Nach der Bundesliga-Pleite gegen den Tabellenletzten aus Hamburg gibt es viele Fragen und nur wenige Antworten für VfB-Trainer Bruno Labbadia.

Stuttgart - So ein schwerer Kater hinterlässt Spuren. Er habe in der Nacht nach dem 1:2 gegen den Hamburger SV kaum geschlafen, sagt Bruno Labbadia am nächsten Morgen. Das ist kein Wunder. Da bestritt er sein 25. Bundesligaspiel auf der Bank des VfB Stuttgart - und dann endete das kleine Jubiläum mit einer solchen Pleite.

 

Dem Trainer und den anderen Verantwortlichen im Verein wurden die Augen geöffnet. Die Realität heißt: träumen verboten. Labbadia dürfte im Bett gegrübelt haben, was mit dieser Mannschaft noch möglich ist und welches Entwicklungspotenzial sie eigentlich besitzt. Die Antwort findet er auch ein paar Stunden später nicht.

Da sagt er Sätze wie: "Wir haben gesehen, dass wir immer hundert Prozent bringen müssen, um erfolgreich sein zu können." Oder: "Ich kann den Spielern nichts vorwerfen. Sie geben immer hundert Prozent." Oder: "Warum haben wir keine zwei, drei oder vier Leute, die in schwierigen Phasen den Rhythmus bestimmen?" Oder auch: "Wir müssen den nächsten Schritt machen und auch einmal über die Schwelle kommen." Auf den Einwand, ob die Qualität der Mannschaft dafür überhaupt ausreiche, erwidert er nur: "Wenn wir drüberkommen, kann es mal einen Lauf geben."

Labbadia handelt lieber konservativ

Wenn das Wörtchen "wenn" nicht wäre. Bei Labbadia schwingen Zweifel mit, ob das, was in seinen 25 Partien erreicht wurde - nämlich der Klassenverbleib und ein durchschnittlicher Saisonauftakt - noch übertroffen werden kann. Oder spielt die Mannschaft bereits an ihrer Obergrenze und ist bei den von Labbadia bemühten hundert Prozent? Um die Schwellenangst, die der Trainer ausgemacht hat, zu überwinden, müssten dann wohl mehr als hundert Prozent her. Mehr als das Maximum ist jedoch unmöglich. Aber wie sieht angesichts dessen die VfB-Perspektive über die nächsten Spieltage hinaus aus?

Labbadia weiß, dass das Team, das am Freitag aufgelaufen ist, zu den ältesten in der Liga gehört. Der Gegenentwurf stand ebenfalls auf dem Platz - der Tabellenletzte aus Hamburg. Der Interimscoach Rodolfo Cardoso ließ erfahrene Nationalspieler wie Marcell Jansen, Paolo Guerrero und David Jarolâm zunächst draußen schmoren und vertraute Nachwuchskräften wie Gökhan Töre (19), Heung-Min Son (19) und Zhi Gin Lam (20), der zuvor nur in der Regionalliga gekickt hatte. Der Plan ging auf.

Nun hatte Cardoso aber auch nichts zu verlieren, weil ihm klar war, dass er seinen Posten ohnehin bald wieder verlieren wird. Bei Labbadia ist das ganz anders. Er muss sich nach jedem Spiel erklären und rechtfertigen - was er offensichtlich für prinzipiell einfacher hält, wenn er an dem Personal festhält, das sich zuletzt wenigstens einigermaßen bewährte. Zumal Labbadia auch mal ein Risiko eingegangen ist. Bei seinem Einstand in Stuttgart am 19. Dezember gegen die Bayern versuchte er es mit Ermin Bikcacic, doch der damals 19-Jährige war überfordert. Labbadia wurde kritisiert. Seitdem experimentiert er lieber nicht mehr, sondern handelt konservativ.

"Wir sind zu sehr mit uns selbst beschäftigt"

Als Folge gibt es beim VfB aber momentan keinen einzigen jungen Hoffnungsträger, der an das Tor zur Bundesliga klopft. Die Talente bräuchten Geduld, heißt es. Dabei stehen in der aktuellen Stammformation schon altersbedingt kaum Spieler, die noch zu Leistungssprüngen in der Lage sind. Und teure Stars kann der Club nicht kaufen, weil das Geld dafür nicht vorhanden ist. Wo will der VfB also hin?

In seinem Führungskreis gibt es sehr wohl progressive Stimmen, die angesichts der Konstellation dafür plädieren, den Nachwuchs schnell bei den Profis einzubauen. Das entspräche dem Stuttgarter Weg, den der Verein theoretisch gehen will. Aber praktisch gibt es keine Vorgabe aus der Chefetage, die verlangt, dass die sportliche Abteilung sichtbar mit der Umsetzung der Strategie beginnen muss. Dabei würde eine solche Stallorder die Arbeit von Labbadia vermutlich erleichtern. Wenn er Weisungen befolgt, könnte er nicht wie bei Bikcacic zum Sündenbock gestempelt werden.

Doch diese Zeichen fehlen. So wirkt seit Längerem vieles beim VfB beliebig, was sich auch an der Aufstellung gegen den HSV gezeigt hat. Spieler aus nicht weniger als zehn verschiedenen Nationen standen auf dem Platz. Erstens ist das rekordverdächtig in der Liga - und zweitens dürfte auch dieses Multikulti nicht Teil des Stuttgarter Wegs sein. "Wir sind im Augenblick noch zu sehr mit uns selbst beschäftigt", sagt Labbadia. Damit meint er zwar die Mannschaft, aber womöglich gilt es ja auch für die anderen Instanzen im Club. Eine solche Erkenntnis würde jedenfalls gut zu diesem schweren Kater passen.