Immer wenn der VfB Stuttgart kurz davor scheint, sich in Sicherheit zu bringen, folgt der Rückschlag. Vor dem Spiel in Darmstadt gibt es zwar keinen Grund zur Panik – größte Vorsicht aber ist dringend geboten.

Stuttgart - Die Schlussviertelstunde beginnt gerade erst, doch der Spion hat schon genug gesehen. Er nimmt seine Brille von der Nase und steckt den Notizblock ein, er lacht über einen letzten Scherz von Buffy Ettmayer und klopft Fritz Walter auf die Schultern. Dann verlässt er seinen Logenplatz in der Mercedes-Benz-Arena. Gut gelaunt und hoffnungsfroh begibt sich Dirk Schuster auf den Nachhauseweg.

 

Es dürfte dem Fußballlehrer, der früher bei den Stuttgarter Kickers arbeitete und nun mit bislang bemerkenswertem Erfolg Darmstadt 98 von den Abstiegsrängen entfernt hält, gut gefallen haben, was er bis zu seiner Abreise zu sehen bekam. Eine Heimmannschaft, die ihrem Publikum alles vorenthielt, was für einen Bundesligasieg oder wenigstens ein Unentschieden nötig ist; eine völlig chancenlose VfB-Elf, die gegen Bayer Leverkusen mit 0:2 (0:1) verlor, sich aber auch über ein halbes Dutzend Gegentreffer nicht hätte beschweren können. Als krasse Außenseiter müssen sich Schusters Darmstädter folglich nicht betrachten, wenn der VfB nach der Länderspielpause ans Böllenfalltor kommt. „Da werden Big Points vergeben“, sagt der Stuttgarter Sportchef Robin Dutt und ahnt: „Da brauchen wir eine deutlich bessere Form als gegen Leverkusen.“

In Darmstadt kommt es zum Schlüsselspiel

Ein Schlüsselspiel wird das Duell mit dem hessischen Aufsteiger nun für beide Mannschaften – und beim VfB rätseln sie, warum es so weit kommen musste. Die Gelegenheit schien besonders günstig, sich vom Tabellenkeller endgültig abzusetzen. Ein Heimspiel vor fast vollen Rängen, eine ausgeruhte eigene Mannschaft, ein hoch belasteter Gegner aus Leverkusen, den nicht nur Verletzungssorgen plagen – was sollte da schon schief gehen?

Womöglich war gerade dies das Problem. Denn die Da-kann-nach-unten-nichts-mehr-anbrennen-Stimmung war vor der Partie nicht nur im Umfeld zu spüren, sondern dummerweise auch unter den Stuttgarter Spielern selbst. Von „einer gewissen Selbstsicherheit, die der Mannschaft nicht gut getan hat“, spricht der VfB-Trainer Jürgen Kramny und will nicht bestreiten, dass es an der nötigen Einstellung gefehlt habe: „Das kann der Fall gewesen sein.“

Ein Phänomen, das regelmäßig wiederkehrt

Sie kennen sich in Stuttgart inzwischen bestens aus mit diesem Phänomen der trügerischen Sicherheit, das seit Jahren regelmäßig wiederkehrt. Und so müssen sie auch jetzt wieder damit leben, dass der Abstieg sieben Spiele vor Saisonende nicht nur rein theoretisch möglich ist. Es macht die Sache nicht einfacher, dass nicht nur Daniel Didavi und Filip Kostic ihren Abschied vorbereiten, sondern ganz offensichtlich auch Timo Werner konkrete Wechselgedanken hegt. Der Stürmer mag nicht bestätigen, dass er auch in der neuen Saison in Stuttgart spielt – obwohl Robin Dutt sein Veto regelmäßig erneuert. „Bei 200 Millionen Euro fangen wir an, darüber nachzudenken“, witzelt Robin Dutt, was immerhin ein gutes Zeichen ist: Ein bisschen Spaß darf also auch weiterhin sein.

Tatsächlich gibt es ja auch keinen Grund, plötzlich in Panik zu verfallen. Der VfB hat es weiter selbst in der Hand, die Dinge unaufgeregt und frühzeitig zu regeln; er steht mit 32 Punkten auf Platz elf, genau in jener Region also, die der Manager als Saisonziel ausgerufen hat. Verglichen mit dem Vorjahr ist es eine ausgesprochen komfortable Ausgangssituation. Damals hatte der VfB zu diesem Zeitpunkt neun Punkte weniger und war Tabellenletzter.

Das Feld liegt ganz eng beisammen

Doch gibt es daneben weitere Unterschiede zum Vorjahr, die ein paar Sorgen bereiten. Zum einen klingt der elfte Platz besser, als er in Wahrheit ist. Denn das Feld ist in der zweiten Tabellenhälfte so eng beisammen wie selten zuvor. Der erste Abstiegsplatz ist zwar bereits fest für Hannover 96 reserviert, davor aber liegen nur sechs Punkte zwischen Frankfurt auf Rang 17 und Köln auf Platz neun. „Wir müssen höllisch aufpassen“, sagt Kramny.

Zum anderen sollte sich der VfB dieses Mal besser nicht darauf verlassen, die erforderlichen Siege am Schluss einzufahren. Es sind sehr schwere Aufgaben, die Kramnys Mannschaft bevorstehen. In den nächsten beiden Heimspielen geht es gegen die Bayern und Borussia Dortmund, zum Saisonfinale geht es nach Wolfsburg.

Die noch nötigen Punkte holt man besser vorher – idealerweise schon in Darmstadt. Doch wird Dirk Schuster etwas dagegen haben. Er hat gesehen, wie einfach man den VfB schlagen kann – und in seinem Falle sollte man nicht davon ausgehen, dass er sich davon auch nur ansatzweise in Sicherheit wiegen könnte.