Im StZ-Interview spricht der Stuttgarter Chefcoach Alexander Zorniger über Professionalität und Emotionalität im Profi-Fußball. Vor dem Spiel gegen den FC Augsburg weiß er aber immer noch nicht, ob einer seiner Spieler vielleicht Raucher ist.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart – Zwischendurch schaut Alexander Zorniger zwar immer mal wieder auf die Uhr, aber dann geht es weiter. Der VfB-Trainer nimmt sich Zeit für dieses Interview. Schließlich geht es ja auch um sein Lieblingsthema – den Fußball.

 
Herr Zorniger, wer ist der professionellste Spieler im VfB-Kader?
Eigentlich möchte ich da keinen hervorheben. Wenn ich aber sehe, wie Daniel Didavi aus seiner verletzungsgeplagten Zeit herausgekommen ist, dann ist das beispielsweise ein Zeichen von sehr hoher Professionalität. Und nicht zu vergessen unser Kapitän Christian Gentner, der auf und neben dem Platz ein Vorbild ist. Insgesamt betrachtet haben wir viele Spieler im Kader, die sich auf unterschiedliche Art und Weise professionell verhalten.
Was bedeutet Professionalität für Sie?
Für mich ist professionelles Verhalten alles, was dazu führt, dass wir erfolgreich sind. Und um erfolgreich zu sein, muss ein Spieler fit sein. Um das zu erreichen, muss er über einen längeren Zeitraum möglichst gut trainieren. Er muss Trainingseinheiten und Spiele auch nachbereiten. Für mich gehört ebenso dazu, dass ein Spieler Rückschläge wegsteckt.
Was ist mit dem Lebenswandel?
Der gehört definitiv dazu. Der Profisport hat mittlerweile so ein hohes Niveau erreicht, dass man sich in puncto Lebenswandel kaum Fehler erlauben darf.
Gibt es beim VfB Spieler, die rauchen?
Weiß ich nicht.
Kümmern Sie sich darum?
Ich kümmere mich darum, wie sich die Spieler ernähren. Ich habe aber noch keinen meiner Spieler mit einer Zigarette gesehen.
Und wenn – würden Sie einschreiten?
Wenn seine Leistung stimmt, dann nicht.
Und wie ist es bei der Ernährung?
Da schreite ich ein, weil es klar ist, dass ein Spieler die entsprechende Energiezufuhr benötigt, um unser intensives Spiel durchziehen zu können.
Vor drei Wochen nach dem Sieg gegen Darmstadt hatten Sie den Erfolg des VfB auch deshalb grundsätzlich in Frage gestellt, weil Ihnen die Einwechslung nach Martin Harniks Verletzung zu lange gedauert hat. Hat das ebenfalls mit Professionalität zu tun?
Wir sind uns sicher darüber einig, dass ein Spiel zehn gegen elf ein Nachteil ist. Und wenn das so ist, dann müssen wir dafür sorgen, dass diese Phase so kurz wie möglich gehalten wird. Der Einwechselspieler muss dann mit Schienbeinschützer und allem anderen sofort parat stehen.
Können wir daraus den Schluss ziehen, dass sich Alexandru Maxim unprofessionell verhalten hat?
Nein, weil es in der Bundesliga nahezu Usus ist, dass sich die Einwechselspieler eine gewisse Zeit lassen, wenn sie vom Co-Trainer das Signal zur Einwechslung erhalten. In 95 Prozent der Fälle ist das auch nicht schlimm, weil der auszuwechselnde Spieler ja noch seine Leistung abrufen kann. In Martins Fall ging das jedoch nicht.
Das sind höchste Ansprüche.
Definitiv. Aber das betrifft uns alle hier beim VfB. Wir müssen uns damit auseinadersetzen, was wir tun müssen, um Spiele zu gewinnen. Möglichst viele und möglichst schnell.
Ist das auch eine Mentalitätsfrage?
Ja, denn ich glaube schon, dass wir am Erzeugen einer absoluten Leistungsatmosphäre arbeiten müssen.
Das war zuletzt mit den vielen Trainerwechseln in Stuttgart sicher nur schwer möglich.
Eine Leistungsatmosphäre zu schaffen ist das Ziel jedes Trainers, aber in fünf Jahren acht Trainer und jedes Mal wird ein neuer Schwerpunkt gesetzt – das ist für die Spieler nicht einfach. Da kann man nicht verlangen, dass sie nach zwei Monaten schon wieder die neue Fußballidee und die wechselnden Grundsätze verinnerlicht haben.
Was ist Ihr Ansatz?
Die Mannschaft muss sowohl eng geführt werden, als auch lernen, auf dem Feld selbstständige Entscheidungen zu treffen. So verstehe ich meinen Trainerjob grundsätzlich: Ich mache klare Vorgaben, aber ich mache nicht so viele Vorgaben, dass sie die eigenverantwortlichen Entwicklungen auf dem Platz hemmen.
Entwickelt sich die Mannschaft denn?
Ich bin mir sicher, dass die Mannschaft einen Sprung gemacht hat – in puncto Disziplin und auch in puncto sich gegenseitig auf ein höheres Leistungsniveau zu heben. Doch diese Entwicklung hat sich noch nicht in Punkten niedergeschlagen.
In welchem Bereich stagniert das Team?
Schwierig zu sagen, denn das Endprodukt sind ja Punkte – und zu diesem Endprodukt hat unsere Spielweise noch nicht in ausreichendem Maße geführt.
Warum hat der VfB so viele Spiele verloren?
