Kevin Großkreutz hat eine bewegte Geschichte hinter sich und ist an diesem Dienstag im Viertelfinale des DFB-Pokals gegen seinen früheren Club Borussia Dortmund zusätzlich motiviert.

Stuttgart - Im Leben von Kevin Großkreutz (27) passieren immer wieder Dinge, die einfach unerklärlich sind. Beispielsweise nennt er sich und inzwischen auch seine neuen Kollegen beim VfB Stuttgart nur „Fisch“ – ohne zu wissen, warum. „Ich werde als Fisch bezeichnet – und ich bezeichne auch alle anderen als Fisch. Das ist halt so“, sagt er. Geboren worden sei der Spitzname vor sechs oder sieben Jahren, als er noch in Dortmund gespielt hat. Plötzlich war er also da. Na dann. An diesem Dienstag trifft Großkreutz im Viertelfinale des DFB-Pokals auf seinen alten Club, den er bis vor wenigen Monaten als seine große Liebe bezeichnete. Aber jetzt schlägt sein Herz für den VfB, sagt Großkreutz, der auf dem Platz eh keine Freunde beim Gegner kennt.

 

Aber der Reihe nach. Diese Geschichte wäre nicht vollständig, wenn sie die Vergangenheit von Großkreutz ausblenden würde. Es gab da zwei Vorfälle, die ähnlich wie die Sache mit dem Fisch ganz schwer nachvollziehbar sind. Zum einen hat er im Mai 2014 mal schnell einem Mann in Köln einen Döner der Marke „Extrascharf“ ins Gesicht geschleudert, weil er sich von ihm beleidigt fühlte. Das war die Döneraffäre. Und zum anderen hat er wenig später nach der Dortmunder Niederlage im Pokalfinale gegen Bayern kurzerhand in die Hotellobby gepinkelt und sich mit einem Gast angelegt. Die Polizei wurde gerufen. Ganz nüchtern dürfte der „Fisch“ da nicht mehr gewesen sein. Das war die Pinkelaffäre.

Großkreutz wirkt nicht wie ein Rabauke

Damit soll es aber auch genug sein mit den unappetitlichen Themen, zumal Großkreutz nicht den Eindruck erweckt, als sitze da ein Rabauke am Tisch. Höflich beantwortet er in der Presserunde vor der Partie gegen die Borussia alle Fragen, auch die unangenehmen. Davon gibt es einige. Schließlich steckt Brisanz in diesem Spiel, weil das Ende seiner Ära in Dortmund nicht gerade harmonisch verlaufen ist – auch wenn er heute sagt, „dass ich im Sommer ja im Guten gegangen bin“.

Dann hat er aber manches verdrängt, denn damals hörte sich das anders an. Großkreutz beklagte sich öffentlich, dass ihm der Verein kein Vertragsangebot über 2016 hinaus vorlegen wollte („Ich bin tief enttäuscht, weil schon seit Wochen keiner mehr mit mir geredet hat“) – Unmutsäußerungen, die wiederum Thomas Tuchel verärgerten. „Das entspricht nicht dem, wie wir miteinander umgehen wollen“, schimpfte der Trainer.

Als Folge wechselte Großkreutz zu Galatasaray Istanbul. Den Türken ging vermeintlich ein dicker Fisch ins Netz. Weil bei dem Transfer jedoch die Fristen versäumt wurden, erhielt er keine Spielberechtigung. Dumm gelaufen ist das – und weiter ging es in diesem Stil. Im September meldete sich Großkreutz erneut zu Wort und kritisierte die hohen Kartenpreise bei der Borussia. Sollte das, um im Bild zu bleiben, bedeuten, dass der Fisch in Dortmund vom Kopf her stinkt? Der Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke konterte in ungewohnter Schärfe („Kevin sollte nach sich gucken – damit wäre er ausgelastet“). Dabei hatte nur der Fan aus Großkreutz gesprochen, der sich früher die Tickets selbst kaufen musste. Er war Stammgast im Westfalenstadion: Südtribüne, Block 13. Da stehen die treuesten der treuen Anhänger.

Die Absprache mit Galatasaray Istanbul

Wohl gefühlt hat er sich bei Galatasaray nicht – die Chance für den VfB. Jetzt ist er in Stuttgart gelandet und musste sich zum Einstieg von Joachim Löw vorhalten lassen, dass er nicht sehr professionell mit seiner Karriere umgegangen sei. In den Augen des Bundestrainers ist Großkreutz zu oft von Istanbul nach Deutschland geflogen, um bei seiner Familie sein zu können. Dabei war das mit Galatasaray abgesprochen. „Die letzte Zeit war sicher nicht glücklich, aber dadurch wird man reifer“, sagt Großkreutz, der den Eltern eine Doppelhaushälfte in der Nähe von Dortmund finanziert hat. Auf seine Wade ließ er sich die Skyline dieser Stadt tätowieren – und auf dem Unterarm steht: „Little brother Lenny“. Lenny ist sein jüngerer Bruder, der nicht zum Spiel gegen die Borussia kommen kann, „weil er am Mittwoch eine wichtige Arbeit in der Schule hat“, sagt Großkreutz.

Der große Bruder setzt Prioritäten. So hat er einst gesagt: „Wenn mein Sohn ein Schalke-Fan wird, kommt er ins Heim.“ Das war vermutlich ernst gemeint angesichts der Rivalität zwischen dem Revierclub und der Borussia, für die er sein letztes Hemd gegeben hätte. Aber nun ist er VfBler – und das offensichtlich aus Leidenschaft. Das zeigt sich vor dem Duell gegen Dortmund an Sätzen wie „Meine Spielweise ist so, dass ich alles gebe – egal für welchen Verein. Jetzt gebe ich alles für den VfB.“ Oder „Ich brenne auf diese Partie.“ Oder „Wir müssen uns richtig in die Zweikämpfe werfen.“ Oder „Ich bin bereit für Dienstag.“

So schnörkellos klingt seine Fußballersprache. Damit hat es der Nationalspieler und Weltmeister in Dortmund zur Kultfigur gebracht. Irgendwie ist er auch besonders. Entsprechend waren viele Kommentare in den Foren, wenn er sich mal wieder zu diesem und jenem geäußert hat. Typisch Großkreutz, hieß es dann, typisch Fisch.