Wegen streikender Technik muss die heikle Mitgliederversammlung des VfB Stuttgart abgebrochen werden. Die Mitglieder sind sauer, der Club prüft Regressansprüche. Und ein neuer Termin ist bereits lose avisiert.

Sport: Dirk Preiß (dip)

Stuttgart - Es war kurz nach 19 Uhr am Sonntagabend, als Wolfgang Dietrich noch einmal das Mikrofon vor ihm zwischen die Finger nahm, den Oberkörper nach vorne beugte und meinte: „Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass wir nach dem Abstieg einen weiteren schwarzen Tag erleben werden.“ Dann verkündete der Präsident des VfB Stuttgart das Unfassbare.

 

„Uns bleibt keine andere Wahl als festzustellen, dass es nicht möglich ist, die Versammlung ordnungsgemäß fortzusetzen.“ Dann brach er die Mitgliederversammlung ab – und eine der peinlichsten Possen der Vereinsgeschichte war perfekt.

Dass die Mitgliederversammlung nicht arm sein würde an Zündstoff war klar, auch, dass die Veranstaltung mehrere Stunden dauern würde. Schließlich stand neben einer emotionalen Debatte die mögliche Abwahl des Präsidenten Wolfgang Dietrich auf der Tagesordnung. Als Punkt sechs sollte diese Abstimmung über die Bühne gehen. Aber so weit ist es nicht gekommen.

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Um 17.30 Uhr wurden die Probleme, die letztlich zum Abbruch führten, erstmals offensichtlich. Nach den Berichten der AG-Vorstände, des Präsidiums und des Vereinsbeirats sowie zahlreichen Redebeiträgen von Mitgliedern waren zwei Anträge auf ein Ende der Debatte eingegangen. Denen wäre wohl auch stattgegeben worden – doch als die Abstimmung beginnen sollte, gab es technische Probleme.

Die Mitglieder sind wütend und enttäuscht

Über elektronische Abstimmungsgeräte, aber auch über das eigene Smartphone in einem geschlossenen W-Lan-Bereich sollte das Votum der Mitglieder erfolgen. Doch genau diese eigens eingerichtete Drahtlosverbindung versagte ihren Dienst. Eine Abstimmung war zunächst nicht möglich – es wurde, gemeinsam mit dem verantwortlichen externen Dienstleister, nach einer Lösung gesucht. So lange wurde die Debatte fortgesetzt und es kam zu weiteren Redebeiträgen. Kurz vor sieben folgte der nächste Versuch. Der wieder scheiterte.

Das Präsidium zog sich daraufhin zu Beratungen zurück, betrat wenig später das Podium im Innenraum der Mercedes-Benz-Arena, dann verkündete Wolfgang Dietrich das Ende der Versammlung und gab an, schnellstmöglich über das weitere Vorgehen zu informieren. Die über 4000 anwesenden Mitgliedern, die zuvor emotional über die Zukunft des Präsidenten debattiert hatten, äußerten ihre Wut und Enttäuschung über das plötzliche Ende lautstark, verließen dann aber recht zügig die Arena. Die Vereinsführung des VfB um Wolfgang Dietrich und den Vereinsbeirat zog sich sofort zu Beratungen des weiteren Vorgehens zurück.

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Wenig später informierte Kommunikationsdirektor Oliver Schaft über die Lage. „Die Versammlung wurde formal abgebrochen, weil die Technik nicht funktioniert hat“, sagte er. Das W-Lan, das eigens eingerichtet und auch getestet worden war, hatte im Laufe des Tages „mal funktioniert, mal nicht“. Für eine rechtlich belastbare Abstimmung – es sollte auch ein drittes Präsidiumsmitglied gewählt werden – sei dies nicht ausreichend gewesen.

Neuauflage Mitte September

Frühestens in drei Wochen könnte nach Vereinsrecht eine Neuauflage stattfinden. Da dieser Termin in den Sommerferien läge, wird der Verein wohl einen Termin „Mitte September“ (Schraft) nennen. Derweil werde man Regressansprüche gegenüber dem für die Technik beauftragten Dienstleister prüfen. Damit verlängert sich die zuletzt quälende Diskussion um die Zukunft des Vereins mindestens um zwei Monate.

Die Zerrissenheit unter der Mitgliederschaft hatte sich auch am Sonntag in der Mercedes-Benz-Arena gezeigt. Zahlreiche Wortbeiträge forderten die Abwahl von Dietrich, einige andere sprachen dem aktuellen Präsidium das Vertrauen aus oder baten um Geduld und die Möglichkeit, die Fehler der vergangenen Monate zu korrigieren. Ob es für die Gegner Dietrichs zu den für eine Abwahl nötige Dreiviertelmehrheit gereicht hätte, war schwer auszumachen.

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Neue Argumente wurden derweil keine genannt. Es ging einerseits um die aus dem Ruder gelaufene Debatte der vergangenen Wochen. Dietrich: „Wir dürfen nicht dulden, dass in unserer Gesellschaft Hass und Gewalt gesät werden.“ Andererseits ging es um Dietrichs frühere geschäftlichen Unternehmungen, um den sportlichen Misserfolg, um die Art seiner Amtsführung, um die Investorensuche, um den Fall des aus dem Aufsichtsrat der AG zurückgetretenen Guido Buchwald und die Ära des Ex-Sportvorstands Michael Reschke – den Dietrich einst geholt hatte. Die AG-Vorstände Jochen Röttgermann (Marketing) und Stefan Heim (Finanzen) hatten zuvor Fehler eingeräumt, aber auch Zuversicht ausgestrahlt. Der Präsident bezog immer wieder Stellung, wirklich zufrieden waren die härtesten Kritiker damit wie erwartet aber nicht.

Viel Applaus für Thomas Hitzlsperger

Den größten Applaus des Tages hatte bereits vor der Aussprache Thomas Hitzlsperger erhalten. Der Sportvorstand der VfB AG gilt als große Hoffnung auf bessere Zeiten und bestätigte den Plan einer neuen Spielphilosophie: Er wolle die eigenen Spieler möglichst oft im Strafraum des Gegners sehen, nicht im eigenen. Die Mannschaft, die er mit Sportvorstand Sven Mislintat („Das Team hat hervorragend gearbeitet“) für die Mission Wiederaufstieg zusammengebastelt hat, präsentierte sich nach der Rückreise aus dem Trainingslager kurz den Mitgliedern. „Hier wächst eine Gruppe“, lobte Mislintat und sieht eine „brutale Qualität“.

Die das W-Lan in der Mercedes-Benz-Arena nicht hatte.