Er ist wieder da: Neun Wochen nach dem folgenschweren Zusammenprall mit Wolfsburgs Torhüter Koen Casteels steht Christian Gentner vor seinem Comeback für den VfB Stuttgart. Die Überraschung ist groß.

Sport: Dirk Preiß (dip)

Stuttgart - Vergessen? Verdrängt? Lange her? So einfach ist es nicht, wenn es um die Verletzungen geht, die sich Christian Gentner am 16. September 2017 zugezogen hat. Nach dem üblen Zusammenprall mit Wolfsburg Torhüter Koen Casteels lag der Kapitän der VfB Stuttgart regungslos am Boden, es folgten bange Momente, dann die Diagnose: Mehrere Knochenbrüche im Gesicht. Erst nach genaueren Untersuchungen war klar: Das wird wieder. Kein Wunder also, dass Hannes Wolf, wird er auf Gentners Heilungsprozess angesprochen, jeden Satz mit der Einleitung beginnt: „Als der erste Schock vorüber war . . .“

 

Das war einige Tage nach dem Unfall – und was damals keiner zu hoffen wagte: Gerade einmal neun Wochen nach diesen dramatischen Szenen steht Gentner wieder im Kader des VfB für ein Bundesligaspiel. Zumindest ist das so gut wie sicher.

Der VfB empfängt am Freitag (20.30 Uhr) Borussia Dortmund, und Wolf sagt: „Wenn keine verrückten Dinge mehr passieren, wird er zurückkehren.“ Auch der Trainer findet es „für die Schwere der Verletzung überraschend“, wie schnell nun alles ging. Doch ist er hoch erfreut, dass sein Kapitän wieder zur Verfügung steht. „Sein Ausfall“, sagt Wolf, „hat uns wehgetan.“

Klar ist: weder der Trainer, noch der Spieler oder der behandelnde Arzt trifft solch eine Entscheidung für das Comeback alleine – weshalb diese bevorstehende Rückkehr drei wichtige Komponenten hat.

Die medizinische Komponente:

In zwei Operationen wurden Gentner Titanplatten eingesetzt. Seitdem schreitet die Heilung der Knochen voran, ist aber noch lange nicht abgeschlossen. Dennoch sagt Hannes Wolf: „Es besteht kein erhöhtes Risiko.“ Auch, weil Gentner eine sehr große Maske aus Carbon trägt. „Dadurch ist sein Gesicht quasi komplett geschützt“, bestätigt VfB-Teamarzt Raymond Best, der ebenfalls kein Risiko sieht und zum Heilungsprozess sagt: „Es ist perfekt gelaufen.“ Die Maske ist etwa 700 Euro teuer und wurde gleich zweimal individuell angepasst. Zunächst, als es Gentner darum ging, möglichst schnell wieder ins Training einsteigen zu können. Das zweite Mal vergangene Woche, da sich noch Veränderungen ergeben hatten. Die Maske liegt an der Stirn, an der Schläfe und unter dem operierten Bereich auf, sodass auf die verletzten Stellen kein Druck kommt.

Die sportliche Komponente:

„Er hat gut und genug trainiert“, sagt Wolf über Gentner. Erst wurde der 32-Jährige bei Passübunen in das Training integriert, dann als „neutraler Spieler“, der Zweikämpfen noch ein bisschen aus dem Weg gehen konnte. Seit einigen Tagen nun ist Gentner voll dabei, scheut keine Zweikämpfe und bestreitet auch Kopfballduelle. „Er schont sich nicht“, versichert Wolf. Inwieweit sich die nun fehlende Spielpraxis auswirkt, muss man sehen. Wolf weiß: „Ein Spiel ist noch einmal etwas anderes als ein Training – aber das wäre eine Woche später ja auch nicht anders.“ Da in der defensiven Mittelfeldzentrale zuletzt meist alle Last auf dem jungen Santiago Ascacibar lag, hofft der Trainer auf die stabilisierende Wirkung des Routiniers. Viele Fans sind sicher: Spiele wie das in Frankfurt (1:2) hätte der VfB mit Gentner nicht verloren. Da der Kapitän bereits zwei, drei Wochen nach der zweiten Operation mit dosiertem Training begonnen hat, habe er kaum Substanz verloren, versichert Best.

Die psychologische Komponente:

Die Maske im Gesicht bietet Schutz für die Knochen – aber was spielt sich dahinter ab? Das Comeback ist – wie passend – auch Kopfsache. Traut sich der Spieler wieder in Zweikämpfe? Zieht er im spielentscheidenden Moment zurück? Ist da doch noch Angst? Das klare Bekenntnis zum Wettkampf-Einsatz müsse daher vom Spieler selbst kommen, sagt Sportpsychologe Werner Mickler, „er muss bereit sein, wieder ein Risiko einzugehen“. Wichtig auf dem Weg dahin seien die vielen kleinen Schritte im Trainingsalltag – die nicht zu weit hinausgezögert werden dürften. „Es ist wie beim Skispringer: Nach einem Sturz sollte er so früh wie möglich wieder springen, um die Sicherheit zu haben, dass im Normalfalls alles sicher ist.“ Sonst könne es passieren, erklärt Mickler, dass sich „die Angst vor der Angst“ einschleicht. Insofern scheint Gentner die richtige Vorgehensweise gewählt zu haben: Nachdem das Sportverbot im Anschluss an die Operationen aufgehoben war, strebte er zügig jeden weiteren Schritt an. Nun ist Teamarzt Best sicher: „Es gibt nichts, was ihn im Kopf blockiert.“

Am Freitag nun könnte es tatsächlich so weit sein. Borussia Dortmund heißt der Gegner, das Flutlicht sorgt für eine besondere Stimmung, das Stadion ist ausverkauft. Dazu ein Erfolg mit Christian Gentner auf dem Platz? Kaum vorstellbar. Aber das war das Comeback des Kapitäns nach nur neun Wochen ja auch nicht.