Artem Kravets hat bei Dynamo Kiew schon gute Zeiten erlebt, doch nun bleibt ihm kaum Zeit zur Eingewöhnung beim VfB Stuttgart. Die Leihgabe will sich für eine EM-Teilnahme mit der Ukraine empfehlen.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Belek - Für Artem Kravets hat sich die Perspektive komplett gedreht. Er war ja schon einmal in Belek – als Urlauber. Damals spielte der Stürmer noch erfolgreich für Dynamo Kiew und genoss die süße Seite des Lebens an der türkischen Riviera. Jetzt ist die Leihgabe des VfB Stuttgart froh, wenn ihn seine müden Beine noch bis zum Hotelbett tragen.

 

Ungewohnt hart sind die Trainingseinheiten für Artem Kravets. Doch der 26-jährige Ukrainer lässt sich nicht abhängen. Er ist gekommen, um seine Chance zu suchen. Zunächst einmal beim VfB und danach in der Nationalmannschaft für die Europameisterschaft in Frankreich. Überrascht schaut der Fußballprofi deshalb, als er gefragt wird, warum er sich denn für den Abstiegskandidaten aus Stuttgart entschieden habe. „Das ist die Bundesliga“, sagt Kravets – für ihn die beste Liga der Welt.

Das Hotelzimmer teilt er mit Landsmann Boris Tashchy

Ob der Angreifer sich darin wird behaupten können, bleibt abzuwarten. Viel Zeit jedenfalls hat er nicht, um zu überzeugen, und eine lange Anpassungsphase kann er sich deshalb auch nicht erlauben. Für ein halbes Jahr und eine Gebühr in Höhe von 500 000 Euro hat der VfB Kravets (Vertrag in Kiew bis 2018) ausgeliehen, weil nach dem Ausfall von Daniel Ginczek Bedarf auf der Mittelstürmerposition erkannt wurde. Nun arbeitet Ginczek nach einer Operation im Halswirbelbereich in Stuttgart an seinem Comeback – und sein Ersatzmann Kravets in Belek an seiner Form.

Mit Torjäger Ginczek ist wohl erst im März wieder voll zu rechnen, Kravets soll möglichst schon in eineinhalb Wochen beim Rückrundenstart in Köln funktionieren. Beide machen Fortschritte. Der eine weit weg von der Mannschaft in der Reha, der andere mittendrin im Team. Die Integration läuft problemlos. Mit seinem Landsmann Boris Tashchy teilt Kravets das Apartment im Hotel. Mit ihm und Toni Sunjic, den er aus dessen Zeit in der Ukraine kennt, telefonierte er auch vor seiner Verpflichtung. Beide Aussagen über den Verein für Bewegungsspiele passten zusammen: „Du musst nach Stuttgart kommen.“

Also kam das Geschäft mit Dynamo zustande, weil auch dem VfB die Gelegenheit äußerst günstig erschien. Denn schon vor einem Jahr stand Kravets auf der Beobachtungsliste des Managers Robin Dutt. Doch ein Wechsel im vergangenen Sommer war undenkbar, da nicht zu finanzieren. Kravets hatte gerade mit Dynamo das ukrainische Double gewonnen, die Teilnahme an der Champions League stand an, und er war der Stürmer Nummer eins in Kiew: mit 15 Saisontoren.

Artem Kravets ist ein Ballfestmacher

Im Herbst nahmen die Stuttgarter schließlich doch Kontakt zu Kravets auf. Denn es lief nicht mehr für den Mann aus Dniprodserschynsk. Er war in der Angreiferhierarchie nach unten gepurzelt – und versucht nun seine Stärken beim VfB einzubringen. Kravets, 1,89 Meter groß, ist ein Stoßstürmer. Ein Ballfestmacher. Ein Störenfried in vorderster Front, aber auch ein Strafraumspieler. Auf jeden Fall ein ganz anderer Typ als der schnelle Timo Werner, der es liebt, steil geschickt zu werden und lange Wege zu gehen. Damit könnte der Neuzugang den VfB-Angriffen eine neue Option geben, wenn diese festgefahren sind.

„Ich kann als einzige Spitze spielen oder mit einem Partner. Das ist für mich kein Problem“, sagt Kravets. Er sagt es zurückhaltend. So wie die leise Sturmhoffnung bisher auch auf dem Platz aufgetreten ist. Doch vielleicht steckt ja mehr Explosivität in seiner Spielweise, als es sein ruhiges Naturell vermuten lässt. Angst in den Zweikämpfen soll er jedenfalls nicht kennen – und eine Erinnerung an seine ersten Tage mit dem VfB an der türkischen Riviera hat er auch schon: Artem Kravets musste mit drei Stichen am Kinn genäht werden.