VfB Stuttgart Harte Lektionen für den VfB

Philipp Klement macht für den VfB nach seiner Einwechslung ein gutes Spiel – muss aber einen Cut am rechten Auge hinnehmen. Foto: Baumann

Die junge Stuttgarter Mannschaft zeigt beim 2:3 gegen den SC Freiburg zwei Seiten: Erst wirkt sie in der Defensive überfordert, dann legt sie in der Offensive los – und nun will sie schnell lernen.

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

Stuttgart - Das Zitat würde reichlich gönnerhaft wirken, käme es nicht vom Freiburger Kulttrainer Christian Streich, der eine der authentischsten Figuren im Bundesliga-Betrieb überhaupt ist. „Der VfB besitzt eine athletische, technisch starke Mannschaft. Sie wird noch einigen Gegnern richtig Probleme machen“, erklärte Christian Streich also glaubhaft. Die drei Punkte allerdings, die nahm auch er gerne mit ins Breisgau.

 

Fest steht, dass der 55-jährige Streich aus dem Sportclub einen Verein geformt hat, der inzwischen zur besseren Hälfte des Bundesliga-Tableaus gezählt werden darf. Andererseits hat sich Freiburg in der Vorsaison mit gerade mal vier Siegen auf des Gegners Platz nicht gerade den Ruf eines Auswärtsmonsters erworben. Wo also steht der VfB nach einer Partie, in der man nach 62 Minuten aussichtslos mit 0:4 hätte hinten liegen können? Das war, als der Abwehrspieler Waldemar Anton seinen Außenstürmer Roberto Massimo dicht vor der eigenen Torlinie anschoss – und der Ball nur mit Glück daneben ging.

Fehler werden hart bestraft

„Wir wurden für unsere defensiven Fehler extrem bestraft – und haben von effizienten Freiburgern auf die harte Tour gelernt“, sagte der VfB-Sportdirektor Sven Mislintat später über das 0:1 durch Nils Petersen (8.), bei dem Marcin Kaminski falsch stand, das 0:2 durch Roland Sallai (26.), als Marc Oliver Kempf zu schlafmützig agierte, und das 0:3 durch Vincenzo Grifo (47.), als die VfB-Hintermannschaft en bloc von den kombinationsstarken Badenern zu Statisten degradiert wurde.

Der VfB, so schien es in diesem Moment, war von Erstligatauglichkeit ganz augenscheinlich so weit entfernt wie der Mond von Wanne-Eickel. Haarsträubende Abwehrfehler hatte sich der Traditionsclub von 1893 geleistet. Mit einem im Schnitt gerade mal 23,6 Jahren alten Team sowie mit drei blutjungen Erstliga-Neulingen in der Offensive, mit Silas Wamangituka, 20, Mateo Klimowicz, 20, sowie Roberto Massimo, 19, war der VfB angetreten. Mutig bis übermütig wirkte dabei der Entschluss des Trainers Pellegrino Matarazzo, den jungen Klimowicz unmittelbar nach zwei Wochen Verletzungspause als sogenannte schwimmende Neun ganz vorne in der Startelf aufzubieten.

Aus unserem Plus-Angebot: Kommentar zum Spiel – Das Schlussdrittel macht Hoffnung

Ein Schachzug offenbar, mit dem der 42-Jährige den Fans seinen neuen Stuttgarter Fußballweg aufzeigen will. Ohne Mut und den Willen zum gewagten Experiment, so die neue VfB-Losung, wird das Abenteuer Bundesliga in Zeiten von Pandemie und leeren Clubkassen nicht zu bestehen sein. Doch zur Wahrheit gehört auch, dass der Versuch, Mateo Klimowicz an vorderster Linie einzusetzen, komplett scheiterte. So war der junge Argentinier, dessen Stärken im Spiel hinter den Spitzen liegen, letztlich der Spieler mit den wenigsten Ballkontakten aller 22 Akteure bei Anpfiff.

Weil obendrein das Spiel auch an Gonzalo Castro in dessen 384. Bundesligapartie vorbeiging und dieser noch eine hundertprozentige Torchance liegen ließ (52.), entstand so alles in allem ein Bild von einem Team, das im Erstliga-Alltag offenbar heillos überfordert und zudem viel zu grün hinter den Fußballer-Ohren ist.

Das andere Gesicht des VfB

Der Saisonauftakt vor 7123 Fans in der Mercedes-Benz-Arena gegen den SC Freiburg war letztlich aber auch eine Partie, in welcher der VfB im Schlussdrittel ein ganz anderes Gesicht präsentierte. „Man hat nicht nur gesehen, was wir nicht können, sondern es gab auch viele positive Aspekte“, sagte Trainer Matarazzo. Und tatsächlich stand da eine VfB-Mannschaft auf dem Feld, die mit feinen Füßen - allen voran der Kongolese Silas Wamangituka – bestückt ist, und die neben technischer Finesse auch jede Menge Unbekümmertheit, Leidenschaft und Lernwillen mitbringt.

So brachte das starke Finish den Weiß-Roten noch zwei Tore durch einen filigranen Lupfer des eingewechselten Sasa Kalajdzic (71.) und einen Treffer des besten VfB-Spielers, von Silas Wamangituka zum 2:3 (81.), gegen stark abbauende Freiburger ein. Zum Ausgleich reichte es für den Aufsteiger bei seiner Saisonpremiere mit den zwei Gesichtern aber nicht. Auch, weil der SC-Keeper Florian Müller in der Nachspielzeit bei einem Fernschuss des starken Einwechselspielers Philipp Klement zur Stelle war.

Doch es gab weitere positive Ansätze: Der VfB gewann in der zweiten Hälfte 60 Prozent der Zweikämpfe – und lag bei den Torschüssen mit 27:6 vorn, auch wenn Pellegrino Matarazzo hinterher zu Recht feststellte: „Spiele werden in den Strafräumen entschieden – und da war der Gegner effizienter.“

Für das große Wehklagen ist es dennoch viel zu früh. Der VfB darf auf einen schnellen Lerneffekt hoffen nach seinem Debütantenball in Dur und Moll: Mit Klimowicz, Wamangituka, Massimo, Kalajdzic, Wataru Endo, Momo Cissé und Hamadi Al Ghaddioui bestritt beim VfB ein Septett sein erstes Bundesligaspiel überhaupt. Auch im Lager der Verletzten tut sich etwas: Nicolas Gonzalez (Hüfte), Philipp Förster (Wade), Lilian Egloff (Sprunggelenk) und Erik Thommy (Ellenbogenbruch) dürften nach der Länderspiel-Pause im Oktober wieder zur Verfügung stehen. Innenverteidiger Konstantinos Mavropanos könnte derweil schon beim Gastspiel am nächsten Samstag in Mainz (15.30 Uhr) eine Option sein.

Kein Handlungsbedarf auf dem Transfermarkt

„Dies ist ein Spiel, bei dem wir grundsätzlich die Chance haben, es zu gewinnen“, sagt Sportdirektor Mislintat – und will keinen zusätzlichen Druck aufbauen. „Wir glauben an diese Mannschaft und sehen viel in ihr“, ergänzte der Westfale, der trotz des verlorenen Auftaktmatches keinen akuten Handlungsbedarf auf dem bis 5. Oktober geöffneten Transfermarkt sieht: „Wenn wir keine Spieler abgeben, machen wir nichts.“

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