Früher prallten in einem Spiel zwischen dem VfB Stuttgart und dem FC Bayern viele Emotionen und zwei Fußballkulturen aufeinander. Eine Spurensuche vor dem Südderby um 15.30 Uhr.
Stuttgart - Bruno Labbadia wundert sich noch heute, wie er mit großen Augen angeschaut wurde. Damals, vor zweieinhalb Jahren. Als er versuchte, den VfB Stuttgart für die Magie einer Pokalnacht zu begeistern – und ihm beim Fußball-Bundesligisten die pure Skepsis entgegenschlug. Als er trotzdem immer wieder von der einmaligen Finalchance sprach. Auch wenn sie gegen den großen FC Bayern noch so klitzeklein erschien.
Dann kam der Abend des 1. Juni 2013 im Berliner Olympiastadion: 1:0, 2:0, 3:0 – die Begegnung mit dem Bundesligazwölften nahm für die Münchner den erwarteten Verlauf. Das erste Gegentor durch Martin Harnik schien nur ein Schönheitsfehler. Die Bayern befanden sich im Titelrausch, fuhren den Spielbetrieb herunter und stimmten sich noch auf dem Platz auf die Triple-Party ein. Aber nach dem Anschlusstreffer, wieder durch Harnik, war sie plötzlich da – die Chance, von der Labbadia gesprochen und wohl auch geträumt hatte.
Thiago trifft den VfB mitten ins Herz
Die Sehnsucht des VfB blieb jedoch ungestillt. Genauso wie acht Monate später. Der Trainer hieß nicht mehr Bruno Labbadia, sondern Thomas Schneider. In einer kalten Januarnacht lieferten die Schwaben den Bayern einen heißen Kampf, führten dank Vedad Ibisevic und waren drauf und dran, dem Meister wenigstens einen Punkt abzutrotzen. Aber dann segelte diese Flanke in den Stuttgarter Strafraum. Ein gewisser Thiago Alcántara legte sich quer in die Luft und traf in der Nachspielzeit per Seitfallzieher zum 2:1 ins Tor – und die VfB-Fans damit mitten ins Herz.
Es war der bisher letzte Moment, in dem der VfB gegen den FCB eine reelle Siegchance hatte. In den neun Begegnungen zuvor schaffte er es nicht zu gewinnen, und in den drei Aufeinandertreffen danach auch nicht. Der letzte Stuttgarter Sieg datiert vom 27. März 2010. 2:1 in München. Mit dem Trainer Christian Gross auf der Bank.
Mittlerweile sind die sportlichen Unterschiede jedoch gigantisch. Zum Beweis: nach nur elf Spieltagen haben die Bayern bereits 21 Punkte mehr als der Tabellen-15. aus Stuttgart. Gefühlt trennen die beiden einstigen Rivalen sogar Fußballwelten. So ist der sogenannte Südgipfel schon lange kein Südgipfel mehr, nicht länger ein emotionales Aufeinanderprallen von zwei reichen Regionen mit zwei Fußballkulturen.
Südgefälle statt Südgipfel
Es gibt seit Jahren nur noch ein Südgefälle: die Bayern oben, der VfB unten. „Ich würde sagen: es gibt ein bundesweites Gefälle“, sagt der VfB-Manager Robin Dutt. Denn auch die einstigen Nord-Süd-Gipfel mit Werder Bremen oder dem Hamburger SV sind verschwunden. Der FC Bayern ist der Bundesliga entwachsen. Wenn man so will, spielen die Münchner in einer eigenen Liga – mit dem FC Barcelona und Real Madrid in der Champions League, da selbst die englischen Großclubs trotz ihrer milliardenschweren Eigner oder Investoren nicht mehr Schritt halten können.
So mangelt es dem FC Chelsea nicht an Geld, aber ihm fehlt offenbar eine Idee, wohin er sich fußballerisch entwickeln möchte. Und Manchester United versucht gerade verzweifelt, eine neue Ära zu begründen. Dem FC Bayern sind beide Vorhaben schon gelungen. International bleiben sie somit äußerst ambitioniert, national sogar unerreicht. „Der FC Bayern ist der einzige Club, der es über Jahrzehnte geschafft hat, sich kontinuierlich sportlich und wirtschaftlich weiterzuentwickeln“, sagt Dutt – und erinnert sich noch gut daran, wie es früher war. Als er als Jugend- und Amateurkicker bei jeder Gelegenheit selbst ins Stuttgarter Stadion pilgerte, um die leidenschaftlichen Schlachten auf dem Rasen zu verfolgen. „Große Erwartungshaltungen gab es da – und Duelle, die teilweise auf Augenhöhe abliefen“, sagt Dutt.
