Kompakt verteidigen und kontern: auf Schalke übt der VfB Stuttgart erfolgreich für das Pokalfinale gegen die Bayern. Das Team fühlt sich offenbar wohl in der Rolle des Außenseiters.

Stuttgart - Länger als sonst beugt sich Bruno Labbadia über den DIN-A4-Statistikbogen, der nach dem Schlusspfiff gewohnt druckfrisch im Presseraum der Schalker Arena verteilt wird. Zweikampfwerte und Ballbesitzquoten sind darauf auf der einen Seite verzeichnet, die Resultate aller Bundesligaspiele auf der anderen. Für die interessiert sich der VfB-Trainer diesmal besonders, denn: „Am Ende einer Saison passieren ja häufig die verrücktesten Dinge.“ Exakt dies, so darf man vermuten, denken sich zur gleichen Zeit auch die Trainerkollegen in den Presseräumen der anderen Stadien, als sie bei der Ergebnislektüre in Zeile zwei ankommen. Dort steht: FC Schalke 04 – VfB Stuttgart 1:2 (0:1).

 

Kurz vor der Ziellinie hat die Saison des VfB also eine weitere überraschende Wendung erfahren. Mittendrin waren die Stuttgarter zuvor gewesen, eine unrühmliche Bundesligaspielzeit sehr unrühmlich zu Ende zu bringen. Gegen die fußballerisch eher limitierten Teams aus Augsburg und Fürth hatten sie null Tore geschossen und null Punkte geholt. Und nun folgte dieser völlig verdiente Auswärtssieg beim FC Schalke, der darum kämpft, die Champions League zu erreichen. „Genau diese Reaktion habe ich erwartet“, sagt Labbadia.

Sehr wenig ändert der Erfolg an der Gesamteinschätzung dieser Bundesligasaison. Sie wird missraten bleiben, auch wenn sich der VfB mit einem Sieg am letzten Spieltag gegen Mainz und gleichzeitiger Schützenhilfe auf den anderen Plätzen noch in den einstelligen Tabellenbereich retten kann. Wichtig war der Sieg auf Schalke trotzdem – für die Mannschaft und nicht zuletzt den Trainer.

Ein weiterer Befreiungsschlag

Für Labbadia war es nach den jüngsten Pleiten bereits sehr ungemütlich geworden. Zu den vereinzelten „Bruno raus“-Rufen nach dem Fürth-Spiel gesellte sich die Kritik von Christian Gentner, der öffentlich bemängelte, dass die Möglichkeiten beim VfB nicht ausgeschöpft würden und spielerisch keine Weiterentwicklung zu sehen sei. Zwar bot der VfB auch auf Schalke wieder mehr Arbeit als Fußballzauber; zwar ist Labbadia auch nach dem Sieg weit davon entfernt, der große Liebling der Fans zu werden, von denen sich viele eine Neubesetzung des Trainerpostens zur neuen Saison wünschen, ganz unabhängig vom Ausgang des Pokalfinales. Doch immerhin: Labbadia ist ein weiterer Befreiungsschlag gelungen. Man kann kaum mehr mitzählen, der wievielte es war.

Die Mannschaft hat den Trainer also trotz aller Abnutzungserscheinungen erneut nicht im Regen stehen lassen. Freilich handelt sie dabei vor allem im ureigensten Interesse. Mit dem Pokalfinale in Berlin haben die Spieler ein großes Ziel vor Augen – und könnten von dem Sieg auf Schalke profitieren. „Mit Blick auf das Endspiel war das sehr wichtig für das Selbstvertrauen“, sagt der Außenstürmer Ibrahima Traoré.

Kompakt in der Defensive

Das gilt für einzelne Profis wie den Angreifer Vedad Ibisevic, der auf Schalke zu alter Treffsicherheit zurückgefunden hat; oder auch für den Außenverteidiger Tim Hoogland, der nach monatelanger Verletzungspause ein bemerkenswertes Comeback gefeiert hat. Das gilt aber vor allem für das Kollektiv: Denn wieder einmal haben die Spieler gemerkt, wie sehr ihnen die Außenseiterrolle entgegenkommt.

Gegen kleine Mannschaften wie Fürth oder Augsburg zeigt sich regelmäßig, dass das große Problem des VfB ist, ein Spiel selbst zu gestalten. Gegen bessere Teams wie Schalke ist das nicht nötig – da darf sich die Mannschaft auf die eher einfachen Dinge des Fußballs konzentrieren. Den Gegner kommen lassen, kompakt in der Defensive stehen und gelegentlich kontern – so lautet in solchen Spielen die Devise. Auf Schalke ist dieser Plan fast perfekt aufgegangen. „Wir wissen schon länger, dass unser Umschaltspiel nach vorne sehr gut ist“, sagt der VfB-Manager Fredi Bobic.

Genauso wird dann auch am 1. Juni in der Hauptstadt die Marschroute aussehen, wenn der VfB gegen die Bayern seine Minimalchance als dann besonders krasser Außenseiter nutzen will. „Wir brauchen solche Spiele wie auf Schalke als Vorbereitung“, sagt Traoré – und zählt schon jetzt die Tage bis zum Endspiel: „Es fällt schwer, an etwas anderes zu denken.“