Der VfB-Torhüter Przemyslaw Tyton zeigt momentan viele Schwächen – das könnte die Chance für seinen Konkurrenten Mitchell Langerak sein.
Stuttgart - Die Flanke kommt viel zu dicht vors Tor. Das ist jetzt eine sichere Beute für den Keeper, der den Ball gleich abfangen oder zumindest wegfausten wird, sollte man eigentlich meinen. Aber Przemyslaw Tyton (29) zögert – und so wird die an sich harmlose Situation plötzlich brandgefährlich. Willkommen beim VfB Stuttgart. Ungewiss ist, wie oft sich eine solche Szene in dieser Saison schon wiederholt hat. Fest steht allerdings: ziemlich oft. Auf der Linie zeigt Schlussmann zwar bisweilen starke Reflexe, doch der Strafraum ist nicht Tytons Revier.
Diese offensichtliche Schwäche führte in den vergangenen Monaten schon zu mehreren Gegentreffern und kostete dem im Abstiegskampf steckenden VfB einige wichtige Punkte wie zuletzt beim 2:2 vor zehn Tagen beim SV Darmstadt. Bei der 1:3-Niederlage am vergangenen Samstag gegen den FC Bayern machte Tyton beim zweiten und dritten Gegentor ebenfalls keine besonders glückliche Figur, auch wenn er da nicht nach Flanken hinter sich greifen musste. Als Folge belegt er in der Torhüterrangliste des Fachmagazins „Kicker“ nach dem 29. Spieltag nur den 16. Platz – mit einem Notendurchschnitt von 3,17. Schlechter sind nur der Bremer Felix Wiedwald (3,22) und Diego Benaglio vom VfL Wolfsburg (3,31). Erster ist übrigens René Adler aus Hamburg (2,59) vor dem Schalker Ralf Fährmann (2,62).
Langerak lauert auf seine Chance
Die Entwicklung ist natürlich auch Mitchell Langerak (27) nicht entgangen. Schließlich hat er auf der Ersatzbank ja genügend Zeit, um die Auftritte seines Konkurrenten Tyton zu studieren. Dabei war ursprünglich eine andere Rollenverteilung vorgesehen – mit dem im vergangenen Sommer für 3,5 Millionen Euro von Borussia Dortmund geholten Langerak als Nummer eins und Tyton (für eine Million aus Eindhoven) als Nummer zwei. Dann verpasste Langerak wegen einer Knieverletzung aber die komplette Hinrunde. Seit Januar ist er jedoch wieder fit – und sitzt mit Ausnahme des Pokalviertelfinales am 9. Februar gegen Dortmund (1:3) trotzdem draußen.
Drinnen ist Tyton. Bei jedem Torwart gebe es Aktionen, „über die man diskutieren kann“, sagt Robin Dutt, „aber Titti war auch ein Gesicht unseres Aufschwungs und hat ein paar Mal überragend gehalten.“ Speziell schätzt der VfB-Sportvorstand an dem Mann aus Polen, den er „Titti“ nennt, dass er sich von einem weniger gelungenen Auftritt nicht irritieren lässt – „und im nächsten Spiel schon wieder in der Elf des Tages sein kann“. Auch das ist dann wiederum eine Rubrik im „Kicker“, wie die Torhüterrangliste. Dass Tyton in dieser Statistik so weit hinten liegt, erklärt Dutt mit dem holprigen Saisonstart des Keepers: „Wenn nur die Leistungen seit Oktober bewertet würden, hätte Titti schon einige überholt und wäre in dieser Tabelle sicher weiter vorne.“
VfB kassiert die meisten Gegentore
Aber erstens zählt dummerweise die ganze Saison – und zweitens hat Tyton seit Oktober zwar in der Tat mehr Paraden als im August und September gezeigt, was jedoch nichts an seinen Unsicherheiten ändert. Nicht umsonst hat der VfB zusammen mit Werder Bremen die meisten Gegentore (59) aller Bundesligavereine kassiert. Und nach einer Stabilisierungsphase im Januar und Februar musste Tyton den Ball zuletzt wieder serienweise aus dem Netz holen – zwei Gegentreffer gegen Hannover, vier in Gladbach, drei in Ingolstadt, zwei gegen Leverkusen, zwei in Darmstadt und drei gegen Bayern. Nur gegen Hoffenheim blieb es zwischendurch bei einem Gegentor. Insofern wäre es durchaus nachvollziehbar, wenn Langerak mal eine Chance bekommen würde. „Von der Qualität her haben wir zwei Keeper, die sich in der Liga nicht verstecken müssen“, sagt Dutt.
Die Entscheidung darüber, wer zwischen den Pfosten steht, trifft Jürgen Kramny, der sich vor der Partie gegen den FC Bayern noch mal Gedanken gemacht und sich dann erneut auf Tyton festgelegt hat. „Ob unser Trainer das Rennen jetzt wieder offen gestaltet, weiß ich nicht“, sagt Dutt. Wenn überhaupt, dürfte es jedoch erst in der Sommerpause einen Zweikampf auf Augenhöhe geben. In dieser Saison wird sich an der Hierarchie kaum mehr etwas ändern – sofern am Samstag in Augsburg oder eine Woche später gegen Dortmund nicht zu viele Flanken ganz dicht vors Tor fliegen und Tyton wieder zögert.