen Ticketbörse Viagogo zur Sprache kam. „Wir haben verstanden, was ihr wollt“, rief der Finanzvorstand Ulrich Ruf den Fans zu. Sprich: der noch ein Jahr laufende Vertrag wird wohl nicht verlängert.

9. Die Hoffnung auf besseren Fußball Am Montagabend ist auch von der enttäuschenden Bundesligasaison und den noch enttäuschenderen Heimspielen die Rede gewesen. Noch öfter aber wurde das Pokalfinale beschworen. Das wurde zwar verloren – und soll dennoch den Auftakt besserer sportlicher Zeiten markieren. Der VfB hat sieben neue Spieler geholt – auch sie nähren die Hoffnung auf attraktiveren Fußball. „Mittelmaß ist nicht mein Ding“, sagt Wahler: „Wir wollen bald wieder an den Champions-League-Plätzen schnuppern.“

10. Die Entscheidung über das Wappen Ehe der Präsident gewählt wurde, stand eine andere Entscheidung an, die viele Mitglieder fast noch mehr bewegt hat. Eine Initiative, die sich seit drei Jahren für die Wiedereinführung des alten VfB-Wappens starkmacht, legte der Clubspitze eine Liste mit 25 000 Unterschriften von Gleichgesinnten vor. Das Motto: Tradition verpflichtet! Es kam zur Abstimmung – die Initiative triumphierte, womit das Eis endgültig gebrochen war. Es herrschte eine Stimmung wie in der Cannstatter Kurve: „1893 – hey, hey hey.“ In diesem Moment, witzeln manche, wäre sogar ein Comeback von Hundt vermittelbar gewesen.

Bernd Wahler hat sich am Dienstag an die Arbeit gemacht und ist ins Trainingslager nach Donaueschingen gefahren. Die VfB-Spieler sind die Nächsten, der er überzeugen will.