Es war nicht selbstverständlich, einem jungen Trainer die Mission Aufstieg anzuvertrauen. Jan Schindelmeiser hat es dennoch gewagt und Hannes Wolf aus Dortmund geholt. Das Duo könnte eine VfB-Ära prägen.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart - Als der Moment näher rückte, der ihn bei den Fans des VfB Stuttgart unsterblich machen würde, da verharrte Hannes Wolf einfach nur an der Seitenlinie. Die Sekunden seiner inneren Uhr schienen diesmal einen Tick langsamer abzulaufen als sonst. Eine kleine Ewigkeit dauerte es für den Trainer, ehe Schiedsrichter Patrick Ittrich die Partie gegen Würzburg abpfiff. 4:1 gewonnen. Aufgestiegen. Nie wird er diesen Augenblick vergessen, als der Druck aus seinem Körper und Kopf wich – und sich die Emotionen überschlugen.

 

Hannes Wolf fiel als Erstem dem Manager Jan Schindelmeiser um den Hals, danach seinem Co-Trainer und Freund Miguel Moreira. Anschließend umarmte er strahlend jeden anderen, der mit dem VfB zu tun hat. Jan Schindelmeiser, der kühle blonde Sportchef aus dem Norden, war gesetzten Schrittes an die Bank gekommen. Beseelt lächelnd. Um Team und Trainer zu beglückwünschen, aber auch um die Freude zu teilen. Wie er es in den vergangenen Monaten häufig getan hatte, als Trainer und Manager nach vielen aufreibenden Spielen am Mittelkreis standen und auf die Mannschaft schauten. Wie diese sich bei den Anhängern für die unfassbare Unterstützung bedankte und die Zwei von der sportlichen Kommandobrücke spürten, welche Energie von den Rängen ausgeht.

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Das ist ihr Werk. Hannes Wolf und Jan Schindelmeiser sind die Baumeister des Erfolgs. Sie haben ein Team geformt, das die Vergangenheit ein wenig vergessen lässt, in der Gegenwart ihr großes Ziel erreicht hat und für die Zukunft immer noch über genügend Potenzialverfügt, so dass sich daraus eine Perspektive ergibt. Das war von Anfang an der Plan. Und die Herausforderung für den Manager, der nach vier Spieltagen bereits einen neuen Trainer suchen musste. Jos Luhukay trat zurück. Weil er andere Vorstellungen über den Weg nach oben hatte als der Club im Allgemeinen und Schindelmeiser im Speziellen.

Sehen Sie hier das Video-Interview mit Hannes Wolf auf dem Cannstatter Wasen:

Mit dem Niederländer verließ dann überraschend schnell die anfangs so anerkannte Aufstiegskoryphäe den Verein. Dreimal war Luhukay als Cheftrainer zuvor mit seinen Mannschaften der Sprung in die Bundesliga gelungen – und jetzt stand da plötzlich ein 35-jähriges Trainerbürschchen auf dem Wasen und sollte zu Ende führen, was der erfahrene Kollege begonnen hatte. „Wir standen damals vor der Frage, ob wir die DNA des Clubs ernst nehmen“, sagt Schindelmeiser. Und zur DNA des VfB gehört es, mit jungen Spielern Fußball zu spielen, guten Fußball.

Schindelmeiser hat das ernst genommen – und umgesetzt. Mit einem Anforderungsprofil, das in seinem Innersten wohl so formuliert war: Traditionsreicher Club mit begeisterungsfähigem Publikum sucht Trainer für Neuausrichtung. Hohe Identifikation mit dem Markenkern erwünscht, höchste Eigenmotivation unabdingbar. Wolf hat diese Eigenschaften eingebracht. Mehr noch. Er, der junge Nachwuchscoach von Borussia Dortmund, hat sich der Mammutaufgabe gestellt, Talente zu entwickeln, eine Mannschaft zu entwickeln, letztlich einen Verein zu entwickeln – obwohl er sich selbst noch entwickeln muss.

