Warum der VfB Stuttgart bis zur Winterpause am Interimstrainer Jürgen Kramny festhalten will - eine Analyse zur schwierigen Situation beim Tabellenvorletzten der Fußball-Bundesliga.
Stuttgart - Und dann wieder so eine kritische Situation kurz vor Schluss. Zwar geht Timo Baumgartl mit einem gehörigen Vorsprung in das Laufduell mit Fin Bartels. Doch Meter um Meter holt der Bremer auf. Der Stuttgarter Innenverteidiger kann den Ball bei diesem zunächst ungefährlich aussehenden Konter gerade noch so mit der Fußspitze ins Seitenaus klären. Beim 1:1 des VfB Stuttgart gegen Werder Bremen sind es auch Szenen wie diese, die dazu beitragen, dass Jürgen Kramny auch am kommenden Freitag in Mainz sein Amt als Interimstrainer weiter ausüben darf.
Die Überlegung des Sportvorstands Robin Dutt dürfte im Moment diese sein: Es ist doch sehr ungewiss, ob derzeit ein anderer Trainer mehr aus dem Ist-Zustand des VfB herausholt. Und zu diesen Tatsachen gehört eben, dass die zur Verfügung stehenden Innenverteidiger Timo Baumgartl und Toni Sunjic nicht die schnellsten sind und Georg Niedermeier keine überzeugende Alternative darstellt. Ein neuer Trainer kann nicht mehr Tempo in die Verteidigung bringen, und er wird aus dem letzten verbliebenen gesunden und bundesligatauglichen Stürmer von heute auf morgen auch keinen eiskalten Torjäger machen. Timo Werner vergab gegen Bremen zweimal in der Mittelstürmerposition hochkarätige Chancen. Weil er kein richtiger Mittelstürmer ist, sondern nur der Ersatz des verletzten Daniel Ginczek.
Der Plan: mit Kramny in die Winterpause
„Jürgen Kramny ist für den VfB derzeit der richtige Trainer“, so Robin Dutt. Das sagt der Sportvorstand, weil es unter den aktuellen Bedingungen wahrscheinlich niemanden gibt, der viel mehr aus dieser Stuttgarter Mannschaft herausholen kann als Jürgen Kramny. „Es ist, wie es ist“, sagt der Interimstrainer, der den VfB nicht nur in Mainz, sondern auch im darauffolgenden Pokalspiel gegen Braunschweig und zum Vorrundenabschluss gegen Wolfsburg coachen soll, zu den Gegebenheiten.
Dem Plan, sich mit Jürgen Kramny in die Winterpause zu retten, liegen aber noch weitere Überlegungen zu Grunde. So wäre das Risiko im Moment ausgesprochen hoch, dass ein kurzfristig verpflichteter Coach auf die Schnelle auch nichts ausrichten kann und schlechte Ergebnisse mit in die so enorm wichtige Vorbereitung auf die Rückrunde nehmen würde. Der Effekt eines Trainerwechsels könnte so leicht verpuffen.
Die nächste Stuttgarter Trainerverpflichtung muss aber sitzen. Robin Dutt kann sich nach dem gescheiterten Versuch mit Alexander Zorniger keinen weiteren Trainerfehlgriff erlauben. Der Sportvorstand wäre nicht mehr tragbar, sollte der VfB in dieser Saison nicht mehr die Kurve kriegen. Und im Moment ist es auch nur mit sehr viel Fantasie vorstellbar, dass Bernd Wahler sein Präsidentenamt auch in der zweiten Liga ausüben darf.
Kein Schnellschuss mit der letzten Patrone
Die Antwort auf die erneute Trainerfrage ist deshalb eine der weitreichendsten Personalentscheidungen in der Geschichte des VfB Stuttgart. Deshalb kann es auch wenig verwundern, dass die Vereinsführung mit größtmöglicher Sorgfalt die Kandidaten prüft. Um es mal etwas martialisch auszudrücken: der VfB hat noch eine Patrone – und die soll auf keinen Fall für einen Schnellschuss verwendet werden.
Das Spiel auf Zeit lässt sich auch in Verbindung zu Lucien Favre bringen, der der Wunschkandidat des VfB ist. Der Schweizer stand nach seinem Ausstieg in Mönchengladbach für einen sofortigen Einstieg nicht zur Verfügung. Diese Verpflichtung erscheint in der Winterpause realistischer, zumal der Kader dann auch nachgebessert werden soll. Mindestens ein neuer Innenverteidiger soll kommen, möglicherweise auch ein Stürmer, sollte sich die Rückkehr des an der Bandscheibe verletzten Daniel Ginczek über die Winterpause hinaus verzögern.
Die Planungen könnten aber auch ganz schnell wieder über den Haufen geworfen werden. Ein desolater Auftritt in Mainz würde die Verantwortlichen möglicherweise doch zum schnellen Handeln veranlassen. Ebenso wären drei starke Auftritte vor der Winterpause auch ganz gute Gründe, mit Jürgen Kramny weiterzumachen. Auf eine Leistungsexplosion jedoch deutet nur sehr wenig hin.