VfB Stuttgart beim FC Bayern Bayern oder Juve? Ein anderes Spiel ist wichtiger für den VfB

Fassungslos in München: Josha Vagnoman vom VfB Stuttgart Foto: Baumann/Alexander Keppler

Die Stuttgarter verlieren in München auf untypische Weise und richten sich nun für Turin neu aus. Doch das sind nicht die entscheidenden Begegnungen der englischen Woche.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Wann das Unheil seinen Lauf nahm, war hinterher nur eine rhetorische Frage. Beim VfB Stuttgart wusste es jeder. Mit dem Rückpass von Jamie Leweling ging es praktisch los. Der Ball rollte in aller Ruhe auf Josha Vagnoman zu, und der 23-Jährige zeigte, warum er ein Verteidiger und kein Stürmer ist. In Rücklage setzte er die Kugel mit dem linken Fuß über das Tor des FC Bayern. Vorbei war die große Führungschance beim Südgipfel in München.

 

Da lief die 54. Minute, und nur drei Zeigerumdrehung später gelangte die Kugel zu Harry Kane. Der Bayern-Torjäger zog mit rechts ab – und traf. „Als nicht unhaltbar“, bezeichnet der ansonsten gute Torwart Alexander Nübel den Distanzschuss. Er hätte sich kräftiger mit den Beinen vom Boden abdrücken müssen, um das Ding mit der Hand „aus der Ecke zu kratzen“. Es reichte nicht, nur die Finger dran zu bekommen.

Warum keine Schadensbegrenzung?

Das war der Anfang vom Ende für den VfB, da Kane gleich doppelt zuschlug (60.). Und spätestens in diesem Moment ratterte es im Kopf des Trainers. 0:2 in Rückstand gegen dominante Münchner und das fordernde Champions-League-Spiel bei Juventus Turin nur 72 Stunden später vor Augen – da wäre Schadensbegrenzung vielleicht kein schlechter Gedanke, um die eigene Mannschaft unter dem Druck des Rekordmeisters nicht auseinander brechen zu lassen.

„Aber das entspricht nicht meinem Naturell“, sagt Sebastian Hoeneß. Der VfB-Coach agiert zwar wohl überlegt, doch Fußballspiele will er gewinnen, nicht verwalten. Er wechselte offensiv ein, ließ seine Elf weiter nach vorne spielen anstatt hinten dicht zu machen. Ob es an diesem Abend in der Allianz-Arena dann überhaupt mit der Schadensbegrenzung geklappt hätte, ist eine rein theoretische Frage. Niemand kann sie beantworten. Fakt bleibt: wiederum Kane (80.) und Kingsley Coman (89.) erhöhten. Oder andersherum: 0:4, die Stuttgarter waren an ihre Grenzen gestoßen, und die Sorge wächst, dass der VfB in der Bundesliga den Anschluss nach oben verliert.

Innerhalb von einer halben Stunde wurde den Gästen vorgeführt, dass die aktuellen Bayern wenig mit den Bayern aus der Vorsaison zu tun haben. Jedenfalls nichts mit den Bayern, denen der VfB im Endspurt den Rang ablief und die Vizemeisterschaft holte. Sportlich auf Augenhöhe wähnten sich dadurch zahlreiche Fans. Geschmeichelt fühlte sich die schwäbische Fußballseele durch das Loblied, das sie vor der Partie in der Säbener Straße auf den lange abgetauchten Südrivalen sangen.

Doch nun lautet die Wahrheit: Die Verhältnisse wurden aus Münchner Sicht zurechtgerückt, aus der Stuttgarter Perspektive haben sie sich normalisiert. „Wir haben immer betont, dass wir sportlich und wirtschaftlich weit entfernt von den Bayern sind“, sagt der Sportvorstand Fabian Wohlgemuth. Vor allem auf dem Platz hat sich mit dem Amtsantritt von Vincent Kompany ein Wandel vollzogen. „Man hat gemerkt, mit welch unglaublicher Physis die Bayern auftreten und mit welcher Power sie spielen“, sagt Hoeneß. Obwohl ja beide Fußballlehrer ihre jeweilige Herangehensweise an den Gegner anpassten.

Was ist mit Deniz Undav und Ermedin Demirovic?

Hoeneß ließ seine Elf etwas tiefer in der Defensive stehen. Mit langen, hohen Pässen sollte das Pressing der Gastgeber umgangen werden. Das lief eine Weile okay, ist aber untypisch. Nur: für diesen Ansatz braucht es Angreifer, die das Spielgerät behaupten. Deniz Undav und Ermedin Demirovic waren dazu nicht in der Lage. Kompany wiederum ließ nicht wie wild angreifen und bot dem Kontrahenten weniger Raum zum Kontern nach Ballverlusten als zuvor.

Taktisch interessant einerseits. Lange ereignislos andererseits – bis die Kane-Show begann und der VfB nach der Euphorie der vergangenen Monate und dem Hype um die vielen neuen Nationalspieler feststellen musste, dass der Boden der Tatsachen gerade nach dem Höhenflug ganz schön hart sein kann. „Es ist immer einfacher, in der Tabelle Terrain zu erobern, als sich im oberen Bereich zu stabilisieren“, sagt Wohlgemuth, „jetzt sind wir oft die Verfolgten und die Gegner haben sich besser auf uns eingestellt.“

Tief standen die VfB-Gegner zuvor, hoch verlor diesmal der VfB. Was Hoeneß veranlasst, „nicht einfach zur Tagesordnung überzugehen“. Der Coach hat die Gegenwehr vermisst; die Gier, die es braucht, um in München erfolgreich zu sein. Eine knallharte Analyse folgt, um die Köpfe für Turin freizubekommen und den Fokus neu auszurichten. Schnell muss das gehen, aber Hoeneß will es mit der Kritik nicht überstürzen. Selbst wenn auffällt, dass seiner Mannschaft – mit Ausnahme der Highlight-Spiele gegen Borussia Dortmund und Real Madrid – immer wieder ein paar Prozentpunkte zu ihrem vollen Leistungsvermögen fehlt.

Noch aber bewegt sich der VfB zwischen Liga und League im ordentlichen Bereich. Dennoch laufen die Stuttgarter Gefahr, abzurutschen. So gesehen sind nicht die Begegnungen mit dem großen FC Bayern und der ruhmreichen Alten Dame aus Italien die wichtigsten Aufeinandertreffen in dieser englischen Woche, vielmehr ist es das Heimspiel am Samstag gegen Holstein Kiel.

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