Die ehemaligen Mannschaftskapitäne Berthold, Förster, Buchwald, Ohlicher und Soldo machen sich angesichts der Entwicklung große Sorgen um den VfB.  

Stuttgart - Nach der Pokalpleite am Mittwoch gegen den FC Bayern München und unmittelbar vor dem Heimspiel am Samstag gegen Hertha BSC ist der VfB Stuttgart wieder einmal an einem ganz kritischen Punkt angekommen. In den vergangenen elf Bundesligaspielen wurden nur sieben Punkte eingefahren. Sollte jetzt erneut kein Sieg gelingen, droht Abstiegskampf pur - eine Erfahrung, die die Mannschaft schon in den letzten beiden Jahren gemacht hat. Fünf ehemalige VfB-Kapitäne analysieren die Situation und suchen nach Lösungsansätzen.

 

Thomas Berthold (Amtszeit von 1994 bis 1996)

"Der VfB präsentierte sich schon zu meiner aktiven Zeit so wie heute. Ich habe zu unserem damaligen Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder immer gesagt, dass ein Verein mit diesen Möglichkeiten in Deutschland gleich hinter den Bayern stehen müsse. Aber dem VfB ist es nie gelungen, die richtigen Strukturen dafür zu schaffen. Das zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Clubs. Die große Linie fehlt - was wie in jedem Unternehmen mit Kompetenz und Knowhow der Entscheidungsträger zu tun hat.

Der VfB hat es schon immer versäumt, sich konstruktiv mit Kritik auseinanderzusetzen. Das ist ein trauriges Kapitel. Alles dümpelt vor sich hin und versickert in einem Sumpf von Eitelkeiten. Man sieht das Große nicht und verzettelt sich im Kleinen. Da hat man sich ein schönes Konstrukt aufgebaut. So konnte nie eine wirkliche Aufbruchstimmung entstehen. Es geht schon damit los, dass im Vorstand keiner sitzt, der eine Ahnung vom Fußball hat. Wie soll das funktionieren?

Entschuldigung, aber das hat mit Unternehmensführung nichts zu tun. Es passt alles hinten und vorne nicht - auch auf dem Platz nicht. So sehr ich Bruno Labbadia mag, aber da muss sich ein Trainer hinterfragen. Gegen Hertha BSC wird es ein kleines Finale. Wenn der VfB nicht gewinnt, gibt es eine ganz schwierige Rückrunde."

Guido Buchwald (1992 bis 1994)

"Beim VfB ist seit einiger Zeit eine Stagnation eingekehrt. Die Mannschaft hat in dieser Saison gut begonnen, aber dann war die Tendenz bald wieder schleichend negativ. Ich habe geglaubt, dass die Akkus in der Winterpause aufgeladen werden und dass die Energie danach zurückkommt. Doch das Ganze wirkt nach wie vor nicht harmonisch. Eine Gruppendynamik fehlt völlig, genauso wie die Kreativität im Spiel. Bruno Labbadia hat sein Team noch nicht gefunden, was aber schleunigst passieren muss. Bisher gibt es viele Wechsel in der Anfangsformation.

In Sven Ulreich, Serdar Tasci und William Kvist haben nur drei Spieler einen Stammplatz sicher. Das ist sehr wenig. Normalerweise sind sechs oder sieben Spieler gesetzt. Im Sommer muss es einen Umbruch geben. Daran müssen sich die Verantwortlichen messen lassen. Der VfB muss sich neu finden. Gegen Hertha BSC muss jeder Spieler Charakter zeigen. Es gibt keine Ausreden mehr. Jeder muss wissen, um was es geht. Das muss man von den Spielern verlangen können. Sonst sind sie hier beim falschen Club. Dann hilft alles nichts mehr - und dann müsste man ganz schnell das Gefüge korrigieren und junge Leute reinwerfen, die hungrig sind. Talente gibt es in der zweiten Mannschaft genug."

Karlheinz Förster (1984 bis 1986)

"Mit diesem Saisonverlauf kann der VfB natürlich nicht zufrieden sein. Aber es ist ja ohnehin so, dass es seit der Meisterschaft 2007 latent abwärtsgeht. Man muss sich nur mal vor Augen führen, was seitdem geschehen ist. Alleine an den vielen Trainerwechseln sieht man, dass die Zeiten unruhig sind. Zudem fällt auf, dass die Fluktuation in den letzten Jahren auch auf anderen Ebenen sehr hoch gewesen ist - ob bei den Präsidenten, den Managern oder den Spielern. Wer aus der Mannschaft spielt denn schon lange für den VfB in der Bundesliga, außer Serdar Tasci und Cacau?

