Der VfB Stuttgart gewinnt gegen Hertha BSC ein Spiel, das er ohne seinen prominenten Rückkehrer Mario Gomez wohl nicht gewonnen hätte.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart - Für einen Augenblick schien es, als habe Mario Gomez den Überblick verloren. Er sprang vom Boden auf und jubelte wie ein Torschütze. Er lief auch in Richtung Fankurve, um sich von den Anhängern und den Mitspielern wie ein Torschütze feiern zu lassen. Verstärkt wurde der emotionale Ausbruch durch die Ansage über die Lautsprecher: Mario Gomez wurde zum Torschützen ausgerufen. Obwohl auch der Stadionsprecher Holger Laser zumindest geahnt hatte, dass der Stürmer des VfB Stuttgart nicht als Letzter den Fuß am Ball gehabt hatte. Aber was soll man in einem solchen Moment schon machen?

 

Der ganze weiß-rote Anhang hatte diesen Treffer so sehr ersehnt, und der große Rückkehrer hatte das Tor zum 1:0-Sieg gegen Hertha BSC schließlich erzwungen. Irgendwie. Zudem gebietet es ja der Respekt vor dem Gegner, dass ein Eigentorschütze nicht hämisch beklatscht wird. „In jedem Stadion feiert man mit den eigenen Fans doch nicht einen gegnerischen Spieler“, sagte Gomez und klärte weiter auf: Er habe sehr wohl mitbekommen, dass der Berliner Niklas Stark den Ball über seinen Torwart Rune Jarstein gelupft hatte.

Trainer Wolf spricht von Glück

Es war der Abschluss einer Aktion, die mit Berkay Özcan begonnen hatte, von Daniel Ginczek fortgeführt wurde und bei der auch Gomez seine Füße im Spiel hatte (78.). „Für mich war die Szene schon abgeschlossen“, sagte Gomez. „Elfmeter und Rote Karte für eine Notbremse.“ Doch dann nahm die Kugel diese für den VfB herrliche Flugkurve. „Da habe ich mir gedacht, wir nehmen lieber das Tor anstatt den Strafstoß und den Platzverweis“, sagte Gomez.

Der Schiedsrichter Felix Brych sah es genauso. Ein klarer Fall von Vorteil, der faktisch die Niederlagenserie der Stuttgarter beendete. Vier Bundesligapleiten ohne eigenes Tor hatte es zum Ende der Vorrunde zu verschmerzen gegeben, plus das Pokalaus in Mainz. Das nährte die Zweifel am Klassenverbleib. Nun, zum Rückrundenstart, weiß der VfB, dass er noch gewinnen kann. Eminent wichtig ist das für das Punktekonto, aber es ist ebenso atmosphärisch von Bedeutung. „Wir hatten ja bisher noch nicht so viele Spiele, die wir auf diese Weise gewonnen haben. In der Hinrunde hätten wir eine solche Begegnung wohl eher verloren“, sagte der Trainer Hannes Wolf.

Von Glück kann der Chefcoach nun reden – und nicht immer nur von Pech. Weil Salomon Kalou eine Riesenchance vergab (40.), und weil Brych nach einer Attacke von Marcin Kaminski gegen Kalou im Strafraum nicht auf Elfmeter entschied (70.). Normalerweise sind das die Berliner Momente. „Sie lullen dich ein, schlagen aus dem Nichts zu und lullen dich hinterher wieder ein“, erklärte Gomez das Konzept von Hertha-Trainer Pal Dardai.

Und normalerweise sind es solche Momente, die das Stuttgarter Spiel zum Kippen bringen. Doch zu einer weiter stabilen Defensive gibt es jetzt den Gomez-Faktor. Achteinhalb Jahre oder 3157 Tage nach seinem letzten Pflichtspieleinsatz im Trikot mit dem Brustring war die Wuchtbrumme im Angriff wieder da. Beladen mit all den Erwartungen, die sich an ihn knüpfen. Aber eben auch sofort präsent mit seiner Ausstrahlung. Auf die Gegner, die vor einem Mario Gomez sicher anders zittern als vor einem Simon Terodde. Denn der frühere Publikumsliebling steckte vor seinem Abgang zum 1. FC Köln stets in der Situation, beweisen zu müssen, dass er nicht nur in der zweiten Liga als Torjäger funktioniert.

In Mainz soll ein Auswärtssieg her

Gomez’ Klasse ist dagegen noch immer unstrittig. Ebenso seine Wirkung auf die Mitspieler. Mit seinen 32 Jahren gehört der Nationalspieler auf Anhieb zu den Führungskräften im Gefüge. An das rettende Ufer soll er die Stuttgarter mit seinen Treffern und seinem Ehrgeiz bringen. Doch der Weg ist noch weit – und jedes Spiel bleibt eine enge Kiste. „Wir haben gesehen, dass wir auf unserem besten Level sein müssen, um gegen eine so abgezockte Truppe wie die Hertha zu Chancen zu kommen“, sagte Wolf und kritisierte seine Mannschaft für den zähen Auftritt im ersten Durchgang.

Zu wenige Sprints sah der Trainer – und ohne Tempo kommt der VfB nicht zum Zug. Selbst mit Gomez, der viele Bälle gut für seine Offensivkollegen abprallen ließ, oder den Angriffen gleich selbst eine Stoßrichtung gab. Nur: Es passierte nichts. Die flinken Chadrac Akolo und Anastasios Donis kamen als Partner nicht in Schwung. Und Berkay Özcan stand häufig so tief, dass er mit Dennis Aogo fast schon ein Linksverteidiger-Pärchen bildete.

Gedacht war das anders. Höher wollte der VfB verteidigen. Schneller und tiefer in die Berliner Hälfte kommen, um die Abschlussstärke seiner Nummer 27 zu nutzen. Doch das Risiko mit Wechseln die Statik in der Elf zu verändern, um tatsächlich besser nach vorne zu kommen, scheute der Trainer. „Für mich persönlich ist es aber nicht so wichtig, ob wir 18 super Spielzüge hinlegen“, sagte Gomez, „sondern mit welcher Einstellung wir in die Spiele gehen.“ Als Mentalitätssieg geht der Erfolg deshalb nach einer Steigerung durch – dank Eigenschaften, die am Samstag in Mainz wieder gefordert sein werden. Kraft, Konzentration, Härte. „Es ist Zeit für einen Auswärtssieg“, sagte Wolf. Mit etwas Glück noch und Gomez könnte das klappen.