Der VfB hat sich in den vergangenen Jahren einerseits kontinuierlich selbst geschwächt und zum anderen dazu beigetragen, dass RB Leipzig so stark geworden ist, kommentiert Thomas Haid.

Stuttgart - Zwischen dem Vereinsgelände des VfB Stuttgart und dem Clubzentrum von RB Leipzig liegen 480 Autokilometer. Normalerweise braucht Ralf Rangnick dafür nicht mehr als vier Stunden. Dabei würde sich für den RB-Sportdirektor allerdings eine Fahrgemeinschaft lohnen. Denn sein Club profitiert auf dem Platz und außerhalb davon in hohem Maße vom Fachwissen vieler Führungskräfte, die in Stuttgart wirkten, ehe sie von der Vereinsführung des VfB mehr oder weniger vertrieben worden sind.

 

Sportlich ist die Strecke von Stuttgart nach Leipzig also eine reine Einbahnstraße – was vermutlich unter anderem dafür verantwortlich ist, dass der VfB eine ganze Menge Substanz verloren hat und inzwischen nur noch der zweiten Liga angehört. RB schaffte dagegen innerhalb von drei Jahren den Sprung aus der dritten Liga über die zweite Liga bis in die Bundesliga, wo die Mannschaft nach dem 1:0-Sieg am Sonntagabend beim VfL Wolfsburg auch schon wieder den dritten Tabellenplatz belegt. Ohne den VfB wäre dieser Aufstieg kaum möglich gewesen – dabei handelte es sich sozusagen um eine Aufbauhilfe Ost.

Ralf Rangnick gilt als Baumeister des Leipziger Modells. Vor vier Jahren hat er bei RB angefangen – die folgende Entwicklung spricht für sich. Beim VfB arbeitete Rangnick zwischen 1999 und 2001 als Trainer. Dann trat er zurück, entnervt von den Anfeindungen, die ihm im Umfeld und teilweise sogar in den obersten Etagen des eigenen Clubs begegneten – obwohl er die erste Generation der Jungen Wilden mit Andreas Hinkel, Kevin Kuranyi oder Alexander Hleb geprägt hatte. Manche sagen, dass es seit diesen Tagen in Stuttgart kein schlüssiges Konzept mehr gibt. Der Berater von Rangnick bei RB ist heute übrigens Helmut Groß, einst Jugendleiter beim VfB.

Ähnlich wie bei Rangnick lief es bei Jochen Schneider, der seit Herbst 2015 das Management bei RB verstärkt – nachdem er zuvor 16 Jahre in der zweiten Reihe beim VfB tätig war. Nach dem Abgang von Fredi Bobic im September 2014 übernahm er das Amt als Sportchef – ein Kurzgastspiel, wie sich zeigen sollte. Für die neue Saison wollte er seinerzeit den jüngst dann auch in Leipzig gelandeten und dort sehr erfolgreichen Trainer Ralph Hasenhüttl (früher VfR Aalen) verpflichten, aber der VfB-Aufsichtsrat vertraute Schneider nicht und holte Robin Dutt. Dieser stellte als Coach den zuvor bei RB entlassenen und danach ohne Job dastehenden Alexander Zorniger ein. Das Experiment scheiterte kläglich.

Leipzig mischt an der Spitze der Bundesliga mit

Unter der Regie von Bobic wurden auf dem Wasen die langjährigen VfB-Jugendleiter Frieder Schrof und Thomas Albeck entmachtet und weggeschickt. Sie landeten direkt bei RB, das heute bundesweit für seine Strukturen und Weichenstellungen im Nachwuchsbereich gelobt wird – etwa mit Alexander Blessin als Coach der U 17, einem weiteren Ex-VfBler. Schrof und Albeck haben ihre in Stuttgart erworbenen Erfahrungen eingebracht und gewinnbringend umgesetzt. Dagegen krankt es beim VfB seitdem in Sachen Talentförderung – unter Schrof und Albeck eine Domäne des Clubs.

Auch die RB-Mannschaft profitiert von Vorlagen des VfB. Im Sommer wechselte in Timo Werner einer der hoffnungsvollsten deutschen Stürmer aus Stuttgart nach Leipzig – wie zuvor Joshua Kimmich. Beim VfB hatte man ihnen nichts mehr zugetraut – aktuell zählt Kimmich (mittlerweile FC Bayern) zum Stamm der Nationalelf, und auch Werner steht bereits im Blickfeld des Bundestrainers Joachim Löw. Zwei weitere RB-Leistungsträger sind der Torjäger Yussuf Poulsen (seit 2013) und der Kapitän Dominik Kaiser (seit 2012). Sie wurden vor ihrem Transfer nach Leipzig für relativ wenig Geld dem VfB angeboten – der Club erkannte die Klasse nicht und lehnte ab.

In der Summe ergibt das dann folgendes Bild: Der VfB liegt in der zweiten Liga auf Rang sechs, während RB an der Spitze der Bundesliga mitmischt. Die Vereine trennt mehr als 480 Autokilometer.