Beim VfB Stuttgart schwindet nach dem schlechtesten Saisonstart der Geschichte das Vertrauen in Trainer Zorniger.

Berlin - Am Ende einer missratenen Dienstreise in die Bundeshauptstadt findet Robin Dutt dann doch noch einen Trost: die Statistik aus mehr als 32 Jahren Bundesligageschichte. Keine Sorge, sagt der Sportchef des VfB Stuttgart, als er am Samstagabend in einem der endlosen Flure des Berliner Olympiastadions steht und nach der 1:2-Niederlage gegen Hertha BSC Zuversicht zu verbreiten versucht – irgendwann gehe jede Negativserie zu Ende: „Denn bislang ist noch keine Mannschaft mit null Punkten abgestiegen.“

 

Noch aber steht beim VfB die große Null, auch nach inzwischen vier Spieltagen. Für den VfB ist es der schlechteste Saisonstart in der Bundesliga, der an weiterer Dramatik dadurch gewinnt, dass Köln, Hamburg, Frankfurt und Berlin zwar vier deutsche Metropolen sein mögen, im deutschen Profifußball aber bestenfalls zu den Mittelmächten gehören. Dass die Stuttgarter in keinem der vier Spiele schlechter waren, dass sie jedes auch hätten gewinnen können, ist kein Trost mehr – vielmehr entfaltet sich die Krise nun mit voller Wucht und bringt Alexander Zorniger in Bedrängnis.

Ausufernd war schon vor dem Berlin-Spiel über die neue Spielkonzeption und den neuen Trainer debattiert wurden – mit der erneuten Niederlage sind diese Diskussionen nun vollends außer Kontrolle geraten. Zum ersten Mal hatte Alexander Zorniger sein Spielsystem verändert, auf Zurückhaltung statt wilder Jagd gesetzt, auf nur noch einen Stürmer und nicht mehr auf zwei. Nur „kleinere Korrekturen“ will Dutt darin erkannt haben, während Zorniger davon spricht, nicht das System verändert zu haben, „sondern nur die Grundordnung“. Am Kern ändern diese Begrifflichkeiten jedoch wenig: es ist das Eingeständnis eigener Fehleinschätzungen.

Zorniger sieht „große Fallhöhe“

Keine Schande ist es grundsätzlich, seine Überzeugungen den Gegebenheiten anzupassen. Auch Huub Stevens hat das in der vergangenen Saison getan, als er seine geliebte Defensivtaktik aufgab und die Offensive stärkte. In Zornigers Fall aber gestaltet sich eine Umkehr äußerst schwierig. Allzu weit lehnte sich der Bundesliganovize aus dem Fenster, als er bei Dienstbeginn Anfang Juli in allen Einzelheiten seine Ideen ausbreitete, mit denen er jede Elf zum Erfolg führen könne. Als alternativlos bezeichnete er sein Spielsystem, für ein anderes sei er nicht zu haben – und genau deshalb, ergänzte Dutt, habe sich der VfB für Zorniger entschieden. Groß war die Erwartungshaltung – und „groß ist jetzt die Fallhöhe“, wie auch der Trainer feststellen muss, der die Geister, die er rief, nicht mehr losbekommt.

Vier Spieltage haben gereicht, um viele guten Vorsätze über Bord zu werfen. Als Beleg für die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit des Trainers versucht Dutt die Veränderungen zu werten und verweist darauf, dass es nicht am System liege, wenn sich die VfB-Hintermannschaft so einfach ausspielen lasse wie vor dem 0:1 in Berlin. Dennoch: so riskant, wie die Spielweise des VfB in den ersten drei Partien war, so riskant ist es nun, von dieser zu Beginn unumstößlichen Lehre abzuweichen. Denn auf dem Spiel steht das höchste Gut eines Trainers: seine Autorität und Glaubwürdigkeit.

Um bedingungsloses Vertrauen in sein Handeln und seine Taktik hat Zorniger während der Vorbereitung geworben. Nun muss er miterleben, wie die Zweifel immer größer werden – nicht nur in der Öffentlichkeit, nein, schlimmer, auch innerhalb der eigenen Mannschaft. Beim 1:4 gegen Frankfurt waren sie erstmals sichtbar geworden, in Berlin haben sie sich noch einmal massiv verstärkt, was sämtliche Alarmglocken schrillen lässt. Der Anfang vom Ende ist es zumeist, wenn die Mannschaft nicht mehr ihrem Trainer vertraut – in Stuttgart gehört dies seit Jahren zu den Spezialdisziplinen der VfB-Spieler.

Didavi ist frustriert

„Jeder hat eine andere Meinung, deshalb haben wir einen Trainer, der das System vorgibt“, sagt der Abwehrspieler und Mannschaftsrat Florian Klein – und hält es offenbar nicht für die beste Idee, dass Zorniger in Berlin Korrekturen vornahm. Der Trainer habe versucht, „Kompaktheit reinzubringen“, sagt der Österreicher, „aber in den ersten 20 Minuten hat jeder gesehen, dass es für uns nicht gut ist, wenn wir kompakt stehen und abwarten.“ Seine Erkenntnis lautet erstens: „Es bringt nichts, bei jedem Spiel etwas zu ändern. Da kommt man nur durcheinander.“ Und daraus folgt zweitens: „Wir sollten an dem dranbleiben, was wir uns in der Vorbereitung erarbeitet haben.“ Daniel Didavi, sichtbar frustrierter Spielmacher, will am liebsten gar nicht mehr übers System reden: „Wir müssen jetzt die Siege erzwingen, ganz egal wie.“

Die Fragen nach der Zukunft des Trainers, die Robin Dutt aus der Vorsaison zur Genüge kennt, bekommt der Manager schon jetzt zu hören. „Nach vier Spieltagen brauche ich noch kein Rückgrat“, erwidert er gelassen und sagt: „Für eine Trainerdiskussion sind wir zehn Monate zu früh dran.“ Nur eine Woche aber ist es bis zum nächsten Spiel gegen den FC Schalke 04, dem die englische Woche mit Partien bei Hannover 96 und gegen Borussia Mönchengladbach folgt. Und wenn die Null dann immer noch steht, wird auch die Bundesligastatistik nicht mehr trösten.