Im dritten Spiel setzt es ein 0:5 in Dresden

Ein Risiko war das. Eines, das schon am neunten Spieltag Mitte Oktober seine Wucht erkennen ließ. Der neue Trainer verlor mit dem ruhmreichen Absteiger in seinem erst dritten Spiel mit 0:5 beim kleinen Aufsteiger in Dresden. Der neue Manager, der nach seinem Aus in Hoffenheim sechs Jahre lang im Fußballgeschäft pausiert hatte, musste Antworten auf drängende Fragen geben. Und der frisch gewählte Präsident Wolfgang Dietrich erlebte auf seiner ersten Dienstreise ein Debakel.

Der VfB war erschüttert. „Erst in diesen kritischen Phasen zeigt sich aber, wie geschlossen der Verein agiert“, sagt Schindelmeiser. An der Mercedesstraße hielten sie zusammen. Trotz der Zweifel, die nach weiteren Niederlagen wieder auftauchten. An der Qualität des Kaders, an der Reife des Trainers. Greifbar war sie immer wieder – die Skepsis, die dem Sportvorstand schon unmittelbar nach seinem Amtsantritt im Juli begegnet war. „Man hat schnell gemerkt, dass viele Menschen hier in in ihrer Seele verletzt sind“, sagt der 53-Jährige. In Aktionismus verfiel aber weder Schindelmeiser auf dem Transfermarkt noch Wolf in der Coachingzone. Vielmehr blieb sich der Trainer treu. In seiner Art, Fußball zu verstehen, in seiner Art, diesen zu vermitteln, und in seiner Art, das Team zu führen.

Präzise in der Analyse, prägnant in der Ansprache, aber auch gnadenlos pragmatisch in seiner Personalauswahl– so arbeitet Wolf, der einer Trainergeneration entspringt, die das einst so einfache Spiel als komplexes Ganzes begreift. „Wir brauchen alle Facetten des Spiels, um erfolgreich zu sein“, pflegt Wolf zu sagen. Defensive, Offensive, Ballbesitz, Gegenpressing, Umschaltmomente. Aber auch Intensität, Flexibilität, Mentalität. Der junge Trainer verlangt den Spielern alles ab. Auch Geduld. Vor allem Geduld, da er sich nicht scheut, Nationalspieler auf die Tribüne zu setzen und Nobodys auf den Rasen zu schicken.

Außen vor musste sich kein Spieler fühlen

Alexandru Maxim und Florian Klein waren die prominentesten Reservisten. Die beiden Profis dienen aber auch als Beispiel dafür, dass sich Trainingsleistung lohnt. Wolf hat immer betont, dass sich seine Elf für den nächsten Spieltag aus drei Faktoren zusammensetzt. Erstens: Was hat die eigene Mannschaft zuletzt angeboten? Zweitens: Was bietet der Gegner an? Drittens: Was ergibt sich aus der Trainingswoche?

Glaubwürdig war das, wenn auch schwer zu ertragen für die Spieler, die draußen saßen. Außen vor musste sich jedoch keiner fühlen. Weshalb sie leistungsbereit waren, als der Trainer sie wieder rief. Siehe Maxim, siehe Klein, und siehe, wie gerade die lange Verschmähten den Trainer in der Schlussphase der Saison herzten. Maxim nach zauberhaftem Auftritt bei seiner Auswechslung gegen Union Berlin, Klein nach seinem Last-Minute-Siegtor in Nürnberg.

Als Ausdruck eines neuen Umgangs miteinander sehen sie diese Bilder beim VfB. Hart, aber respektvoll – das ist ein wesentlicher Teil der Leistungskultur, die mit Wolf und Schindelmeiser Einzug gehalten hat. Geprägt durch die Herangehensweise des Trainers, möglichst alle Konzentration und Kraft nur auf die nächste Begegnung zu richten – ohne den Blick für das Ganze zu verlieren. Gestützt durch den Manager, seinen Bruder im Geiste. Schindelmeiser ist in seinem Handeln ebenso im Hier und Jetzt verankert, gleichzeitig denkt er aber strategisch. Kurzfristig gewinnen und langfristig planen, bedeutet das. Denn nur Siege geben den beiden Baumeistern die Zeit, die sie brauchen, um beim VfB etwas vielleicht noch Größeres entstehen zu lassen.