Es herrscht ein stetes Kommen und Gehen. Deshalb muss es das große Ziel sein, Kontinuität in den Verein zu bringen. Entscheidend dabei ist aber, dass man erkennt, ob auch tatsächlich die richtigen Leute an der richtigen Stelle und in der Verantwortung sind. Ein positives Beispiel in dieser Richtung ist Borussia Dortmund. Dort hat man auch in sehr schwierigen Phasen an dem Sportdirektor Michael Zorc festgehalten - mit Erfolg. Aber vielleicht hat ja auch der VfB Stuttgart diesbezüglich einen Anfang gemacht, indem er den Vertrag mit dem Manager Fredi Bobic verlängerte."

Hermann Ohlicher (1977 bis 1984)

"Wenn die Mannschaft nur ein paar Prozent nachlässt, ist das schon zu viel. Dann gehen die Spiele ganz schnell verloren. Nach dem 2:2 vor einer Woche in Leverkusen habe ich gedacht, dass es aufwärtsgeht. Aber das Pokalspiel gegen die Bayern war wieder ein gewaltiger Rückschritt. Es war keine Leidenschaft und keine Aggressivität vorhanden. Der Funke springt nicht über. Für einen Platz in der Spitzengruppe der Bundesliga reicht es für uns nicht. Aber jetzt kommen ja drei Heimspiele gegen Gegner, die auf einem Niveau mit uns sind - Hertha BSC, Freiburg und Kaiserslautern.

Das sind direkte Mitkonkurrenten. Danach wissen wir, wo wir stehen. Die Mannschaft muss an einem Strang ziehen und wieder als Mannschaft auftreten. Es fehlen zwei oder drei Spieler, an denen sich die anderen orientieren können. Im Moment haben wir einen Kader, der von mehreren Trainern zusammengestellt worden ist. Von jedem Trainer sind sechs oder sieben Spieler dabei. Dabei brauchen wir wieder ein Team, das zusammenwachsen kann. Dazu ist es wichtig, dass unsere jungen Spieler herangeführt werden. Das muss unser Weg sein."

Zvonimir Soldo (2000 bis 2006)

"Immer wenn der VfB in sein Stadion finanziert hat, hat er sportlich Probleme bekommen. Aber ob da ein direkter Zusammenhang besteht, ist jetzt letztlich egal. Der Club muss durch diese Situation einfach durch. Für mich sind alle Mannschaften ab dem achten Tabellenplatz in Abstiegsgefahr. Es gibt jedoch trotzdem noch viel schlechtere Teams als den VfB, der genügend Qualität und Potenzial besitzt, um in der Liga zu bleiben.

Er hat die Klasse für einen Mittelfeldplatz. Danach muss man aber mehr Geld in die Mannschaft investieren. Im Sommer laufen einige Verträge aus. Da muss ein Schnitt gemacht und ein neues Team aufgebaut werden. Das Ziel muss sein, nächstes Jahr wieder oben mitzuspielen. Diesen Anspruch muss ein Verein wie der VfB haben.

Die fünf Kapitäne

Thomas Berthold (47) Nach dem Karriereende 2001 war der Weltmeister von 1990 Manager bei Fortuna Düsseldorf (2003 bis 2005). Heute ist er als selbstständiger Geschäftsmann unter anderem im Online-Bereich tätig.

Guido Buchwald (51) Nach dem Karriereende 1991 arbeitete er als Trainer in Japan, wo er mit Urawa Red Diamonds die Meisterschaft gewann, und bei Alemannia Aachen. Seit Dezember 2010 ist er im Präsidium der Stuttgarter Kickers für das Ressort Fußball verantwortlich.

Karlheinz Förster (53) Nach dem Karriereende 1990 war er Manager beim SV Waldhof Mannheim und von 1998 bis 2001 beim VfB. Seitdem ist er Spielerberater. Zu seinen Klienten gehören Martin Harnik und Sebastian Rudy.

Hermann Ohlicher (62) Nach dem Karriereende 1985 übernahm er den Posten des Bezirksdirektors für 340 Toto-Lotto-Annahmestellen in Esslingen. Beim VfB ist er seit einigen Jahren Mitglied des Ehrenrats.

Zvonimir Soldo (44) Nach dem Karriereende 2006 war er Trainer bei Dinamo Zagreb und von Juli 2009 bis Oktober 2010 beim 1. FC Köln. Momentan hospitiert er bei verschiedenen Vereinen in Europa.