Das einstige Sorgenkind hat sich zum Leistungsträger entwickelt und seinen Vertrag um drei Jahre verlängert. Ein Blick zurück auf die Entwicklung und Wandlung des Mittelfeldspielers.

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

Belek - Es hat Zeiten gegeben, da konnte Fredi Bobic beim Thema Christian Gentner nur den Kopf schütteln. „Wenn die Leute wüssten, wie sich der Junge mit dem Verein identifiziert“, sagte der Manager in der Krisensaison 2010/2011, „dann würden sie ihn garantiert nicht auspfeifen.“ Und doch konnte auch Bobic nichts daran ändern: Die Beziehung zwischen Christian Gentner und dem VfB ist nach dem Ende seines dreijährigen Gastspiels beim VfL Wolfsburg zunächst eine sehr komplizierte gewesen. „Vielleicht mögen die Fans meinen Spielstil nicht?“, grübelte der Spieler damals.

 

Gestern hat sich im Fünfsternehotel Kempinski ein entschlossenerer Christian Gentner präsentiert. Im südtürkischen Badeort Belek, wo die Stuttgarter ihr achttägiges Wintertrainingslager absolvieren, schien bei angenehmen 16 Grad die Sonne vom blauen Himmel – und auch Gentner war gut drauf: „Der Wohlfühlfaktor beim VfB ist sehr hoch“, sagte der 27-Jährige, nachdem er sich im rot-weißen Trainingsanzug in der Mezza-Lounge der Nobelherberge niedergelassen hatte, „nach schwierigem Anfang habe ich mir hier den Stellenwert erarbeitet, den ich mir immer wünschte.“

Das sieht die sportliche Leitung des Vereins genauso, weshalb der zum Saisonende auslaufende Vertrag des zentralen Mittelfeldmannes bis Juni 2016 verlängert worden ist. Zudem besteht die Option auf ein weiteres Jahr, zu dem es komme würde, sollte Gentner in der Spielzeit 2015/16 eine bestimmte Anzahl von Einsätzen absolvieren. „Christian wird sportlich und von seiner Persönlichkeit her eine bedeutende Rolle beim VfB spielen“, sagt Bobic.

Eine Riesenchance liegt im DFB-Pokal

Es bleibt offen, ob gar der Friseur seiner Wahl einen Anteil am Aufschwung besitzt – klar ist jedoch: Seit sich Gentner im vergangenen Sommer die Haare kürzen ließ, sind auch die gelegentlichen Unmutsäußerungen des eigenen Publikums nur noch ein alter Zopf aus vergangenen Tagen. Setzte Gentner in der Vorsaison, etwa Ende März mit seinem Last-Minute-Tor zum 4:4 bei Borussia Dortmund, gelegentliche Akzente, ist er inzwischen so etwas wie Hirn und Lunge des VfB-Spiels. Keiner im Team ist in der Vorrunde mehr gelaufen als er, keiner sprintete nach den offiziellen Ligamesswerten schneller als er – und kein anderer Feldspieler außer ihm stand in allen 17  Bundesligapartien in der Startelf des VfB.

Dass Serdar Tasci und nicht Gentner vor einem Jahr in Belek zum Kapitän ernannt wurde, liegt wohl nur daran, dass die Nummer 20 damals noch im Leistungsloch steckte. Ob mit oder ohne Binde – für das Stuttgarter Eigengewächs, dessen Bruder Michael beim VfB als sportlicher Leiter für die Teams von der U 14 bis zur U 16 verantwortlich ist, macht das keinen Unterschied. „An meinem Auftreten und Naturell ändert die Kapitänsrolle nichts“, sagt Gentner, „ich will vorangehen. Das will der Verein – und ich erwarte es auch selber von mir.“

Trotz des aktuellen Sparkurses sieht Gentner sportliche Perspektiven beim VfB. „Dortmund, die Bayern und Schalke sind uns voraus“, sagt der fünfmalige Nationalspieler, „aber wir gehören zu einer Gruppe, die direkt danach kommt.“ Die Teilnahme an der Europa League sei daher fast schon das Pflichtprogramm – ein erneuter Abstecher in die Champions League ein inniger Wunsch. „Wir müssen aufpassen, dass wir beim Tanz auf drei Hochzeiten nicht die Liga aus dem Auge verlieren“, sagt Gentner – sieht aber auch die Riesenchance im DFB-Pokal, wo man im Viertelfinale den Zweitligisten VfL Bochum empfängt. „Der Pokal ist der schnellste Weg nach Europa“, sagt Gentner, „und eine Endspielteilnahme ist für jeden Fußballer ein Traum.“

Zuvor aber gilt es in Belek ein erfolgreiches Trainingslager abzuhalten. Am 19. Januar folgt dann das erstes Rückrundenspiel in Wolfsburg. Ein Sieg bei seinem Ex-Club käme Gentner gelegen. „Da geht es ums Prestige“, sagt er, „und außerdem will ich nach Spielschluss den Kollegen auf meine Vertragsverlängerung einen ausgeben.“