Das hat ganz unterschiedliche Gründe. Aber nehmen Sie das Beispiel Standardsituationen wie vor dem 0:1 gegen die Bayern. Wenn wir das mehrfach angesprochen haben, auch in Videoanalysen vor Augen führen, dann sollte dieser Punkt, wie man richtig absichert, auch irgendwann abgehakt sein. Denn dann brauche ich die Standardsituation nicht mehr isoliert betrachten, sondern ich kann sie als Teil unserer Spielkonzeption sehen. Wenn ich das jedoch nicht kann, dann muss ich mir ständig darüber Gedanken machen, was passiert, wenn wir den Ball verlieren.
Da geht es auch um Automatismen.
Sicher, aber ebenso um Eigenverantwortung und Identifikation mit der Art, wie wir Fußball spielen wollen. In diesem Zusammenhang ist Selbstaufgabe ein zu großes Wort, aber es geht auch darum, dass 25 Topspieler in eine Richtung denken.
Sind die Spieler bereit, Ihnen zu folgen?
Ja. Die Mannschaft hat sich dazu bekannt, dass sie diese Spielweise mit Gegenpressing und hohem Verteidigen umsetzen will.
Ist es dabei das Kardinalproblem des VfB, das er sich mit eigenverantwortlichen Entscheidungen auf dem Platz schwer tut?
Nein. Das Kardinalproblem der Mannschaft ist eher, ein Gespür dafür zu entwickeln, wann muss ich geil auf eine Balleroberung sein, mit der entsprechenden Aggressivität und dem notwendigen Tempo.
Bei den Siegen gegen Ingolstadt und Darmstadt hat der VfB eine gute Balance zwischen Pressing und Geduldigsein hinbekommen. In Leverkusen nach Führung nicht. Neigt das Team dazu, in Euphorie zu verfallen?
Es kann sein, dass die Mannschaft diese reine Siegorientierung noch nicht zu hundert Prozent verinnerlicht hat. Es gibt ja einen Grund, warum es der VfB vor den letzten drei Spielen der Vorsaison zwei Jahre lang nicht geschafft hat, zwei Spiele nacheinander zu gewinnen.
Wie wichtig ist in ihrem Gesamtkonzept der Faktor Emotionalität?
Ganz entscheidend. Die Spieler müssen mit Feuer dabei sein, sie brauchen die Bereitschaft sich triezen und provozieren zu lassen. Nehmen Sie Daniel Ginczek nach seinem 1:0 gegen den HSV. Da ist er nicht auf mich zugestürmt, weil er mich so hübsch findet. Es ging darum, uns gegenseitig zu signalisieren: Siehst Du, es funktioniert!
Vieles funktioniert aber noch nicht?
Unterm dem Strich liegen wir nach zwölf Spieltagen bei zehn Punkten – damit kann man beim VfB alles in Frage stellen.
Tun Sie das?
Nein, man kann ja nicht sagen: Zorniger, du hast einen Champions-League-Kandidaten übernommen. Warum läuft es nicht? Man muss eher sagen, dass ich einen Bundesligisten übernommen habe, der in den vergangenen Jahren nicht überzeugend war. Dann muss man konsequenterweise auch sagen, dass es Veränderungen braucht.
Wie viel Veränderung braucht es?
Handauflegen allein reicht jedenfalls nicht. Für mich ist klar, dass wir alte Muster und Verhaltensweisen teilweise radikal aufbrechen müssen, damit sich etwas zum Positiven verändert.
Das ist eine undankbare Aufgabe, Vereinsmitarbeiter und Spieler aus ihren Gewohnheiten und aus ihrem lieb gewonnenen Arbeitsumfeld herauszureißen.
Der VfB braucht Leute, die sich im Sinne eines einheitlichen Konzepts voll einbringen.
Und wenn Sie die Blick auf die Beurteilung des VfB von außen richten: Haben Sie das Gefühl, dass Sie mit zu hohen Erwartungen konfrontiert werden?
Die Kritik, die wir teilweise einstecken müssen, geht jedenfalls in diese Richtung. Manche wundern sich offenbar, warum der VfB nicht um einen Europapokalplatz spielt. Davon sind wir gar noch weit entfernt, auch wenn wir mit Ausnahme des Bayern-Spiels in jeder Begegnung eine reelle Siegchance hatten.
Viele Fans und Fachleute beurteilen das anders. Ist das ungerecht?
In der Beurteilung gibt es häufig auch ein Ja-aber. Wir haben die drittmeisten Großchancen herausgespielt, wir weisen die zweitmeisten Torschüsse aus – ja, aber ihr habt bereits 27 Gegentore kassiert.
Müssen Sie nicht auch mit den vielen Gegentoren arbeiten?
Richtig. Ich muss aber auch mit der anderen Seite arbeiten. Dabei muss ich aufpassen, dass die Stärken nicht von den Schwächen überdeckt werden. Deshalb stellt sich für mich die Frage gar nicht, ob wir von unserem Weg abgehen sollten.
Für andere schon – dabei macht sich die Kritik vor allem an Ihrer Person fest.
Mit Sicherheit. Ich habe jedoch auch das Gefühl, dass die Kritik nicht immer sachlich ist. Offenbar dauert es ein Weilchen, bis die Leute damit umgehen können, was da in Form meiner Person über sie hereinbricht, wenn mir irgendetwas nicht passt. Unter dem Strich geht es mir aber immer darum, die Dinge klar beim Namen zu nennen, um so unsere Entwicklung voranzutreiben.
In wie weit spielt die Emotionalität des Trainers im Gesamtpaket eine Rolle?
Das kann ein wesentlicher Aspekt sein, wenn der Trainer zu Mannschaft passt. Das hat man bei Jürgen Klopp und Borussia Dortmund gesehen,, ich kann nicht den Anspruch erheben, der richtige Trainer für r jeden einzelnen Spieler zu sein, aber ich bin davon überzeugt, der richtige Trainer für diese Mannschaft und diesen Verein zu sein.r diese VfB-Mannschaft.