Der VfB Stuttgart steht im Kampf gegen den Abstieg gewaltig unter Druck. Sportpsychologen helfen, Spieler auf solche Situationen vorzubereiten. Der VfB verzichtet auf einen solchen Experten. Rächt sich das?
Stuttgart - Sonntag, 18 Uhr, Stuttgart, Mercedes-Benz-Arena, VfB Stuttgart gegen den SC Freiburg. Für die einen ist es nur ein Kalendereintrag, die anderen verspüren Vorfreude auf das Landesduell in der Fußball-Bundesliga. Was aber auch nicht verwunderlich wäre: Wenn der eine oder andere mit ein bisschen Magengrummeln auf die Partie blickt. Denn: Gerade der VfB Stuttgart steht mächtig unter Druck.
Der Club steht auf Rang 16, hat erst 14 Punkte gesammelt, und ist gegen den Sportclub im Grunde zum Siegen verdammt, soll sich die Lage im Kampf gegen den Abstieg endlich verbessern. Da kommt es auf eine gute Taktik an, eine gute körperliche Verfassung, auf ein bisschen Glück – aber eben nicht nur. „Im Fußball“, sagte Mario Gomez schon vor einigen Wochen im Trainingslager in La Manga, „spielt die Birne eine entscheidende Rolle.“ Gerade in Bezug auf den VfB wird das derzeit kaum einer bestreiten. Schon gar nicht Mirko Irion.
Philipp Laux ging 2018 auf eigenen Wunsch
Der Psychologe und Mentaltrainer, der auch schon mit Profisportlern wie Ex-VfB-Keeper Timo Hildebrand zusammengearbeitet hat, sagt: „Der VfB hat auf dem Papier eine gute Mannschaft, die die Leistung aber nicht auf den Platz bringt – das ist ein Kopfproblem.“ Das der Cheftrainer und seine zahlreichen Assistenten aus seiner Sicht nur bedingt lösen können. Irion ergänzt: „Genau dafür hat der Verein keinen Fachmann.“ Bis vergangenen Sommer war das anders.
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In Philipp Laux hatte der Club für viele den Idealtypus des Sportpsychologen an Bord – fundiert ausgebildet und mit einer Vergangenheit als Torhüter in der Bundesliga. Der heute 46-Jährige schied auf eigenen Wunsch aus, um sich selbstständig zu machen. Der VfB bedauerte den Abgang, besetzte die Stelle aber nicht neu. Wohl auch, weil der damalige Cheftrainer Tayfun Korkut keinen gesteigerten Wert darauf legte. „Das rächt sich bereits die ganze Saison“, ist Mirko Irion sicher. Und auch Mario Gomez meinte seinerzeit in Spanien: „Man muss lernen, mit den äußeren Einflüssen klarzukommen.“
Gomez setzt auf das eigene Erleben
Für den Stürmer ist dabei immer noch die Selbsterfahrung der beste Weg – auch im Kampf gegen den Abstieg. „Man lernt aufgrund dessen, dass man es erlebt und durchlebt“, erklärte er Ex-Nationalspieler, selbst reich an Routine, „die Erfahrungen, die die Spieler jetzt machen, kann ihnen kein Mentalcoach mitgeben – du musst es selbst erleben.“ Psychologen halten dagegen: Gerade auf dieses Erleben kann man sich vorbereiten. Als einzelner Spieler, aber auch als gesamte Gruppe.
„Zu den Aufgaben des Trainerstabs gehört es, ein gutes Teamgefühl aufzubauen. Aber wo ist da beim VfB der Experte?“, fragt Irion, für den es „unerklärlich“ ist, dass der Club die Laux-Stelle nicht neu besetzt hat. Andererseits gibt es auch Experten auf Irions Fachgebiet, die von einem Psychologen für das gesamte Team eher abraten, weil die Arbeit ohnehin individuell geleistet werden muss und womöglich Interessenskonflikte auftreten. Lediglich drei Bundesligisten beschäftigen derzeit offiziell einen Psychologen für ihr Profiteam – RB Leipzig, Werder Bremen und Fortuna Düsseldorf. Darüber hinaus bauen viele Spieler auf ein eigenes Experten-Netzwerk – mit Physiotherapeut und Fitnesscoach, aber auch mit psychologischer Unterstützung. Gerade für die jungen Spieler ist das mittlerweile ein gewohnter Baustein.
Für die Talente ist ein Psychologe ganz normal
In den Nachwuchsleistungszentren der ersten und zweiten Liga ist eine Vollzeit-Stelle im Bereich der Sportpsychologie Pflicht, die Talente wachsen damit auf, sind entsprechend aufgeschlossen, auch später im Profibereich. Laut Mirko Irion schließen sich individuelle Beratung und die Arbeit eines Teampsychologen auch nicht gegenseitig aus, er sieht beides in Ergänzung.
„Die individuelle Arbeit von einzelnen Spielern mit externen Psychologen ersetzt die Arbeit eines Teampsychologen nicht“, sagt der Mentalcoach, „er muss Teameffekte aktivieren, in Absprache mit dem Trainer Ziele aufbauen und Vereinsinteressen im Kopf haben.“ Im Interesse des VfB Stuttgart ist es, dass die Bundesligamannschaft am Sonntag gegen den SC Freiburg gewinnt. Ohne Unterstützung eines Psychologen, auch wenn Trainer Markus Weinzierl sagt: „Der Kopf ist wichtig in so einer Phase, in der wir uns gerade befinden.“
Auch jetzt wäre ein Psychologe noch hilfreich
Der aktuelle Chefcoach des VfB steht dem Thema aufgeschlossen gegenüber, sagt aber auch: „Die Teampsychologie ist eine ganz sensible Geschichte. Da kannst du als Trainer nicht einfach sagen: ‚Ich hole da jetzt irgendeinen Psychologen, setze den da rein – und danach ist alles gut.‘ Es muss alles gewachsen sein und passen, am besten von Saisonbeginn an.“ Für „schwierig“ hält er es, „jemanden in einer so heißen Phase in eine Gruppe zu integrieren“.
Kurzfristigen Erfolg würde sich auch Irion nicht von der Hinzunahme eines Psychologen versprechen. Man könne innerhalb weniger Tage „keine Wunderdinge erwarten“. Einen positiven Effekt noch für die laufende Saison schließt er aber ganz und gar nicht aus: „Das Kind ist noch nicht in den Brunnen gefallen, aber es ist höchste Zeit. Ich halte es für notwendig, in der aktuellen Lage einen Teampsychologen hinzuzuziehen.“ Der Unternehmer und Psychologe meint zudem: „Wenn ein Trainer mitten in der Saison bei einer Mannschaft neu beginnen kann, dann kann das auch ein Teampsychologe.“ Zumal die Saison ja noch lang ist – und die Partie gegen den SC Freiburg wohl nicht die einzig knifflige bleibt.