Der VfB Stuttgart tut sich gegen den extrem defensiven FC St. Pauli schwer, seine Beharrlichkeit wird aber belohnt – die Kabinenansprache in der Halbzeit fällt dabei lauter aus als sonst.

Sport: Gerhard Pfisterer (ggp)

Stuttgart - Laut Ohrenzeugenberichten wurde es am Samstagnachmittag nicht erst beim 1:1-Ausgleich und beim späten 2:1-Siegtreffer des VfB Stuttgart gegen den FC St. Pauli richtig laut in der Mercedes-Benz-Arena, sondern schon in der Halbzeit. Allerdings nur an einem relativ abgeschiedenen Ort in den Katakomben – in der Kabine des Heimteams.

 

Der impulsive VfB-Trainer Tim Walter sparte dort in der Pause nach einem bis dahin behäbigen Auftritt samt 0:1-Rückstand nicht mit Kritik und stellte sicher, dass diese auch keiner überhört. Als „human, aber bestimmend“ ordnete er die Lautstärke auf der Walter-Skala ein (die mutmaßlich ziemlich weit nach oben offen ist). Wenn die Dinge nicht so laufen, wie er sich das vorstellt, kann der 43-jährige Badener ungemütlich werden.

Besonders eben, wenn sich seine Elf „lätschert“ präsentiert, wie es in seinem Heimatdialekt heißt. Also nicht ganz bei der Sache, schlaff, nicht mit vollem Elan, nachlässig, lotterig, schludrig. So, dass alles ziemlich zäh wirkt. „Du brauchst dann schon die Halbzeit, um das Ganze in neue Bahnen zu lenken“, sagt Walter. „Das ist ja in anderen Sportarten ein bisschen anders, da kannst du situativ Auszeiten nehmen und coachen, was sehr sinnvoll ist.“

Zu wenig Bewegung in die Tiefe, zu wenig Tempo

Der VfB ist es als Aufstiegskandidat Nummer eins der zweiten Liga gewohnt, deutlich mehr Ballbesitz zu haben und das Spiel zu machen. Zum Saisonauftakt gegen Hannover 96 (2:1) und beim 1. FC Heidenheim (2:2) vermochte er jeweils mehr als eine Stunde Dominanz zu entfalten. Im DFB-Pokal bei Hansa Rostock (1:0) und nun gegen den FC St. Pauli taten die Stuttgarter sich dagegen schwerer. Weil diese zwei Gegner jeweils noch defensiver eingestellt waren als die beiden vorherigen und auch – im Rahmen des Regelwerks – ordentlich austeilten. „Damit musst du als Topfavorit leben, dass du mit allen Mitteln bekämpft wirst“, sagt der VfB-Sportdirektor Sven Mislintat. „Das werden wir noch häufiger erleben.“

Jede Woche aufs Neue können sich die Stuttgarter auf einen Gegner einstellen, der ihnen die Initiative überlässt. Das ist an sich kein Problem, weil sie gemäß Walters Spielidee das Heft des Handeln ohnehin haben wollen. Es wird aber zum Problem, wenn sie wie gegen den FC St. Pauli zu statisch agieren. Wenn die Abstände sowie die Positionierung von hinten heraus nicht stimmen und zu wenig Bewegung in die Tiefe sowie zu wenig Tempo drin sind, so dass es nicht recht nach vorne geht und der Gegner mit einfachen Ballverlusten zu Konterchancen eingeladen wird.

Spielerisch hat der VfB am Samstag viel Luft nach oben gelassen, es war letztlich ein Sieg der Mentalität mit dem Glauben an die eigene Stärke bis zur letzten Minute. Bis der Beton, den der Gegner anrührt, doch noch bröckelt. Bis das Abwehrbollwerk doch noch Risse bekommt, die nicht mehr zu kitten sind. Walter beschreibt das so: „Du merkst, am Ende wird das alles weicher, es löst sich alles ein bisschen auf beim Gegner, die werden unruhiger und müder, dann gehen noch mehr Räume für uns auf.“

Es ist mitunter ein zähes Geduldsspiel, das die Mannschaft noch häufig erwarten wird. Die Zeit läuft aber in der Regel für den VfB. „Für den Gegner wird es ab der 60., 70. Minute schwerer, die Wege noch zu machen“, sagt Mittelfeldmann Gonzalo Castro, der am Samstag zu den besten Stuttgartern zählte und per Eckball das 1:1 von Marc Oliver Kempf (60. Minute) vorbereitete: „Irgendwann lässt die Kraft nach.“ Und dann schlagen die Stuttgarter zu – zumindest im Idealfall. So wie in der 90. Minute gegen den FC St. Pauli, als Nicolas Gonzalez zum 2:1 einschoss und es noch mal richtig laut wurde.