Die Angst fährt mit auf der A 8
Jetzt herrscht Realismus. An diesem Samstag fährt bei den VfB-Anhängern auf der A 8 in Richtung Allianz-Arena kaum Hoffnung mit, aber viel Sorge. Es ist die Befürchtung, dass die Stuttgarter zerlegt werden könnten. Das ist auch schon weitaus besseren Teams wie zuletzt Borussia Dortmund oder dem FC Arsenal passiert. Doch der VfB will alles, nur nicht mit der gehissten weißen Fahne am Mannschaftsbus einfahren. Der VfB will kämpfen – wenn auch mit ungleichen Mitteln. Knapp 530 Millionen Euro Umsatz hat der FC Bayern im vergangenen Jahr ausgewiesen. Demnächst wird es sicher nicht viel weniger sein. Und dann gibt es ja noch dieses berühmte Festgeldkonto: 400 Millionen Euro liegen darauf und warten auf ihre Verwendung.
Die Bayern schwimmen also im Geld, während der VfB weiter kleine Brötchen backen muss. Der schwäbische Traditionsverein machte zuletzt nur noch rund 107 Millionen Euro an Umsatz. Das ist gerade einmal halb so viel, wie die ersten sechs der Vorsaison umsetzen. Auch bei den Personalkosten liegt der VfB mit 45 Millionen Euro unter dem Schnitt der Spitzenvereine (knapp 90 Millionen Euro). Wobei der FC Bayern mit seinen 215 Millionen Euro weit, weit vorne liegt.
Dutt und die zwei großen K – Kapital und Kompetenz
„Bei den Bayern treffen die zwei großen K aufeinander – Kompetenz und Kapital“, sagt Dutt. Denn seit sich die Münchner durch die Dortmunder Meisterschaften 2011 und 2012 gereizt fühlten, dann das Drama dahoam im Champions-League-Finale 2012 gegen den FC Chelsea durchlitten und eine Woche später auch noch die Demütigung durch das 2:5 im DFB-Pokalfinale gegen den BVB erleben mussten, reagierten sie auf zwei Arten.
Erstens verließen sie sich auf die alten Reflexe – und kauften den Dortmundern mit Mario Götze und Robert Lewandowski einfach zwei Superfußballer weg. Zweitens verstärkten sie auch ihr Team hinter dem Team: Mit Matthias Sammer, von dem aber keiner so genau weiß, welchen Anteil er am Erfolg hat, der aber für sich als Sportvorstand in Anspruch nimmt, „Leistung zu organisieren“. Und mit Michael Reschke, dem wohl besten Perspektivplaner der Liga, der aus Leverkusen geholt wurde. Sie alle arbeiten im Verbund mit dem Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge dem Trainer zu – Pep Guardiola. Dem besessenen Katalanen, der die Bayern noch einmal auf ein höheres Niveau gehievt hat. Und der sie auch noch einmal darin bestärkt hat, in die Zukunft zu investieren.
Bayerns neue Jugendakademie, Stuttgarts alte Sehnsucht
Vor drei Wochen wurde der Grundstein für die neue Jugendakademie gelegt. Geklotzt wird da auf der Fröttmaninger Heide und nicht gekleckert. 70 Millionen Euro lässt sich der Rekordmeister seinen Talentschuppen kosten – mit allem Pipapo auf 30 Hektar, die der Edelverein bereits 2006 erstand. Doch erst in den vergangenen zwei Jahren wurden die Pläne konkretisiert, weil der ruhmreiche Club beim Blick auf seinen Nachwuchs Nachholbedarf erkannte. Die letzte A-Jugend-Meisterschaft wurde vor elf Jahren gefeiert. Sportlich und infrastrukturell wurden die Bayern rechts und links von Schalke 04 und 1899 Hoffenheim überholt. Zudem vermissen die Münchner eigene Talente, die es in den erlauchten Profikader schaffen. David Alaba ist der vorerst Letzte, der es gepackt hat.
Und der VfB? Was ist aus dem Standort geworden, der einst als Kompetenzzentrum für Jugendfußball galt? Was aus dem Club, der sich noch immer Rekordmeister bei den A- und B-Junioren (zehn und sieben Titel) nennen darf? Er ist stolz auf sein Nachwuchsleistungszentrum, das er vor einem Jahr eröffnet hat. Zehneinhalb Millionen Euro steckten die Stuttgarter in den Umbau. Nun wird das Gebäude an der Mercedesstraße auch mit einer neuen Spielidee belebt – damit sich in den modernen Kabinen für die U-Mannschaften verheißungsvolle Perspektiven für den Verein ergeben. Das ist vielleicht sogar die größere Sehnsucht als ein Sieg gegen die Bayern.