Nach dem 0:1 von Hannover jubelt der VfB mit angezogener Handbremse. Zwar ist der Club so gut wie erstklassig, doch es ist für die Stuttgarter bisher eben nur ein fast perfekter Aufstieg.

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

Stuttgart - Für den beglückten André Breitenreiter war es ganz unzweifelhaft, was dieser 1:0-Sieg über den VfB mit Hannovers Fußballgemeinde gemacht hat. „Wir haben mit so viel Herz gespielt. Es war einfach der perfekte Tag für uns“, sagte der Cheftrainer der 96er, während sich dicht vor dem Stadion, am Ufer des Maschsees, die Fans der Niedersachsen bei Bier, Bratwurst und Fangesang auch angesichts des 0:6-Debakels von Erzfeind Braunschweig auf der Bielefelder Alm in den Armen lagen.

 

Ein wenig neidvoll blickte der Stuttgarter Anhang daher hinüber ins Lager des Gegners, der sich so bedingungslos freuen konnte, während die eigenen Glücksgefühlen über den nahen Aufstieg ein wenig von der Niederlage überschattet wurden. So mutete das Jubelszenario kurios an: Zwar ist Hannover mit der schlechteren Tordifferenz hinter dem VfB Zweiter, zwar steht für die Niedersachsen in Sandhausen ein Auswärtsspiel an, während die Stuttgarter zum Finale am Sonntag (15.30 Uhr) die Würzburger Kickers, das in 2017 mit nur sieben Punkten noch sieglose Rückrunden-Schlusslicht empfangen – und trotzdem feierten die 96er mit breiterer Brust. „Wir sind zu 96 Prozent aufgestiegen“, sagte etwa Hannovers Clubchef Martin Kind.

Aus den Absteigern der Vorsaison werden vermutlich die Aufsteiger

Es spricht tatsächlich fast alles dafür, dass die beiden Absteiger der Vorsaison, nämlich Hannover und der VfB, am Sonntag gegen 17.20 Uhr auch als die beiden direkten Aufsteiger ins deutsche Fußball-Oberhaus feststehen. Auch Fußballwunder – aus Sicht des VfB wäre es nicht weniger als ein teuflisches Fußballdesaster – gibt es zwar immer wieder: Doch einen Vorsprung von drei Punkten bei einer um zehn Treffer besseren Tordifferenz wie ihn der VfB auf Braunschweig, also auf den Relegationsplatz drei besitzt, den hat in der Geschichte der zweiten Liga noch keiner vergeigt.

Dennoch trat der Manager Jan Schindelmeiser im Bauch der HDI-Arena von Hannover als beharrliche Spaßbremse auf den Plan. „Ich habe heute Mut, Entschlossenheit und Aggressivität im Zweikampf vermisst“, sagte der 53-Jährige: „Wir wollten den Deckel drauf machen. Jetzt musste uns Bielefeld helfen, dabei hätten wir es gerne selbst erledigt. Wir waren dafür aber heute zu schlecht.“

In dieser Woche haben sich die Stuttgarter ja noch einmal einen ebenso normalen wie konzentrierten Trainingsbetrieb verordnet. Und doch dürften die ernsten Worte Schindelmeisers auch ein wenig dem (bangen?) Blick in die Zukunft geschuldet sein. Zweimal hat man in dieser Runde gegen Hannover 96 gespielt, beide Male haben die Stuttgarter gegen den vermeintlichen Erstliga-Konkurrenten in spe den Kürzeren gezogen, denn das Hinspiel in der Mercedes-Benz-Arena ging mit 1:2 verloren. Was darf man vom VfB also in Liga eins erwarten?

Hinsichtlich künftiger Duelle gegen Deutschlands Größen wie den FC Bayern oder Borussia Dortmund, gegen die aufstrebenden Hoffenheimer und Leipziger aber auch gegen die gewitzten Freiburger muss der VfB-Tross zum jetzigen Zeitpunkt aber sicherlich nicht in Panik verfallen. Schließlich liegt noch ein ganzer Sommer mit einer möglichen Ausgliederung der Profis und diversen Aktivitäten auf dem Transfermarkt zwischen dem heute und der so gut wie sicheren Erstliga-Rückkehr. Obendrein hatte das Team in Hannover gewiss einen schlechten Tag, weil viele Leistungsträger wie Timo Baumgartl, Christian Gentner oder Alexandru Maxim nicht zu ihrer Normalform fanden.

Am 19. Mai 2007 ist der VfB-Stuttgart Meister in der Bundesliga geworden. In unserer großen Multimedia-Reportage treffen wir die Protagonisten von damals und zeichnen das große Fußballfest nach. Hier der Trailer:

Trotzdem deuten sich bereits Probleme an, die nach dem eben nur beinahe perfekten Aufstieg von Hannover auf den VfB zukommen könnten. Immerhin sind die Anforderungen in Liga eins deutlich höher. So besitzt der Club in seinem Spielführer Christian Gentner zwar einen tadellosen Sportsmann als Anführer, der aufgrund seiner schwäbischen Herkunft und seiner sportlichen Erfolge (2007 Meister mit dem VfB, 2009 Meister mit Wolfsburg) als Vorbildfigur taugt. Leider ist es inzwischen aber ebenso offensichtlich, dass der bald 32 Jahre alte Gentner, der in der Vorrunde noch der große Antreiber war, häufig nicht mehr als der ganz große Vorarbeiter tätig ist. In Daniel Ginczek und Timo Baumgartl sieht die sportliche Leitung immerhin mögliche Nachfolger auf der Position des Leitwolfs.

Sané nimmt Terodde an die kurze Leine

Einen kleinen Vorgeschmack auf das Bundesliga-Oberhaus hat in Hannover auch der Stuttgarter Torjäger Simon Terodde erhalten, der an der Leine von seinem Gegenspieler Salif Sané im Stile eines Erstliga-Verteidigers am ziemlich kurzen Zügel gehalten wurde. Einmal aber setzte sich der 23-Tore-Mann dennoch energisch durch. Doch Sané spielte kurz vor Schluss Foul, verhinderte so das mögliche 1:1, sah zwar Rot, wird aber von der lokalen Presse („Salif opferte sich im Stile eines Michael Ballack“) gefeiert. Es war eben für Hannover 96 der nicht nur beinahe perfekte Fußballtag.

Unser Redakteur Christian Pavlic war vor Ort in Niedersachsens Hauptstadt und schildert seine Eindrücke vom Spitzenspiel, das beide Vereine der Bundesliga letztlich ein großes Stück näher gebracht hat:

VfB Stuttgart - 2. Bundesliga

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