Der VfB-Präsident Bernd Wahler nennt die Champions League als Ziel. Doch dafür müssen aus seiner Sicht erst neue strukturelle Voraussetzungen geschaffen werden – speziell die Ausgliederung der Profiabteilung.

Stuttgart - Für Bernd Wahler ist es gerade sicher nicht ganz einfach, Präsident des VfB Stuttgart zu sein. Denn erstens ist vieles neu für ihn und zweitens befindet sich der Verein im Umbruch – sportlich mit dem Trainer Thomas Schneider für Bruno Labbadia und auch strukturell. Deshalb hat der erst am 22. Juli gewählte Wahler wenig Zeit, um sich in sein Amt einzuarbeiten. In vielen Nachtsitzungen durchforstet er Bilanzen, Zahlenketten und Dokumente, um sich einen Überblick über den Istzustand zu verschaffen. Denn er will durchstarten und den Verein fit für die Zukunft machen.

 

Die strukturelle Ebene

Ist die gegenwärtige Organisationsform noch zeitgemäß? Diese Frage beschäftigt Wahler und die VfB-Verantwortlichen um den Aufsichtsratschef Joachim Schmidt am meisten. Grundsätzlich lautet die Antwort, dass die Profiabteilung ausgegliedert und in eine Kapitalgesellschaft umgewandelt werden soll – mit Daimler als strategischem Partner. Wahler will für Transparenz sorgen, um die Mitglieder und Fans von dem Plan zu begeistern. Aber um was geht es da eigentlich?

Wandel bei den Vereinen

Christoph Schickhardt hat mit diesem Thema wohl die meiste Erfahrung aller Experten in der Bundesliga. Für den angesehenen Ludwigsburger Sportanwalt reichen die Anfänge der aktuellen VfB-Überlegungen ligaweit betrachtet weit zurück – bis in die 70er oder 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts sogar. Da habe man allmählich erkannt, dass die rechtliche Grundlage für das Millionenunternehmen Fußball nicht mehr geeignet sei, sagt Schickhardt. Diese juristische Basis war der eingetragene Verein (e. V.). Damit waren die Proficlubs jeder Kaninchenzüchtervereinigung gleichgestellt – nämlich im Bürgerlichen Gesetzbuch von 1896, wo das Vereinsrecht in sehr allgemein gestalteten Vorschriften abgehandelt wird. Ein modernes Unternehmensrecht sieht jedoch anders aus.

Bis Ende der 90er Jahre waren alle Vereine in der Bundesliga als e. V. notiert. Weil der Fußball aber immer weiter expandierte und die Materie immer komplizierter wurde, unterschieden die Finanzverwaltungen jedoch schon damals in einem solchen e. V. zwischen den gewerblichen Zwecken dienenden Profiabteilungen und den gemeinnützigen Nicht-Profiabteilungen. Dazu bestanden die Finanzämter dann auf zwei komplett getrennten Buchhaltungen, um dem e. V. die Wohltaten des Steuerrechts und der Gemeinnützigkeit zu retten.

Ein Schnitt erfolgte im Jahr 2000, als der Deutsche Fußball-Bund (DFB) seinen Profibereich in den Ligaverband (DFL) transferierte – auch auf Betreiben des alten VfB-Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder hin, der 2001 zum DFB-Chef gewählt wurde. Aus dieser Zeit stammt ein geflügeltes Wort von MV. „Seid froh, dass ihr ein e. V. seid. Sonst hättet ihr schon lange mal Insolvenz anmelden müssen“, hat er zu Kollegen in anderen Clubs oft gesagt – nicht im Spaß übrigens. Die DFL reagierte prompt auf die ständig steigenden Umsatzzahlen der Vereine und räumte ihnen die Möglichkeit ein, ihren Profibetrieb in neu gegründete Kapitalgesellschaften auszugliedern. Das haben seitdem zwölf der 18 Bundesligaclubs dieser Saison umgesetzt. Dazu können sie aus vier Gesellschaftstypen wählen.

Welche Struktur ist die beste?

Die erste Option ist eine Aktiengesellschaft, bei der jeder seine Aktien an der Börse zum aktuellen Wechselkurs kaufen kann. Viele Anleger sollen also viel Kapital bringen. Diesen Weg ging nur Borussia Dortmund.

Zweitens gibt es die kleine Aktiengesellschaft, bei der die Aktien nur nicht-öffentlich erworben werden können – wie beim FC Bayern oder Eintracht Frankfurt. Mehrere mittlere Unternehmen sollen das Kapital einlegen.

Die dritte Variante ist die klassische GmbH – siehe Leverkusen, Wolfsburg oder Mönchengladbach. Und zuletzt gibt es die GmbH & Co. KG. Diese im Handelsrecht seltene Form haben die meisten Vereine angewandt – etwa auch Bremen, Hertha BSC, Köln und Hannover 96, dessen Vorstandschef Martin Kind seit 15 Jahren diesbezüglich in der Liga ohnehin eine Vorreiterrolle einnimmt.

