Der VfB Stuttgart hat nach Standardsituationen bereits 13 Gegentore kassiert. Doch die Schwäche lässt sich vor dem Spiel am Samstag (18.30 Uhr) in Mainz nicht so leicht abstellen.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart - Man kann sich das gut vorstellen. Wie sich Huub Stevens mit seinem mächtigen Körper vor den Spielern aufbaut, sie mit finsterem Blick fixiert und diese eine unausgesprochene Frage mit dem Trainer mitten in der Kabine steht: Wie groß seid ihr eigentlich?

 

Antonio Rüdiger, der jetzt verletzt ausfällt, misst 1,90 Meter. Ebenso wie Timo Baumgartl. Adam Hlousek bringt es auf stattliche 1,89 Meter, Daniel Schwaab auf 1,86 Meter und Florian Klein noch auf 1,82 Meter. Es ist also nicht so, dass die Abwehrreihe des VfB Stuttgart bei Standardsituationen einen Größennachteil gegenüber der Konkurrenz hätte. Weder zuletzt beim 0:4 gegen Schalke 04 noch an diesem Samstag (18.30 Uhr) beim FSV Mainz 05. Zumal, wenn noch Christian Gentner (1,89 Meter), Martin Harnik (1,85) und Oriol Romeu (1,83) in den eigenen Strafraum eilen, um die drohende Gefahr abzuwenden.

„Vielleicht sollten wir trotzdem versuchen, unter die Fußballschuhe größere Nocken zu tun“, scherzt Stevens. Ernsthaft ist die Schwäche des VfB bei Standards für den Trainer aber keine Frage von Zentimetern, sondern von „Aggressivität und Schlauheit“. Daran muss es mangeln. Denn die schwäbische Schreckensbilanz weist schon 13 Gegentore nach ruhenden Bällen aus. Das ist ein unrühmlicher Spitzenwert in der Bundesliga, ebenso wie die 31 Gegentore insgesamt. Nur in der Abstiegssaison 1974/75 waren die Stuttgarter nach 14 Spielen mit 32 Gegentreffern jemals schlechter.

Hochgerechnet 75 Gegentore in der Saison

Hochgerechnet würde der VfB die Saison aktuell mit 75 Gegentoren beenden – deutlich mehr, als die Absteiger 1. FC Nürnberg (70) und Eintracht Braunschweig (60) in der Vorsaison hinnehmen mussten. Weshalb es für Stevens dringlicher denn je ist, die Defensive des Tabellenletzten zu stabilisieren. „Ich glaube noch immer, dass diese Mannschaft genug Qualität hat, um da unten wegzukommen“, sagt der Trainer.

Dass die Stuttgarter aber ausgerechnet nach Eckbällen und Freistößen schwächeln, verwundert – und kann einen schon fast verzweifeln lassen. So gewährte der Ex-Trainer Armin Veh bereits nach dem 0:2 in Bremen Einblick in seine verletzte Fußballlehrerseele: beide Werder-Tore fielen trotz intensiver Übungseinheiten zuvor wieder nach ruhenden Bällen. Erklärungen dafür gibt es jedoch keine. Denn die Zuteilungen sind klar abgesprochen, und die Automatismen müssten ebenfalls sitzen. Veh versuchte es auch mit der Umstellung von Mann- auf Raumdeckung. Weil es im Training ganz gut funktioniert hatte. Nur: im Wettkampf klappt es nicht.

Mal passt Martin Harnik wie gegen den Schalker Dreifachtorschützen Eric Maxim Choupo-Moting nicht auf, mal Antonio Rüdiger oder ein anderer. Konzentrationsschwächen heißt es dann gemeinhin. Oder Sorglosigkeit. Oder Schläfrigkeit. Der Kapitän Christian Gentner macht allerdings eine „allgemeine Verunsicherung“ in der Mannschaft aus, die sich auch auf das Verteidigen bei Standards auswirkt. Dabei glänzen die Gegner nicht durch ideenreiche Varianten, meist kommt der Ball durch Freistoßflanken oder Eckbälle einfach hoch vor das VfB-Tor. Gemäß dem simplen Motto: Ecke, Kopfball, Tor.

Hilft Niedermeiers Comeback?

Das geht nun schon so weit, dass der VfB die Angst vor dem nächsten ruhenden Ball befürchten muss, eine Art selbsterfüllende Freistoßprophezeiung. Ähnlich wie die Stuttgarter in der vergangenen Saison macht- und ratlos den vielen späten Gegentoren gegenüberstanden. Die kosteten zahlreiche Punkte und beinahe die Klasse.

Erst Stevens hat den VfB mit seiner Vorliebe für kernige Vorstopperarbeit ans rettende Ufer gebracht. Und auch diesmal ist sich der Niederländer bei seiner Rettungsmission nicht zu schade dafür, die profansten Dinge des Fußballs einüben und praktizieren zu lassen.

Mehr Defensive, weniger Gegentore beziehungsweise weniger Fehler, mehr Selbstvertrauen – auf einen solchen Doppeleffekt setzt der Trainer, um den Anschluss an die Nichtabstiegsplätze nicht zu verlieren. „Ich versuche, den Spielern auch bewusst zu machen, was auf sie zukommt“, sagt Stevens. Zunächst in Mainz. Und vielleicht wieder mit Georg Niedermeier in der Abwehr – ein kantiger Kerl von nicht ganz zwei Metern. Schließlich will sich der VfB diesmal ja nicht kleinkriegen lassen.