Der Verein behält die Mehrheit

Alle vier Modelle haben eines gemeinsam: es gilt die 50+1-Regel, die besagt, dass maximal 49 Prozent der Anteile verkauft werden dürfen – egal wie viele Firmen insgesamt mit im Boot sind. Die Mehrheit bleibt also in jedem Fall beim e. V., der damit in allen wichtigen Entscheidungen des gesamten Clubs das letzte Wort hat. „Das ist der springende Punkt“, sagt Schickhardt. Die Sicherungsklausel wurde damals eingebaut, um die Integrität des Wettbewerbs zu schützen. Man wollte ausschließen, dass ausländische Investoren aus Profitgier die Vereine übernehmen und sie als reine Spekulationsobjekte und als Handelsware betrachten. Stichworte: Angst vor so genanntem schlechtem Geld, Angst vor Heuschrecken und Angst davor, dass der Fußball verramscht wird.

Welche der vier Rechtsformen die sinnvollste ist, liegt im Ermessen des jeweiligen Clubs, der die Vor- und Nachteile abwägen muss. Unabhängig davon dürfte der VfB aber ein begehrter Partner für viele Konzerne sein, da er traditionell für Seriosität, Berechenbarkeit und eine solide Haushaltsführung steht. „Der VfB ist eine schöne Braut“, sagt Schickhardt, „der Verein und Stuttgart haben alles, um in Deutschland vorne dabei zu sein und bei den Großen in Europa wenigstens mitzuspielen.“ Darauf legen Investoren großen Wert. In Betracht käme für den VfB theoretisch wohl am ehesten eine GmbH & Co. KG. Praktisch muss die Chefetage jedoch zunächst mal festlegen, wie sie den Verein positionieren will – zwischen den beiden Polen hier Frankfurt mit der vorsichtigen Herangehensweise eines Heribert Bruchhagen und dort Hannover mit dem offensiv agierenden Martin Kind. Sicherung des Platzes im Mittelfeld oder „Angriff“ lautet die Alternative für den VfB.

Die sportliche Ebene

Zwei Monate Schonzeit für den Neuen

Zwei Monate will sich Bernd Wahler hier erst einmal Zeit nehmen. Um in den Verein hineinzuhorchen, um viele persönliche Gespräche zu führen, um frische Ideen zu entwickeln. Angefangen hat der VfB-Präsident damit in der vergangenen Woche. Er schaute in ziemlich vielen Mitarbeiterbüros vorbei. Wobei der 55-jährige Schwabe aus Schnait betont, dass er nach der bleiernen Phase unter seinem Vorgänger Gerd Mäuser gar nicht so sehr auf der atmosphärischen Ebene wirken müsse. „Ich bin großer Offenheit begegnet“, sagt Wahler.

Das ist gut für den Verein, denn Wahler will im Herbst damit anfangen, erste Pläne umzusetzen. „Erst einmal kurzfristig und sehen, was diese Saison noch drin ist“, sagt der Clubchef, „dann aber auch mittelfristig, was in den nächsten drei bis fünf Jahren möglich ist.“ Dabei mag Wahler zwar die Alleinstellungsmerkmale des VfB herausarbeiten, sich aber nicht als Visionär aufspielen. Jedoch scheut er sich auch nicht, die Champions League als Ziel zu nennen. „Das wäre im übertragenen Sinne ein schöner Anlass, um einen Anzug zu tragen“, sagt Wahler, der ansonsten die sportlich-legere Kleidung dem feinen Zwirn vorzieht.

Hoffnung auf den neuen Chefcoach

Er findet das passend für einen Sportverein. Als einen solchen sieht Wahler den VfB immer noch – und nicht nur als reines Wirtschaftsunternehmen. Wenngleich der frühere Adidas-Manager sehr genau weiß, dass Fußball nicht nur ein Spiel, sondern ebenso ein Geschäft mit Emotionen ist. Erlebt hat er das zuletzt beim 6:2-Sieg der Stuttgarter gegen die TSG 1899 Hoffenheim. „Eine Befreiung“, nennt Wahler diesen Erfolg. Nun will nicht nur er einen solchen Spaßfußball dauerhaft erleben.

Dazu braucht es aber zum einen Geduld, um die Mannschaft zu entwickeln – und zum anderen weitere personelle Verstärkungen. Auf der einen Seite traut Wahler dabei dem aufgerückten Thomas Schneider als neuem Chefcoach viel zu: „Ein guter Typ – locker, aber auch sehr realistisch.“ Auf der anderen Seite geht es um das Kerngeschäft von Fredi Bobic. Der Manager hat den Kader jetzt schon mal beachtlich verstärkt. Doch mittelfristig strebt der VfB danach, nicht nur im Segment gute bis ordentliche Bundesligaspieler einzukaufen. Es darf ein bisschen mehr sein, um sich hinter den sportlichen und wirtschaftlichen Branchengrößen FC Bayern München und Borussia Dortmund einzuordnen.

Dort will der VfB seinen Platz schließlich finden. Keine leichte Aufgabe für Bernd Wahler und Joachim Schmidt also, aber eine, die maßgeblich darüber entscheidet, welche Rolle der Club in den nächsten Jahren spielen wird.